In Berlin musste sich ein 24-Jähriger wegen versuchten Totschlags verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, einen Mann nach einem Streit im September 2010 mit dem Messer bedroht und lebensgefährlich verletzt zu haben. Danach stieg er in sein Auto und fuhr weg.
Nach den Feststellungen des Gerichts ist das mutmaßliche Opfer nach der Provokation durch den Angeklagten auf diesen losgegangen.
Der Angeklagte war einschlägig vorbestraft. Zudem fuhr er ohne Führerschein, was allerdings nicht Teil der Anklage war.
Der Strafverteidiger des Angeklagten berief sich im Prozess auf Notwehr und forderte einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung.
Das Gericht folgte der Strafverteidigung und sprach den Angeklagten vom Tatvorwurf frei. Es habe eine Notwehrlage vorgelegen. Allerdings soll er 1200 Euro für die Fahrt ohne Führerschein zahlen.
( Quelle: Tagesspiegel online vom 31.12.2011 )
Vor dem Amtsgericht Regensburg musste sich ein 62-jähriger Rentner verantworten. Laut Anklage war er fast einhundert mal „schwarz gefahren“ und habe sich damit des Erschleichens von Leistungen schuldig gemacht.
Quelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 181/2011 vom 10.11.2011
Der Strafsenat hebt den Freispruch auf Grund von Notwehr aus den folgenden Gründen auf, die Strafverteidigung war damit nicht erfolgreich.
Pressemitteilung:
Tötung eines homosexuellen Freiers: Auf Notwehr gestützter Freispruch aufgehoben
Das Landgericht Berlin hat – der Einlassung des 31jährigen Angeklagten folgend – festgestellt, dass sich dieser in seiner Wohnung zu homosexuellen Handlungen gegen Bezahlung mit einem 63jährigen Beamten verabredet hatte; nach einem Streit wegen verweigerter Vorauszahlung griff der Freier den Angeklagten durch Würgen an; nachdem der Angeklagte einen ersten Angriff erfolgreich abgewehrt hatte, begegnete er dem zweiten Würgeangriff seinerseits mit Würgen bis zum Todeseintritt. Der 5. (Leipziger) Strafsenat hat die dem Freispruch aufgrund angenommener Notwehr zugrundeliegende Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft beanstandet.
Der Strafsenat hat ferner – auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers – eine Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung aufgehoben. Der Angeklagte hatte am 20. Juni 2009 einen 14-jährigen Jungen anal – auch mit einer Flasche – vergewaltigt und ihm mit einem Messer in den Hals gestochen. Diese Handlung hatte das Landgericht als versuchten Totschlag bewertet, dem Angeklagten aber einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch zugebilligt. Die dem zugrundeliegenden Beweiswürdigung hat der Strafsenat ebenfalls beanstandet.
Eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts wird die Sache umfassend – die Vergewaltigungstat auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen – neu aufzuklären und zu bewerten haben.
Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11
LG Berlin – Urteil vom 21. Dezember 2010 – 1 Kap Js 1228/09 Ks (18/09)
Karlsruhe, den 10. Dezember 2011
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Der Bundesgerichtshof über den Tag, an dem an Stelle eines scheinbar erwarteten Bandidos-Mitglieds ein scheinbar nicht erwartetes SEK-Einsatzkommando (zur falschen Zeit) vor der (falschen) Tür eines Mitglieds der Hells Angels erschien, wodurch offenbar versehentlich ein Polizist erschossen wurde – über die angenommene irrtümliche Rechtfertigung der Notwehr bei der Tötung eines Polizeibeamten (Totschlag) und dem daraus schließlich resultierenden (nachträglichen) Freispruch von der wohl irrtümlich in der vorangegangenen Instanz verhängten Freiheitsstrafe.
2. Strafsenat des OLG Koblenz, Az.: 2 Ss 234/10
Das AG Montabaur verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein, welche vom LG Koblenz mit der Maßgabe verworfen wurde, dass die Freiheitsstrafe auf sechs Monate herabgesetzt wurde.
Dazu hatte das LG festegestellt, dass es zwischen dem Nebenkläger und der Angeklagten seit einer längeren Zeit immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen sei. Als beide in einem Supermarkt aufeinander trafen, sei es erneut zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen. Der Angeklagte habe sich entfernt, um der weiteren Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Der Nebenkläger sei ihm jedoch gefolgt, um den Angeklagten zur Rede zu stellen und gegebenenfalls tätlich anzugreifen. Der Angeklagte habe einen erneuten Übergriff des Nebenklägers gefürchtet und ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 6,5 cm gezogen. Der Nebenkläger habe den Angeklagten direkt ins Gesicht geschlagen, wodurch dieser eine klaffende und blutende Wunde erlitt. Daraufhin habe der Angeklagte mit dem Messer in den linken Unterbauch gestochen. Der Nebenkläger habe hierdurch eine ca. 1 cm große, blutende Stichwunde erlitten.
Nach Ansicht des LG habe keine Notwehrsituation vorgelegen, da es bereits an dem Notwehrwillen des Angeklagten gefehlt habe. Zudem seien die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit nicht gegeben gewesen.
Hiergegen wandte sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision.
Die Revision hatte vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz Erfolg: Die Verurteilung des Angeklagten kann laut Entscheidung des BGH keinen Bestand haben, da die Feststellungen des LG rechtsfehlerfrei gewesen sind. Das Handeln des Angeklagten ist entgegen den Feststellungen des Landgerichts Koblenz durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Eine Einschränkung des Notwehrrechts liegt bei dem festgestellten Sachverhalt nicht vor:
Aus dem Wortlaut des Beschlusses des OLG Koblenz zur Reichweite der Notwehr:
„Der Angeklagte musste aufgrund des Verhaltens des Nebenklägers, der ihn auch früher schon grundlos tätlich angegriffen hatte, nach dessen erstem Faustschlag damit rechnen, dass dieser weiter zuschlagen werde. Davon, dass sich der Nebenkläger nur auf einen einzigen Schlag beschränken werde, konnte der Angeklagte nach den konkreten Tatumständen – entgegen der Auffassung der Strafkammer – nicht ausgehen.
Auch das subjektive Rechtfertigungselement liegt vor. Dieses setzt voraus, dass der Täter den Angriff als solchen und seine Rechtswidrigkeit erkennt und durch seine Tat der Rechtsverletzung entgegentreten will.
Soweit die Strafkammer in ihrer rechtlichen Würdigung ausgeführt hat, der Verteidigungswille fehle, weil der Angeklagte, aufgestachelt von seiner Lebensgefährtin, den Angriff des Nebenklägers genutzt habe, um diesen zu verletzen, setzt sie sich mit ihren eigenen Feststellungen zur inneren Tatseite in Widerspruch. Denn auf Seite 5 des Urteils stellt sie fest, dass der Angeklagte, nachdem er von dem Nebenkläger von hinten angerufen worden war, einen ähnlichen Hergang wie bei ihrer ersten Begegnung, also einen grundlosen tätlichen Angriff des Nebenklägers, für möglich hielt und sich deswegen dadurch wappnete, dass er seine Einkaufstaschen abstellte, sein Messer hervorzog und dieses öffnete. Diese Feststellung belegt aber gerade, dass sich der Angeklagte verteidigen wollte.
Die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung war im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB auch erforderlich.“
Folglich hob der Senat das Urteil auf. Da auszuschließen war, dass weitergehende Feststellungen zur Sache getroffen werden könnten, entschied der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst und sprach den Angeklagten aus Rechtsgründen frei.
Die Revision der Verteidigung hatte damit bereits in der Revisionsinstanz vollen Erfolg, eine neue Tatsacheninstanz mit Zurückverweisung war nicht notwendig.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner