EGMR

  • Strafrecht / Aktuelle Nachrichten / Sicherungsverwahrung

    Nach einem in Mai ergangenen und jetzt erst veröffentlichten Beschluss, erklärt der Bundesgerichtshof (BGH) die nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung in einem Fall für unzulässig und hob sie auf. Dabei handelte es sich um den Fall eines Mannes, der 1989 wegen Vollrausches gem. § 323a StGB zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde und bereits unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestraft war. Er wurde in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, da er zur Begehung von schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige. 1991 wurde die Unterbringung vom Landgericht Trier bestätigt. im Jahre 2007 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde jedoch erst im Jahr 2004 eingeführt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im Dezember 2009 (Az: 4 StR 577/09), dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht auf solche „Altfälle“ anwendbar sei. Aus diesem Grund hob der BGH die verhängte nachträgliche Sicherungsverwahrung auf.
    (FAZ vom 11.06.2010 Nr. 132, S. 14)

  • Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte bereits angekündigt, dass die derzeitige Regelung der Sicherungsverwahrung neu geordnet werden müsse (vgl. Blog-Eintrag vom 14.05.2010). Diese Neuordnung stützt sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der das deutsche System der Sicherungsverwahrung für teilweise unrechtmäßig einstufte.
    Die Neuregelung der Sicherungsverwahrung soll sich nur noch auf Sexual- und Gewalttaten beschränken. Vermögensdelikte ohne Gewaltanwendung, wie sie derzeit erfasst werden, sollen nicht mehr der Möglichkeit der Sicherungsverwahrung unterfallen. Die Bundesjustizministerin gab an, dass man sich „auf die wirklich gefährlichen Täter konzentrieren“ wolle.
    Die Änderungen sollen ausschließlich für Neufälle gelten. Das bedeutet, dass alle Altfälle weiterhin nach der derzeit geltenden Rechtlage beurteilt werden.
    (FAZ vom 10.06.2010 Nr. 131, S. 4)

  • Der Geist des Obrigkeitsstaats im Revisionsrecht

    Freie Advokatur als Feindbild der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
    von Herrn Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg

    Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft konnte zutreffend festgestellt werden, dass kein Mittel der Strafprozessordnung seit deren Inkrafttreten einem so gravierenden Wandel unterlag, wie das Rechtsmittel der Revision.
    Während im Bereich der Sachrüge maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Möglichkeiten der revisionsrechtlichen Kontrolle deutlich ausgeweitet worden ist und sogar die Tatsachenfeststellung, Beweiswürdigung und Strafzumessung in erheblichem Umfang der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegen wird die Möglichkeit, Verfahrensfehler geltend zu machen, erheblich eingeschränkt.Nicht nur überzogene Anforderungen an die Begründung von Verfahrensrügen, sondern auch die Erhöhung der Begründungsanforderungen für Beweisanträge lassen Formfehler und Verfahrensrügen immer weiter als „stumpfes Schwert“ erscheinen.

    Die Strafverteidiger werden durch Beanstandungs- sowie Widerspruchspflichten nicht nur dazu angehalten, sondern letztlich verpflichtet, das Gericht auf mögliche Fehler zu überwachen und diese unmittelbar rügen zu müssen. Der Beschuldigte ist damit im Hinblick auf die Revision nicht nur der Qualität des Gerichts, sondern auch der seines Verteidigers ausgeliefert, die Möglichkeiten des Rechtsmittels der Revision werden werter herabgesetzt. Ein weiteres Problem stellt die sog. „Rügeverkümmerung“ dar: Durch eine nachträgliche Änderung des Sitzungsprotokolls bzw. durch die Aufstellung des Erfordernisses der Darlegung von negativen Tatsachen führt dazu, dass Verfahrensrügen die tatsächliche Grundlage entzogen wird.

    M. E. handelt es sich hierbei um eine Tendenz, die ihren Grund und Ursprung in Einsparungen im Rahmen der Strafrechtspflege unter der leeren Floskel der ,,Effektivität der Strafrechtspflege“ hat. Die Strafverteidigung wird nur noch als notwendiges Übel angesehen, die Revision lediglich als (unnötiger) Kostenfaktor.

    Dem treten die Strafverteidigervereinigungen entgegen: Dazu heißt es in dem Ergebnispapier des 34. Strafverteidigertages:

    „Das Revisionsgericht ist – trotz seines erweiterten Prüfungsbereichs – kein „Tatrichter hinter dem Tatrichter“, der pragmatisch auf die strikte Einhaltung der Justizförmlichkeit des Verfahrens in den Vorinstanzen verzichten könnte. Seine Aufgabe ist die Rechtsprüfung in formeller und sachlicher Hinsicht.
    Die Analyse der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Prozessrecht zeigt, dass eine Reihe wichtiger Entscheidungen, die in das strafprozessuale Gefüge eingreifen (Stichworte: Widerspruchslösung, Konnexität, Fristsetzung für Beweisanträge), unter gravierenden Begründungsmängeln leiden. Dies gilt auch für Entscheidungen des Großen Senats. Wesentliche Gegenargumente werden nicht oder nebenbei erwähnt, eine nochvollziehbare Auseinandersetzung findet nicht statt.
    Dieser Zustand ist unhaltbar. Zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist der Bundesgerichtshof zur vollständigen, rational nachvollziehbaren Argumentation rechtlich verpflichtet. Beachtet das Revisionsgericht die argumentative Struktur nicht, dann besteht die Gefahr, dass Ergebnisse erzielt werden, die letztlich nicht begründbar sind. Dies sind dann reine „Machtsprüche“.“

    Allerdings ist m. E. bei ablehnenden Entscheidungen des Revisionsgerichts eine dann trotzdem erfolgende Begründung anstatt eines „OU-Beschlusses“ gefährlich: Kann doch die erfolgte Begründung von der Bundesanwaltschaft auch bei aus deren Sicht ähnlich gelagerten Fällen herangezogen und gegen den Angeklagten verwandt werden.

    Zudem ist angesichts der Tatsache, dass es nach der Revision kein Rechtsmittel, sondern lediglich die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde gibt, die Begründung der Ablehnung einer Revision für den Mandanten nur von geringem Nutzen. Ich stimme jedoch insofern überein, als dass eine letztlich argumentativ in objektiver Hinsicht kaum begründbare Entscheidung schwerer fällt, wenn man eine Begründung abgeben muss. Im Mindestmaß sollte der Bundesgerichtshof auch in einem ablehnenden Beschluss deutlich machen, ob er sich der Auffassung des Generalbundesanwalts angeschlossen oder mit abweichender Begründung entschieden hat.

    Die Arbeitsgruppe ist weiter zu dem Ergebnis gekommen, dass es Aufgabe der Strafverteidigung ist, den Bundesgerichtshof durch gut begründete Revisionen auf Fehler im Urteil hinzuweisen und sich auf diese Art rechtliches Gehör zu verschaffen.
    Selbstverständlich ist die nicht weiter ausgeführte allgemeine Sachrüge dafür wenig geeignet. Auch ist dem Ergebnis der Arbeitsgruppe 1 zuzustimmen, dass bei erkennbarer Übergehung der Rügen oder Argumentationen der Verteidigung von § 356a StPO Gebrauch gemacht werden sollte, wobei bei einer Verletzung auch eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht bzw. eine Menschenrechtsbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Betracht zu ziehen ist.

    Abschließend fordert die Arbeitsgruppe schließlich die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Begründung des Beschlusses gem. § 349 II StPO, mit dem eine Revision ohne Hauptverhandlung verworfen wird. Dieser Forderung ist m. E. nur eingeschränkt zuzustimmen, da – wie dargelegt – die Gefahr besteht, dass Pseudobegründungen sich in anderen Verfahren zum dortigen Nachteil der Angeklagten auswirken können. In den meisten Fällen dürfte der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs mehr Chancen einzuräumen sein, als einer Verfassungsbeschwerde gegen eine unzulässige Begründung durch den Bundesgerichtshof.

    Meiner Auffassung nach ist die Problematik der negativen Entwicklungen im Revisionsrecht insbesondere dem Umstand der Kostenersparnis geschuldet. Während im Zivilverfahren die Zulassungsvoraussetzungen für das Rechtsmittel der Berufung bzw. der Revision „verschärft“ worden sind, hat man sich im Strafrecht gegen eine Beschränkung in Form von Zulassungsvoraussetzungen entschieden.
    Dementsprechend wird nun durch die Gerichte versucht, der Arbeitsüberlastung auf anderem Wege Herr zu werden.

    Letztlich wird man sich fragen müssen, ob die Bundesrepublik Deutschland es sichleisten kann, an der Strafjustiz als einem wesentlichen Grundpfeiler einer modernen Gesellschaft zu sparen.

  • EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009

    Erneut sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für Aufsehen.  Mit dem Urteil vom 17. Dezember 2009 stellte der EGMR fest, dass Deutschland mit der rückwirkenden Anwendung des geänderten §67d Abs. 3 StGB, der eine über die zur Tatzeit zulässige Höchstdauer hinausgehende Sicherungsverwahrung eines Verurteilten regelt, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt und dem Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro zu zahlen hat.

    Der Beschwerdeführer M wurde nach bereits mehreren begangenen Straftaten zuletzt im November 1986 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren vom Landgericht Marburg verurteilt. Das Gericht ordnete die anschließende Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung an und begründete dieses mit dem psychiatrischen Gutachten, welches den Beschwerdeführer als gefährlichen Straftäter einordnet und weitere Straftaten als wahrscheinlich ansieht.

    Nachdem der Beschwerdeführer seine Freiheitsstrafe längst verbüßt hatte und sich weiterhin in Sicherungsverwahrung befand, beantragte er mehrmals in den Jahren zwischen 1992 und 1998 die Aussetzung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung. Hierbei blieb er jedoch erfolglos. Unter anderem lehnte das LG Marburg einen entsprechenden Antrag im Jahre 2001 ab und verwies auf die im psychiatrischen Gutachten festgestellte Wiederholungsgefahr des Beschwerdeführers. Gleichzeitig bekräftigte das Gericht seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und ordnete eine über die Maximalgesamtdauer von 10 Jahre gehende Sicherungsverwahrung an.

    Eigentlich hätte der Beschwerdeführer spätestens nach 10 Jahren Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen.

    Als auch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers im Februar 2004 auf Grundlage des Charakters der Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem StGB zurückwies, legte der Beschwerdeführer am 24. Mai 2003 eine Beschwerde beim EGMR ein und stütze diese auf sein subjektives Recht aus Art. 5 I EMRK.

    Am 17. Dezember 2009 erschien daraufhin das Urteil des EGMR, das in der überzogenen Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention durch Deutschland feststellt. So stellt nach Ansicht der Straßburger Richter die verlängerte und über 10 Jahre hinausgehende Sicherheitsverwahrung einen Verstoß gegen Art. 5 I EMRK dar.

    Zudem befanden die Richter des EGMR, dass die Sicherheitsverwahrung eine der härtesten Maßnahmen nach dem StGB und gleichzusetzen mit der Freiheitsstrafe sei. Eine verlängerte Sicherheitsverwahrung stelle eine zusätzliche und ungerechtfertigte Bestrafung dar, die über das zulässige Strafmaß hinausgeht. Hinzukommt, dass das in Deutschland keine ausreichende psychologische Betreuung der Häftlinge gewährleistet werde.

    Folglich liegt in der Entscheidung ein Verstoß gegen Art. 7 I EMRK vor. Ferner wird Deutschland zu einer Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro gegenüber dem Beschwerdeführer verurteilt.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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