Berlin

  • Der § 265a StGB („Erschleichen von Leistungen“) ist nicht erfüllt, wenn jemand seine nicht übertragbare Monatskarte verloren hat und deswegen nicht bei sich führt.

    Der Angeklagte wurde vom Jugendschöffengericht Tiergarten in Berlin wegen Erschleichens von Leistungen nach § 265a StGB für schuldig befunden. Er wurde ohne gültigen Fahrausweis in einer U-Bahn angetroffen. Der Schüler soll seine Schülermonatskarte für den jeweiligen Monat kurz zuvor verloren haben. Dies sah das Amtsgericht als nicht relevant an und hielt den § 265a StGB trotzdem für erfüllt.

  • Zur Anwendung von § 46b StGB kann es ausreichen, dass vorliegende Erkenntnisse bestätigt werden.

    Das Landgericht Berlin verurteilte den Angeklagten wegen Geldfälschung und verneinte eine Strafmilderung nach § 46b StGB („Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten“), obwohl der Angeklagte frühzeitig sein Wissen offenbarte. Das Landgericht führte aus, dass der Angeklagte mit seinem frühen Geständnis lediglich die bereits bestehenden Erkenntnisse der Ermittlungen bestätigt habe.

    Die Strafverteidigung sah trotzdem einen Anwendungsgrund für § 46b StGB gegeben und war erfolgreich mit ihrer Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH):

  • Übt der faktische Geschäftsführer seine Macht lediglich durch Anweisungen durch den bestellten Geschäftsführer aus, so bedarf dies besonders vertiefter Betrachtung

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin wegen Untreue in sechs Fällen verurteilt. Der Angeklagte soll nach Feststellung des Gerichts ein Unternehmen gegründet haben, das sich auf die Sanierung und Vermarktung von Immobilien konzentrierte. Als Generalunternehmer beauftragte sein Unternehmen eine weitere GmbH, welche zwar von anderen Personen geleitet wurde, in welcher jedoch nach Ansicht des Landgerichts aber faktisch der Angeklagte der Geschäftsführer war.

  • Bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum bezüglich einer versuchten Tat ist eine zweimalige Strafmilderung durchzuführen.

    Der Angeklagte wurde wegen versuchten Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz (Embargoverstoß) sowie wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz (Embargoverstoß) in fünf Fällen vom Landgericht Berlin verurteilt. Der Angeklagte soll Tritium an eine iranische Firma geliefert haben, obwohl dies in der Iran-Embargo-VO untersagt ist.

  • Bei einer Aussage gegen Aussage Situation muss eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erfolgen.

    Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, dass er die fünfjährige Tochter einer Bekannten vergewaltigt haben sollte. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Dagegen richtete sowohl die Strafverteidigung als auch die Staatsanwaltschaft die Revision.

    Im Laufe des Ermittlungsverfahrens änderte das Mädchen mehrfach ihre Aussage. So sprach es mal von einem vaginale und mal von einem analen Geschlechtsverkehr. Auch gab sie als Tatort mal den Tisch neben der Couch an und mal den Küchentisch. Die sachverständige Zeugin erklärte diese Abweichungen damit, dass junge Kinder noch eine wenig ausgeprägte körperliche Wahrnehmung hätten und daher After und Vagina verwechseln könnten. Bezüglich des Tatortes können Abweichungen aufgrund des jungen Alters und der relativ lange zurückliegenden Tat entstanden sein. Insgesamt hielt das Gericht, auf Grundlage der Sachverständigen, das Mädchen für glaubwürdig.
    Bezüglich zweier weiteren Taten sprach das Landgericht den Angeklagten frei. Das Landgericht führte aus, dass es zwar überzeugt sei, dass es zu weiteren Taten kam, die Aussage des Mädchens aber nicht hinreichend konstant sei.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) kritisiert, dass das Landgericht die Fälle direkt nebeneinander stell, jedoch die Glaubwürdigkeit unterschiedlich würdigt. Warum genau die Aussage bezüglich der ersten Fälle glaubwürdiger war, als in den letzteren Fällen, erklärt das Landgericht nämlich nicht. Da ein Angeklagter in einer „Aussage gegen Aussage“-Situation nur wenige Verteidigungsmöglichkeiten besitzt, muss hier eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erfolgen:

    „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt insbesondere, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f. mwN). Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.“

    Damit hat sowohl die Revision der Strafverteidigung als auch der Staatsanwaltschaft Erfolg. Der BGH verweist die Sache zurück an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurück.

    BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012, 5 StR 316/12


  • Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG schützt nicht Gegenstände, die lediglich der Bequemlichkeit dienen.

    Mehrere Personen haben sich aus der gesamten Republik auf den Weg nach Berlin gemacht, um gegen die unmenschlichen Asylzustände in Deutschland zu protestieren. Unter dem Motto „Bleiberecht für alle, Abschaffung der Residenzpflicht“ halten sie eine Dauermahnwache vor dem Brandenburger Tor ab.

    Der Polizeipräsident in Berlin verbot den Veranstaltern der Mahnwache die Nutzung von „dem Witterungsschutz dienenden“ Gegenständen. Darunter fallen Zelte, Schlafsäcke, Isomatten, aber auch Planen und Pappen. Da gegen diese Anordnung verstoßen wurde, nahmen Polizeibeamten den Demonstranten die Gegenstände ab.

    In einem Eilverfahren beschloss die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin nun, dass dieses Vorgehen rechtmäßig war. Das Gericht führt aus, dass die grundgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit nur die Verwendung solcher Gegenstände schützt, die unmittelbar für die Versammlung wesensnotwendig seien.

    Bei den beschlagnahmten Sachen handele es sich aber lediglich um Gegenstände, die der Bequemlichkeit der Teilnehmer dienen. Nur bei längeren Versammlungen könnte ein zeitweiliges Ausruhen der Versammlungsteilnehmer von Art. 8 GG geschützt sein. Da das Bezirksamt Berlin-Mitte jedoch vier Wärmebusse duldet, sei der Schutz vor der Kälte ausreichend gewährleistet.

    Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

    VG Berlin, Beschluss vom 2. November 2012, Az.: VG 1 L 299.12


  • Eine allgemeine Personenbeschreibung und zweifelnde Zeugen reichen nicht zur Identifizierung eines Täters.

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin wegen besonders schweren Raubes, wegen Amtsanmaßung in Tateinheit mit Diebstahl und wegen Amtsanmaßung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    Gegen das Urteil legte die Strafverteidigung die Revision ein.

  • Wird aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe eine Gesamtgeldstrafe gebildet, so verstößt dies gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

    In einem Berufungsverfahren wegen Nachstellung vor dem Landgericht Berlin trafen Strafkammer, Strafverteidigung, Angeklagter und Staatsanwaltschaft eine Absprach nach § 257c StPO. Darin wurde festgelegt, dass der geständige Angeklagte, unter Heranziehen einer anderen Verurteilung über zwei mal zwei Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung, eine Geldstrafe zwischen 180 und 220 Tagessätzen zu erwarten hat. So wurde der Angeklagte dann auch zu 200 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.

    Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin Revision ein und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Kammergericht Berlin folgt den Bedenken der Staatsanwaltschaft. Bei der Bildung einer Gesamtstrafe ist nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB beim Zusammentreffen von Strafen verschiedener Art die schwerere Strafe zu erhöhen. Da in diesem Fall die Freiheitsstrafe die schwerere Strafe ist, wäre somit die Freiheitsstrafe zu erhöhen gewesen. Gebrauch von der Ausnahme nach § 53 Abs. 1 Satz 2 StGB hat das Gericht nicht gemacht. Aus diesem Grund war die Absprache nicht nur rechtswidrig, sondern sogar verfassungswidrig:

    „§ 257c StPO eröffnet keinen über die gesetzlich zulässige Regelung hinausgehenden Verhandlungsspielraum. Sind Rechtsfolgen gesetzlich ausgeschlossen, können sie auch auf der Grundlage einer Verständigung nicht angeordnet werden. Vereinbart werden kann nur, was gesetzlich zulässig ist. Dabei ist anzumerken, dass vorliegend die Bildung einer Gesamtgeldstrafe nicht nur einfachrechtlich gesetzes-, sondern wegen Verstoßes gegen das aus Art. 3 Abs.1 GG folgende Willkürverbot sogar verfassungswidrig ist.“

    Daher war die Berufungsbeschränkung unwirksam. Ebenfalls ist das Geständnis des Angeklagten nach § 257c Abs. 4 StPO unverwertbar. Der Senat hebt das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

    KG Berlin, Urteil vom 23. April 2012, Az.: (3) 121 Ss 34/12 (28/12)


  • Ein Erbe, der einer Rentenversicherung den Sterbefall des Leistungsempfängers nicht anzeigt, begeht keinen Betrug durch Unterlassen.

    Die Angeschuldigte soll es unterlassen haben, der Deutschen Rentenversicherung den Tod ihrer Mutter anzuzeigen. Dazu war sie jedoch nach § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I in Verbindung mit § 118 Abs. 4 SGB VI verpflichtet. Innerhalb von 10 Jahren überwies die Rentenversicherung Bund und Rentenversicherung Berlin-Brandenburg so rund 152.000 Euro. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin wegen Betrugs durch Unterlassen wurde vom Landgericht Berlin nicht angenommen. Es fehle an der Garantenstellung der Angeschuldigten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB.

    Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde ein. Damit scheitert sie nun aber auch vor dem Kammergericht Berlin. Der § 60 Absatz 1 SGB I verpflichtet nämlich nur denjenigen zur Auskunft, der Sozialleistung beantragt oder erhält. Damit hängt die Auskunftspflicht mit einem auf den Leistungsbezug gerichtetes Verwaltungsverfahren zusammen. Daher sei auch zu fordern, dass der Träger der Rentenversicherung einen Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend machen müsste, bevor die Auskunftspflicht für den Erben besteht:

    „Die Auskunftspflicht des Leistungsempfängers knüpft damit an ein auf den Leistungsbezug gerichtetes Verwaltungsverfahren an. Sie beginnt mit Eröffnung des Verwaltungsverfahrens und dauert während aller Phasen des Sozialleistungsverhältnisses bis zum Ablauf des Leistungsbezuges an (Joussen, a.a.O.). Auch in den Fällen, in denen Rentenzahlungen nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, hat der Träger der Rentenversicherung gemäß § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI die Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Im vorliegenden Fall sind aber in dem Zeitraum der verfahrensgegenständlichen Überzahlungen von den Rentenversicherungsträgern noch keine Rückforderungsbescheide gegenüber der Angeschuldigten erlassen oder wenigstens Anfragen an die Angeschuldigte zur Vorbereitung der Rückforderung gerichtet worden.“

    Auch sonst sieht das Kammergericht keine Grundlage für eine Garantenpflicht. Vor allem, da es feststellte, dass nach § 119 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI die Deutsche Post AG die Zahlungsvoraussetzung durch Auswertung von Sterbefallmitteilungen zu überwachen habe. Daher ist gar keine Notwendigkeit zu sehen, dass die Erben den Rentenversicherungsträgern den Sterbefall anzeigen müssen. Auch eine Garantenpflicht aus Treu und Glaube im Sinne des § 242 BGB mag das Gericht nicht erkennen.

    Da keine Garantenpflicht besteht, scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen aus. Somit hat das Landgericht zu Recht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.

    KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2012, Az.: 3 Ws 381/12


  • Ist ein Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden, darf es nur berücksichtigt werden, wenn das Gericht eigene Feststellungen zur Tat trifft.

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin wegen des Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Bei der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde auch eine wegen Beleidigung verhängte Geldstrafe von 20 Tagessätzen einbezogen.

    Das Landgericht hatte bei der Strafzumessung ein weiteres Verfahren wegen Beleidigung in zwei Fällen berücksichtigt. Dieses Verfahren wurde im Hinblick auf die zu erwartende Strafe im vorliegenden Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Um das eingestellte Verfahren einzubeziehen, hätte das Tatgericht sich jedoch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen müssen:

    Eine strafschärfende Berücksichtigung von einer Einstellung nach § 154 StPO betroffener Taten setzt jedoch voraus, dass diese in der Hauptverhandlung prozessordnungsgemäß festgestellt sind und zur Überzeugung des Tatgerichts feststehen (BGH, Beschluss vom 2. August 2000 – 5 StR 143/00, NStZ 2000, 594; Urteil vom 30. November 1990 – 2 StR 230/90, NStZ 1991, 182; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 41). Das Abstellen auf einen bloßen Verdacht der Begehung weiterer Straftaten ist unzulässig (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1995 – 3 StR 179/95, NStZ 1995, 439; Beschluss vom 9. April 1991 – 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14).

    Da die Strafkammer keine eigenen Feststellungen zu den eingestellten Verfahren getroffen hatte, drängen sich dem Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) die Bedenken auf, dass der Verdacht, der Angeklagte hätte weitere Straftaten begangen, strafschärfend gewertet wurde. Aus diesem Grund hat die Revision der Strafverteidigung Erfolg und der Gesamtstrafausspruch wird aufgehoben.

    BGH, Beschluss vom 12. September 2012, Az.: 5 StR 425/12

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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