Gewalt

  • BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.03.2011, Az.: 1 BvR 388/05

    Der Beschwerdeführer ließ sich 2004 zusammen mit circa 40 anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention der USA im Irak auf der zu der Rhein Main Military Air Base, dem Luftwaffenstützpunkt der US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main, führenden Ellis Road nieder. So hinderten sie die Fahrzeugführer für eine nicht unerhebliche Zeit an der Weiterfahrt. Auf die nach Auflösungsverfügung hin ergangene Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen, hätten die Demonstranten nicht reagiert, so dass sie von Polizeikräften zwangsweise hätten weggetragen werden mussten.

    Das Amtsgericht dazu:

    „Das Verhalten der Demonstranten sei auch rechtswidrig gewesen. Zwar seien die Motive für die Sitzblockade von Friedenswillen geprägt und in der Sache nachvollziehbar gewesen, doch könnten politische Fernziele bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB nicht berücksichtigt werden. Niemand habe das Recht auf gezielte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden. Ferner sei die Verkehrsbehinderung keineswegs notwendig gewesen, um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten hätten ihre Versammlungsfreiheit auch neben der Fahrbahn ausüben können. Die gezielte Provokation zur Schaffung von Stimmungslagen oder zur Erregung von Aufmerksamkeit werde von der Rechtsordnung nicht geschützt, so dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten sozial inadäquat und verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gehandelt hätten. Dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten aus achtenswerten Motiven gehandelt hätten, sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.“

    Daher verurteile das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlicher Nötigung gemäß § 240, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 €.

    Das Landgericht Frankfurt am Main verwarf die Berufung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom November 2004 nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig.

    Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Nötigung gemäß § 240 StGB aufgrund der Teilnahme an einer Sitzblockade. Er rügt – unter anderem – eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.

    Ein Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG lehnte das Verfassungsgericht ab, da auch eine Sitzblockade unten der Gewaltbegriff des § 240 StGB falle.

    Dazu:

    „Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, die Auslegung des in § 240 Abs. 1 StGB geregelten Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte anhand von Art. 103 Abs. 2 GG zu überprüfen.

    Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge Stimmengleichheit den sogenannten „vergeistigten Gewaltbegriff“ im Ergebnis noch unbeanstandet ließ (vgl. BVerfGE 73, 206 <206, 239 f.>), gelangte es nach erneuter Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung, dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <14 ff.>). Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite stellte es fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <17>).

    In der Folge entwickelte der Bundesgerichtshof anlässlich von Sitzblockaden auf öffentlichen Straßen mit Demonstranten auf der einen und einem ersten Fahrzeugführer sowie einer Mehrzahl von sukzessive hinzukommenden Fahrzeugführern auf der anderen Seite die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 <187>; 41, 231 <241>; nachfolgend bestätigt durch: BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1995 – 1 StR 327/95 -, NJW 1995, S. 2862; vom 23. April 2002 – 1 StR 100/02 -, NStZ-RR 2002, S. 236). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer (vgl. BGHSt 41, 182 <187>).

    Diese vom zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar (vgl. BGHSt 41, 182 <185>).“

    Ferner hatte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG zu prüfen. Dazu:

    „Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>).“

    „Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92 <112>). Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Abwägungsvorgang der Fachgerichte Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts beruhen und auch im konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 104, 92 <113>).“

    Nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht lag entgegen der Auffassung des Landgerichts zunächst eine Versammlung vor, sodass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist. Sodann hatte das Gericht zu klären, ob der Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist. Der vorliegende Eingriff könne danach nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit seine Rechtfertigung finden. Dies sei hier nicht das Fall. Eine Abwägung ergebe, dass der Eingriff in der Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt ist. In dem Beschluss des Landgerichts liegt damit zwar kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, allerdings ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG.


  • Längst ist es kein Einzelphänomen aus niedrigeren Spielklassen mehr, sondern auch in der ersten Bundesliga angekommen: Die Gewalt in den Fußballstadien.

    Auch an den vergangenen Tagen im Rahmen der zweiten Runde des DFB-Pokals kam es in mehreren Stadien sowie in den Phasen vor und nach dem Spiel zu erneuten Ausschreitungen. Allen voran wieder einmal Fans von Frankfurt, die bereits in der vergangenen Saison für negatives Aufsehen sorgen konnte und die Clubführung zum Nachdenken brachte.

    Und auch beim Spiel von Dynamo Dresden gegen den Gastgeber aus Dortmund wurde das spiel zwei Mal unterbrochen. Es folgten 15 Inhaftierungen durch die Polizei. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt.  Insbesondere die „Hooligans“ im Stehblog bedienten sich wieder der Böller und Feuerkörper. Nachdem Spiel folgten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es kam zu acht Festnahmen und einigen leichten Verletzungen. Hinzu kommen Hassbotschaften via Internet vor den Partien.

    Der Ligaverbands-Präsident Reinhard Rauball malt bereits schwarz. Die Polizei selber sei nicht mehr in der Lage, diese Menschenmassen zu beherrschen und die Gewalt im und vor dem Stadion zu bekämpfen. Sowohl mit den Generalstaatsanwälten als auch mit dem DFB müsse besprochen werden, wie sich dies in Zukunft besser lösen ließe.

    Neben Hausverboten bzw. Stadionverbot, besseren Eingangskontrollen, Video-Überwachung könnte auch der Umbau der Stadion dahingehend, dass es keine Stehplätze mehr gibt, ein möglicher Ausweg sein. Seine Parole „Wir lassen uns den Fußball nicht kaputt machen“.

    ( Welt, 27.10.2011 )


  • BGH, Beschluss vom 28.Juni 2011, Az.: 3 StR 167/11

    Das Landgericht Kleve hat den Angeklagten S. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es den Mitangeklagten P. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten S.

    Der BGH hat daraufhin das Urteil,  auch soweit es den Mitangeklagten P. betrifft, aufgehoben.

    Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

    Die Angeklagten wollten dem Opfer eine Lehre erteilen, da dieser seine Drogenschulden nicht beglichen hatte. Dazu fuhren sie mit dem Opfer in ein Waldgebiet, um ihn mit Gewalt dazu zu bringen. Dieser hatte allerdings kein Geld bei sich, woraufhin die Angeklagten den Mann wieder freigelassen haben.

    Das Landgericht nahm gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung an. Dazu der BGH:

    „Diese Feststellungen belegen nicht, dass der Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung fehlgeschlagen und damit ein Rücktritt des Angeklagten vom (unbeendeten) Versuch dieser Tat ausgeschlossen war. Denn ein Versuch ist nicht – wovon das Landgericht möglicherweise rechtsfehlerhaft ausgegangen ist – bereits dann fehlgeschlagen, wenn der Angeklagte – wie hier – seinen Tatplan nicht verwirklichen konnte. Maßgeblich ist hierfür vielmehr, ob ihm infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmnisse das Erreichen seines Ziels nicht mehr möglich erschien. War der Angeklagte hingegen noch Herr seiner Entschlüsse und hielt er – wenngleich mit anderen Mitteln – die Ausführung seiner Tat noch für möglich, liegt ein unbeendeter und kein fehlgeschlagener Versuch vor. Entscheidend ist dabei die Sicht des Täters nach Ende der letzten Ausführungshandlung (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 24 Rn. 6 ff.). Zu dem für die Abgrenzung eines fehlgeschlagenen von einem unbeendeten Versuch maßgeblichen Rücktrittshorizont des Angeklagten im Zeitpunkt seiner letzten Ausführungshandlung verhält sich das Urteil nicht. Mit Blick auf die Drohung des Angeklagten, erneut gewaltsam gegen das Tatopfer vorzugehen, wenn es seine Schulden nicht alsbald begleichen sollte, erscheint es jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte die Ausführung der Tat noch für möglich hielt. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte an einer Fortführung seines Vorhabens, die Bezahlung der Drogenschulden beim Tatopfer zu erzwingen, gehindert sah, enthalten die Urteilsgründe nicht.“

    Der BGH beanstandet folglich, dass das Landgericht einen Rücktritt vom Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung nicht geprüft hat. Dies betreffe auch den Mitangeklagten und Tatbeteiligten P., da die beiden einvernehmlich nach dem unbeendeten Versuch mit den Handlung aufhörten.


  • 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 1 BvR 388/05

    Der Beschwerdeführer wurde aufgrund einer Sitzblockade auf einer Straße wegen Nötigung vom AG zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Das Verhalten des Beschwerdeführers und der Mitangeklagten sei nach Ansicht des AG als Gewalt zu qualifizieren.

    Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit dem Rechtsmittel der Berufung. Diese wurde jedoch durch das LG verworfen. Nach Auffassung des Landgerichts hätten die Demonstranten durch die Sitzblockade gegenüber denjenigen Fahrzeugführern Gewalt ausgeübt, die durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Auch hätten die Demonstranten rechtswidrig i.S.v. § 240 II StGB gehandelt, da sich die Ausübung der Gewalt nicht im schlichten Blockieren des Straßenverkehrs erschöpft habe, sondern Mittel zum Zweck der Erregung von Aufmerksamkeit für bestimmte politische Zwecke gewesen sei.
    Gegen diese Entscheidung des LG geht der Beschwerdeführer nun mit einer Verfassungsbeschwerde vor. Dabei rügt er eine Verletzung des aus Art. 103 II GG folgenden Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 I GG. Nach seiner Ansicht sei die von dem LG herangezogene sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gewaltbegriff in § 240 I StGB sei mit Art. 103 II GG nicht vereinbar.

    Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Entscheidung des Landgerichts für verfassungswidrig erklärt. Zwar verstoße der angegriffene Beschluss des LG nicht gegen das aus Art. 103 II GG folgende Analogieverbot, jedoch sei die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des Art. 8 I GG (Versammlungsfreiheit) offensichtlich begründet.

    Aus dem Wortlaut des Beschluss:

    „Die Ausführungen des Landgerichts unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat bei der Abwägung den Zweck der Sitzblockade, Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, als einen für die Verwerflichkeit der Tat sprechenden Gesichtspunkt zulasten des Beschwerdeführers gewertet, obwohl dieses sogar den sachlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet und damit eine Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und den hierdurch betroffenen Rechtsgütern Dritter überhaupt erst erforderlich macht. Des Weiteren hat das Landgericht verkannt, dass der Kommunikationszweck nicht erst bei der Strafzumessung, sondern im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel gemäß § 240 Abs. 2 StGB, mithin bereits bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit, zu berücksichtigen ist.

     

    Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist des Weiteren, dass das Landgericht bei der Abwägung die Dauer der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, die Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports sowie die Anzahl der von ihr betroffenen Fahrzeugführer gänzlich außer Betracht gelassen hat.

     

    Schließlich hat das Landgericht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Begründung den Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen verneint. Der Argumentation des Landgerichts, dass die unter Umständen betroffenen US-amerikanischen Staatsbürger und Soldaten die Irakpolitik der US-amerikanischen Regierung nicht beeinflussen könnten, so dass die Aktion von ihrem Kommunikationszweck her betrachtet ungeeignet gewesen sei, scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass ein derartiger Sachbezug nur dann besteht, wenn die Versammlung an Orten abgehalten wird, an denen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände oder Ereignisse aktuell aufhalten oder zumindest institutionell ihren Sitz haben. Eine derartige Begrenzung auf Versammlungen im näheren Umfeld von Entscheidungsträgern und Repräsentanten würde jedoch die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit mit unzumutbar hohen Hürden versehen und dem Recht der Veranstalter, grundsätzlich selbst über die ihm als symbolträchtig geeignet erscheinenden Orte zu bestimmen, nicht hinreichend Rechnung tragen. Überdies besteht vorliegend umso weniger Anlass an dem Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand der Aktion und den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen zu zweifeln, als sich unter den betroffenen Fahrzeugführern nicht nur US-amerikanische Staatsbürger, sondern auch Mitglieder der US-amerikanischen Streitkräfte befanden, die, wenn nicht in die unmittelbare Durchführung, so doch jedenfalls in die Organisation der kritisierten militärischen Intervention im Irak eingebunden waren.“

    Auf die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde erklärte das Bundesverfassungsgericht das angegriffen Urteil für verfassungswidrig.

    Es handelt sich um eine zentrale und äußerst wichtige Entscheidung des BVerfG, mit dem dieses seine an der Sitzblokaden-Entscheidung entwickelte Rechtsprechung im Bereich des Tatbestandes der Nötigung iSd. § 240 StGB konsequent im Lichte der verfassungsrechtlich durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit anwendet, gleichzeitig ein großer Erfolg für den Beschwerdeführer, der durch alle Instanzen mit langem Atem erkämpft werden musste. Leider muss gerade in den letzten Jahren das Bundesverfassungsgericht vermehrt eingreifen, so auch insbesondere bei verfassungswidrigen Entscheidungen zur Untersuchungshaft (U-Haft).


  • Das Amtsgericht Darmstadt verurteilte den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen zu je 60,- €.

    Dagegen wandte sich  der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung. Das Landgericht Darmstadt sprach ihn daraufhin vom Vorwurf der Nötigung aus tatsächlichen Gründen frei.

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