Täuscht ein Angeklagter ein Alibi vor, darf dies nicht strafschärfend gewertet werden.
Das Landgericht Bremen hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraubs und Diebstahls verurteilt. Dabei wertete das Gericht strafschärfend, dass der Angeklagte eine Beschäftigung zur Tatzeit als Alibi vortäuschte. Ferner beurteilte das Gericht negativ, dass der Angeklagte die Tat grundlos begangen hätte. Hiergegen richtet die Strafverteidigung erfolgreich die Revision.
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt fest, dass in beiden Fällen keine Strafschärfung zulässig gewesen wäre. Die Grenze prozessual zulässigen Verteidigungsverhalten sei dadurch noch nicht überschritten:
„Damit hat der Angeklagte aber die Grenzen prozessual zulässigen Verteidigungsverhaltens (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 53 f. mwN) selbst dann nicht überschritten, wenn er dadurch den Tatverdacht zwangsläufig auf sonstige in Betracht kommende Personen als Alternativtäter lenken wollte.“
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012, Az.: 5 StR 453/12
Die Bedrohungslage der Erpressung muss hinreichend im Sachverhalt aufgeklärt werden.
Das Landgericht Berlin stellte folgenden Sachverhalt fest: Die beiden Nebenklägerinnen gingen in einer Wohnung gemeinsam der Prostitution nach. Der Angeklagte war Nachbar der Nebenklägerinnen und hatte eine sexuelle Beziehung mit einer der beiden Frauen. Am Tattag betrat der Angeklagte die Wohnung der beiden Frauen und verlangte 1000 Euro. Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, schlug er mit einer Eisenstange auf die Nebenklägerin ein und drohte damit, ihr Gesicht mit einem Messer zu verunstalten.
Anschließend nahm der Angeklagte 35 Euro und eine EC-Karte aus der Geldbörse und ging in Begleitung der ihm nahestehenden Nebenklägerin zu einem Geldautomaten. Dort scheiterte jedoch die Geldabhebung. Unverrichteter Dinge schritten Angeklagter und Nebenklägerin zurück in die Wohnung und gingen zu Bett. Als wenig später die Polizei an der Tür klingelte, beteuerte die Nebenklägerin, dass alles in Ordnung sei.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten.
Dagegen wehrt sich die Strafverteidigung mit der Revision. Diese hatte vor dem BGH Erfolg. Denn der BGH stellt fest, dass die Sachverhaltsaufklärung des Landgerichts mangelhaft war.
Das Landgericht verurteilte zwei Angeklagte wegen „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und räuberischer Erpressung. Gegen das Urteil wehrten sich sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Angeklagten im Wege der Revision.
Nach Feststellung des Gerichts lockten die beiden Angeklagten den Geschädigten, von dem sich einer der Täter durch den Geschädigten bestohlen fühlte, zum gemeinsamen Drogenkonsum in eine Wohnung. Dort misshandelten sie ihn körperlich mit Faustschlägen und Tritten. Der Geschädigte gestand aus Angst vor weiteren Misshandlungen den Diebstahl der Sachen. Daraufhin verlangten die Angeklagten neben einer Entschuldigung auch eine Entschädigung. Der Geschädigte bot daraufhin von sich aus an, Geld von seinem Konto abzuheben. Die beiden Angeklagten fuhren mit dem Geschädigten und einer Bekannten des Geschädigten zuerst zu einer Justizvollzugsanstalt. Dort begaben sich die Angeklagten in die Justizvollzugsanstalt. Die Bekannte des Geschädigten kaufte sich währenddessen Zigaretten. Der Geschädigte selbst verweilte etwa 20 Minuten alleine in der Nähe des Fahrzeugs. Später setzten die Vier die Fahrt fort und steuerten eine Bankfiliale an. Dort veranlassten die Angeklagten eine Auszahlung von 500 Euro von dem Konto des Geschädigten und ließen sich die Summe übergeben.
Das Landgericht verneinte in diesem Fall den erpresserischen Menschenraub gemäß § 239a Abs. 1 StGB. Das Landgericht führt aus, dass zum Zeitpunkt des „Sichbemächtigens“ noch kein Vorsatz bezüglich der späteren Erpressung bestand. Auch die zweite Alternative des § 239a Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, da zum Ausnutzen der Bemächtigungslage ein funktioneller Zusammenhang erforderlich sei. Demnach müssten nach der Vorstellung der Täter die Erpressung während der Dauer der Zwangslage realisiert werden. Während der Wartezeit vor der Justizvollzugsanstalt sei eine Flucht für den Geschädigten jedoch möglich gewesen, somit fehle es am funktionellen Zusammenhang.
Der BGH schließt sich der rechtlichen Würdigung des Landgerichts dahingehend an, dass die erste Alternative des § 239a Abs. 1 StGB nicht erfüllt sei, da die Angeklagten den Geschädigten zum Zeitpunkt der Bemächtigung lediglich zur Rede stellen wollten. Es fehlt somit am Vorsatz. Bezüglich der zweiten Alternative bewertet der BGH die Rechtslage jedoch anders:
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011, Az.: 3 StR 44/11
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und den Maßstab für die Anrechnung in den Niederlanden erlittener Untersuchungshaft auf 1:1 bestimmt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das Urteil wird aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Angeklagte beanstandet in der Revision, dass das Landgericht über einen Beweisantrag nicht in der Hauptverhandlung, sondern erst im Urteil entscheiden hat. Dies verstößt gegen § 244 VI StPO.
Der BGH hat in der Entscheidung klargestellt, dass es Entscheidungen gegeben hat, bei denen Beweisanträge nach einer gesetzten Frist als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet worden sind. Allerdings ermöglicht auch das in aller Regel nicht, über die Beweisanträge in der vorgeschriebenen Weise zu entscheiden. Eine Ausnahme bestünde lediglich im Fall unzähliger Beweisanträge, die eindeutig der Prozessverschleppung dienen sollen. Die Voraussetzungen für eine solche Annahme müssen aber eng sein.
Dies sei im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich:
„Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, da die Entscheidung ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger den Vorwurf der Prozessverschleppung hätten entkräften oder weitere Anträge hätten stellen können, wenn sie den Ablehnungsgrund gekannt hätten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1986 – 4 StR 161/86, NStZ 1986, 372; vom 7. Dezember 1979 – 3 StR 299/79 (S), BGHSt 29, 149, 152). Da sich die Kammer in ihren Beschlüssen im Wesentlichen mit der Verschleppungsabsicht der Verteidigung des Mitangeklagten befasste, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht auf die erst in den Urteilsgründen genannten Gesichtspunkte, die sie betrafen, reagieren.“
Damit stellt der BGH klar, dass Beweisanträge des Angeklagten und seines Strafverteidigers im Regelfall gemäß § 244 VI StPO durch einen in der Hauptverhandlung bekannt gemachten Gerichtsbeschluss beschieden werden müssen.
Eine Ausnahme von § 244 VI StPO muss an enge Voraussetzungen geknüpft werden, die hier nicht vorlagen. Damit ist die Ablehnung des Beweisantrags durch Urteil nicht zulässig.
2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 2 StR 523/10
Das LG Marburg hat den Angeklagten wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung weiter in Tateinheit mit Raub und weiter in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Dagegen legte der Angeklagte Revision ein.
Der 2. Strafsenat erachtet die Revision begründet, da sich das LG Marburg im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO dazu gedrängt gewesen wäre, den Staatsanwalt zu vernehmen und das Protokoll der Haftbefehlsverkündung zu verlesen.
Aus dem Wortlaut des Beschlusses:
„Es ist nicht auszuschließen, dass der Strafausspruch auf der unterbliebenen Beweiserhebung beruht, denn eine Aufklärungshilfe des Angeklagten wäre im Rahmen der Strafzumessung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen.“
Der Strafsenat hob das Urteil im Strafausspruch auf und verwies die Sache an das LG Marburg zurück.
