Interpretationsmöglichkeiten

  • BVerfG, 1 BvR 2272/04 vom 12.5.2009

    Ähnlich wie schon im so genannten „Dummschwätzer-Fall“ hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob die Äußerung bzw. Bezeichnung als „Durchgeknallter Staatsanwalt“, die der Beschwerdeführer in der Sendung „Talk in Berlin“ auf n-tv im Juni 2003 in einem Diskussionsbeitrag traf, eine Beleidigung nach §185ff StGB darstellt.

    Der BVerfG entschied, dass eine solche Bezeichnung von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG umfasst wird und im Einzelfall unter Berücksichtigung weiterer Umstände wie der Kontext der Äußerung zu prüfen ist. Sind mehrere Deutungsmöglichkeiten der Meinungsäußerung vorliegend, müssen auch die dem Äußernden entgegenkommenden Deutungen berücksichtigt werden. Hinzu bedarf es weiterer Begleitumstände und Interpretationsmöglichkeiten, damit die Meinungskundgabe als Beleidigung angesehen werden kann.

    „Zwar ist der Begriff „durchgeknallt“ von einer gewissen Schärfe und auch von einer Personalisierung gekennzeichnet und hat unabhängig von seiner Deutung ehrverletzenden Charakter. Eine Meinungsäußerung wird aber nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt. Die Beurteilung dieser Frage erfordert regelmäßig, den Anlass und den Kontext der Äußerung zu beachten (vgl.BVerfGE 93, 266 <303> ; BVerfG, NJW 2005, S. 3274 f.). Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann allenfalls ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann (vgl. BVerfG, NJW 2009, S. 749 <750>).“

    Das Urteil verdeutlicht, von welch großer Bedeutung die exakte und fallbezogene Auslegung der Meinungsäußerung auch im Hinblick auf strafrechtliche Konsequenzen ist. Vor allem bei kritischen Äußerungen, die auch als Beleidigungen verstanden werden können, kann diese nicht zwangsläufig zu Gunsten des Opfers ausgelegt werden, sondern müssen sämtliche Erwägungen im Einzelfall des Kontextes (z.B. in einer politischen Debatte) im Sinne der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt werden.

    Das gesamte Urteil lässt sich auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts abrufen.

  • Az. BVerfG, 1 BvR 1318/07 vom 5.12.2008

    Während einer Rede des Stadtratmitglieds wurde dieser von einem weiteren Stadtratmitglied unterbrochen, woraufhin der Redner ihn als „Dummschwätzer“ bezeichnete. Der Beschwerdeführer wurde anschließend hierfür wegen Beleidigung  zu einer Geldstrafe verurteilt.

    Nach erfolgloser Revision erhob der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde. In dieser Sache hatte der BverfG nun entschieden, dass die Bezeichnung als „Dummschwätzer“ nicht zwingend eine Beleidigung im Sinne der §185ff StGB darstellt, sondern von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG umfasst wird. So müsse im Einzelfall im Rahmen der Abwägung geprüft werden, ob „es sich bei dem vom Beschwerdeführer verwendeten Begriffs des „Dummschwätzers“ um eine so genannte „Schmähkritik“ handelt, bei der die Diffamierung des Zeugen im Vordergrund stand oder ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt war. Nur dann, wenn eine solche Äußerung nicht mehr der Auseinandersetzung in der Sache dient, hat sie als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen“. Weiter stellten die Richter klar:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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