5. Strafsenat des BGH, Az.: 5 StR 524/09
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung und wegen versuchter Anstiftung zum erpresserischen Menschenraub sowie zum Mord zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monate verurteilt. Hiergegen wandte sich der Angeklagte Revision und erzielt damit einen Teilerfolg.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist der Ansicht, dass die vom Landgericht durchgeführte Beweiswürdigung einer verfahrensrechtlichen Überprüfung nicht standhält.
Auszug aus dem Wortlaut des Beschlusses:
„Die mitgeteilte Beweiswürdigung ist unklar und lückenhaft (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387; insoweit in BGHSt 5l, 144). Sie unterlässt es, prägende Umstände der Tat, wie sie sich nach den Bekundungen des Hauptbelastungszeugen zugetragen hat, näher zu würdigen (vgl. BGH NSZ-RR 2009, 377.; BGH Beschl. v. 15.10.2009 – 5 StR 407109 Tz.9; Brause NSrZ 2007, 505, 506).
Das Landgericht stützt seine Überzeugung, der Angeklagte habe einen anderen zu einer Entführung und anschließenden Ermordung des Tatopfers anzustiften versucht, maßgebend auf dessen Aussage. Eine hinreichende, die revisionsgerichtliche Nachprüfung ermöglichende Würdigung der Glaubhaftigkeit dieser Zeugenaussage nimmt es jedoch nicht vor. Es beschränkt sich vielmehr auf den Hinweis, der Zeuge habe ohne ersichtliches Belastungsinteresse die Versuche des Angeklagten, ihn zu den in den Feststellungen geschilderten Taten zu veranlassen, glaubhaft geschildert, und die Mitteilung der Gründe, die den Zeugen nach seinen Bekundungen zur Erstattung der Strafanzeige veranlasst haben. Das wird den Anforderungen nicht gerecht.“
Die Revision des Angeklagten führte mit der Sachrüge zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter Anstiftung zum erpresserischen Menschenraub sowie zum Mord.
Aufgrund der Aufhebung des Schuldspruchs haben die insoweit verhängte Einzelfreiheitsstrafe von 6 Jahren sowie die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand. Der Senat hob daher den gesamten Strafausspruch auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.
Prozessauftakt vor dem Landgericht Hamburg gegen zehn somalische Piraten, die am Ostermontag dieses Jahres das Containerschiff MS Taipan zu entführen versuchten. Dies gelang den Piraten jedoch nicht, da eine niederländische Fregatte der MS Taipan zu Hilfe geeilt war und die Piraten festsetzen konnte.
Unter den zehn Piraten befinden sich sieben Erwachsene, zwei Heranwachsende und ein Jugendlicher. Sie werden von 20 Rechtsanwälten verteidigt. Das Gericht hat insgesamt 13 Verhandlungstage anberaumt. Zunächst sind 22 Zeugen geladen.
Die zehn Piraten müssen sich wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubes verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Piraten in der Absicht gehandelt haben, die Besatzung der MS Taipan gefangen zu nehmen und Lösegeld zu erpressen.
(Hamburger Abendblatt vom 22.11.2010, S. 7)
Der Angeklagte ist vom Landgericht Dresden wegen Urkundenfälschung in insgesamt acht Fällen und versuchter Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Mit der hiergegen gerichteten Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erzielt der Angeklagte einen Erfolg.
Der Angeklagte hatte durch Offenbarung seines Wissens über den an ihm selbst verübten erpresserischen Menschenraub nach § 239a StGB in Tateinheit mit der räuberischen Erpressung nach § 255 StGB wesentlich bei der Aufklärung dieser Straftat mitgewirkt. Die Strafkammer des Landgerichts Dresden hatte jedoch die Regelung des § 46 StGB nicht angewendet, da es sich beim Angeklagten ihrerseits nach nicht um einen Tatbeteiligten, sondern um das Tatopfer handele. Außerdem seien die Aussagen des Angeklagten als Zeuge nicht freiwillig erfolgt.
Diese Erwägungen halten nach Ansicht des Strafsenats des BGH der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner