Patient

  • Nicht nur die eigene täterschaftliche Begehung einer Tat steht unter Strafe, sondern auch die Beihilfe zu einer Straftat. Das Gesetz lässt dabei jede Handlung ausreichen, die geeignet ist, die Haupttat zu fördern. Das kann somit grundsätzlich alles sein. Daher ist diese Abgrenzung regelmäßig eine wichtige Frage im Strafrecht und natürlich auch im Strafverfahren.

  • Das Einvernehmen des Opfers mit sexuellen Handlungen schließt einen sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses nicht aus.

    Dem 57-jährigen Angeklagten wurde vorgeworfen, als Heilpraktiker sexuelle Handlungen an einer Patientin vorgenommen zu haben. Die Frau gab sich beim Heilpraktiker aufgrund eines unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches in Behandlung. Dabei wurde der „Vaginalraum“ der Patientin durch Finger des Heilpraktikers „mobilisiert“. Zusätzlich versuchte der Heilpraktiker sein Glied in den Mund der Patientin einzuführen. Die Frau war damit jedoch nicht einverstanden und drehte den Kopf weg. Einer anderen Patientin, die wegen Migräne kam, biss der Angeklagte völlig unerwartet in die unbekleidete linke Brust. Mit einer weiteren Patientin führte der Angeklagte mehrfach einvernehmlich ungeschützten Geschlechtsverkehr durch.

    Das Landgericht Münster verurteile den Angeklagten wegen dem versuchten Oralverkehr und dem Biss in der Brust wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses. Bezüglich der restlichen Taten (Geschlechtsverkehr) mochte das Landgericht keine Strafbarkeit erkennen, da die Frauen ihr Einverständnis erteilt hätten.

    Gegen die Verurteilung legte sowohl die Strafverteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein.

  • Entscheidet sich jemand bewusst keinen Widerstand zu leisten, da er die Konsequenzen fürchtet, ist er nicht Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 StGB

    Der Angeklagte arbeitete als psychologischer Psychotherapeut. Dabei kam es in drei Fällen zu sexuellen Handlungen mit einer Patientin, die sich aufgrund von Angst und depressiven Störungen in seiner Behandlung befand. Im Rahmen der Therapie überzeugte der Angeklagte die Frau, dass Körperkontakt notwendig sei. Ebenfalls nahm die Zeugin die Rolle als Kind ein, während der Angeklagte ihre Mutter darstellte.

    Das Landgericht Bielefeld nahm einen sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit dem schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person an. Die Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ergab sich daraus, dass sie sich nicht zu wehren vermochte, da sie ihre „Mutter“ nicht verlieren wollte.
    Gegen das Urteil richtete sich die Strafverteidigung mit der Revision. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat bezüglich der Widerstandsunfähigkeit der Betroffenen seine Bedenken. Dazu führte der Generalbundesanwalt aus, dem sich der Senat anschloss:

    „Dass sie sich dafür entschieden hat – wenn auch aus krankhaft bedingter Existenzangst – keinerlei Widerstand zu äußern [und zu leisten], zeigt aber, dass die Nebenklägerin eine Abwägung vorgenommen, mithin ein Willensbildungsprozess stattgefunden hat. Der Umstand, dass sie in ihrer Entscheidung „nicht frei gewesen“ sei (UA S. 37), steht dem nicht entgegen. Denn er bedeutet lediglich, dass der zu erwartende Behandlungsabbruch für die Nebenklägerin einen derart großen (vermeintlichen) Nachteil dargestellt hätte, den sie für sich nicht in Kauf nehmen wollte.“

    Aus diesem Grund kann nicht von einer Widerstandsunfähigkeit im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB ausgegangen werden. Der BGH hebt daher die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen auf. Dies führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruches. Im Umfang der Aufhebung muss sich eine andere Strafkammer des Landgerichts erneut mit der Sache beschäftigen.

    BGH, Beschluss vom 10. August 2011, Az.: 4 StR 338/11


  • Ein Arzt muss beim Verwenden von Brechmitteln immer mit dem Tod des Patienten rechnen.

    Der angeklagte Mediziner hatte bezüglich der Beweissicherung von Kokain einem Mann ein Brechmittel verabreicht. Als es zu Komplikationen kam, wurde ein Notarzt herbeigerufen. Nach Eintreffen des Notarztes wurde die Exkorporation durch den Angeklagten fortgeführt. Der Mann starb anschließend an einer Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff als Folge vom Ertrinken durch Aspiration über einen Magenschlauch zugeführten Wassers.

  • Kaum ein Bereich im Strafrecht ist so umstritten wie die Sterbehilfe. Während die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straffrei möglich ist, begibt man sich als Unterstützer immer dann  in die Gefahr der Strafverfolgung bezüglich eines Tötungsdeliktes, wenn die suizidwillige Person die Selbsttötung nicht mehr vollständig selbstständig ausführen kann. Aber bereits das Verschaffen von tödlichen Medikamenten kann strafrechtliche Sanktionen nach dem  Arzneimittelgesetz nach sich ziehen.

  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung eines nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten auf der Grundlage seines Patientenwillens nicht strafbar ist. Es handele sich hierbei nicht um einen strafbaren Totschlag, sondern um straflose sog. passive Sterbehilfe.
    Damit stärkt der BGH den Patientenwillen. Indem er auf Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Patientenwillen abstellt, werden auch solche Patienten erfasst, die keine Patientenverfügung, also eine schriftliche Festlegung möglicher Behandlungen im Krankheitsfalle, getätigt haben.
    (Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09)

  • 1. Strafsenat des BGH, Az.  1 StR 426/09

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision hatte beim Bundesgerichtshof (BGH) teilweise Erfolg aus den folgenden Erwägungen:

    Der Angeklagte betrieb als ausgebildeter Heilpraktiker seit 1997 ein „Naturheilzentrum“, in welchem er unter anderem Akupunktur und Homöopathie sowie auch eine Lebensberatung, Heilmassagen und Meditation anbot. Im konkreten Fall war die 23-jährige Patientin in Behandlung beim Angeklagten, da sie in den Augen ihrer Eltern nach Feststellung des Gerichts „an starker Schüchternheit, Minderwertigkeitskomplexen, Ängsten vor Sozialkontakten sowie sexueller Gehemmtheit“ litt. Teil dieser Heilung war das Berühren der Patientin im Intimbereich und – später bei der Tatbegehung – auch der Geschlechtsverkehr. Zuvor hatte der angeklagte Heilpraktiker der schüchternen Patientin Alkohol in größeren Mengen zugeführt (über 2 Promille zum Tatzeitpunkt).

    Bei der Beurteilung der Tat und des Strafmaßes war von entscheidender Bedeutung, ob sich die Betroffene in einer „psychotherapeutischer Behandlung“ beim Angeklagten im Sinne des §174c Abs. 2 StGB befand und somit dessen Tatbestand erfüllt ist.

    Das Landgericht hatte sich hierbei Teilen der Literatur hinsichtlich der Begriffsbestimmung angeschlossen und die „psychotherapeutische Behandlung“ angenommen:

    „Dort wird überwiegend die Ansicht vertreten, der Begriff der „psychotherapeutischen Behandlung“ sei im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm weit zu verstehen. Ihm werden daher nicht nur Therapien subsumiert, die anerkannten Regeln der Berufsverbände folgen und sich einer der sog. Schulen zuordnen lassen, sondern auch „alternative“ Therapieformen einschließlich zahlreicher Therapie- und Psychotrainingsprogramme, die von Weltanschauungsgemeinschaften und religiös auftretenden Gruppierungen angeboten werden (Fischer, StGB 56. Aufl. § 174c Rdn. 6). Zudem soll es nicht auf eine bestimmte Amtsstellung, Ausbildung und Qualifikation des Täters ankommen (Fischer aaO Rdn. 13; Wolters in SK-StGB § 174c Rdn. 11). Vielmehr sollen auch Behandlungen durch Außenseiter und „Scharlatane“ erfasst werden (Renzikowski in MünchKomm, StGB § 174c Rdn. 2, 21; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 174c Rdn. 1, 8). Lediglich Veranstaltungen, Kurse und „Workshops“, die allein der Erlernung oder Erhöhung sozialer Kompetenz dienen sollen oder in Selbsthilfegruppen ohne therapeutische Leitung durchgeführt werden, sollen den Tatbestand des § 174c Abs. 2 StGB nicht erfüllen (Fischer aaO Rdn. 6; Renzikowski aaO Rdn. 21). Als Abgrenzungskriterium wird vorgeschlagen, maßgeblich auf die Intention des Opfers abzustellen, d.h. zu prüfen, ob sich dieses zum Zweck der Heilung oder Linderung einer psychischen Beeinträchtigung einer hierauf ausgerichteten therapeutischen Behandlung unterzieht (Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rdn. 279).“

    Der 1. Strafsenat Senat sieht dies jedoch anders und grenzt die Bestimmung des „Psychotherapeuten“ angesichts des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots nach Art. 103 Abs. 2 GG, das eine Analogie zu Lasten des Täters verbietet, zu Recht weiter ein. Begründet wurde dieses neben dem Bestimmtheitsgebot mit der Tatsache, dass das Gericht auch nicht an die berufliche Stellung oder Qualifikation des Angeklagten in den Tatsachenfeststellungen angeknüpft hatte.

    Wortlautzitat aus dem BGH Beschluss:

    „Im Unterschied dazu lässt sich der Anwendungsbereich des § 174c Abs. 2 StGB eindeutig bestimmen, wenn man als „psychotherapeutische Behandlung“ ausschließlich eine solche ansieht, die von einer Person durchgeführt wird, die berechtigt ist, die Bezeichnung „Psychotherapeut“ zu führen. Dies ist neben Ärzten lediglich Psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gestattet (§ 1 Abs. 1 Satz 4 PsychThG), nicht aber Heilpraktikern wie dem Angeklagten. Hinzu treten muss, dass sich der Behandelnde wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren bedient, um Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, festzustellen, zu heilen oder zu lindern, denn nur dann handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 PsychThG um die Ausübung von Psychotherapie.“

    Die vom LG angewandte weite Auslegung des Begriffs war fehlerhaft. Eine weite und zu unbestimmte Auslegung verstoße unter Umständen gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG.  Allerdings habe der Gesetzgeber davon Abstand genommen,  den Täterkreis im Sinne des § 174c Abs. 2 StGB  ausdrücklich nach Berufsgruppen zu bestimmen.

    „Die vom Senat vorgenommene Auslegung wird schließlich dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber in der Begründung des Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes – § 174c StGB – vom 21. Juli 1997 selbst über Fälle sexuellen Missbrauchs berichtet, die er als „außerhalb des durch den hier vorgeschlagenen § 174c StGB erfassten Bereichs“ angesiedelt beurteilt. Hierzu werden insbesondere sexuell motivierte Berührungen eines Heilpraktikers im Brust- und Genitalbereich seiner Patientinnen gezählt (BTDrucks. 13/8267 S. 5 f.). Dementsprechend ist bei der näheren Erläuterung des Sinns der gesonderten Regelung des § 174c Abs. 2 StGB allein von der „Konsultation eines Psychotherapeuten“ die Rede (BTDrucks. 13/8267 S. 7).“

    Die Revision war insofern teilweise erfolgreich.

    Allerdings lag nach Auffassung des Senats das vorangegangene Urteil einer falschen Berechung der Blutalkoholkonzentration zugrunde, die zum einen Teilerfolg der Revision führt:

    “Ihr ist allerdings zuzugeben, dass gegen die Feststellung der in diesem Zusammenhang indiziell herangezogenen Blutalkoholkonzentration der Geschädigten von knapp 2,3 Promille methodische Einwände bestehen. Denn das Landgericht hat zwar bei der Berechnung dieses Wertes zu Recht die sog. Widmark-Formel angewandt. Es ist dabei aber von einem Resorptionsdefizit des getrunkenen Alkohols von lediglich 10 % ausgegangen. Dies wäre zwar zutreffend, wenn es um die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gegangen wäre. Da die Blutalkoholkonzentration aber im Zusammenhang mit der möglichen Widerstandsunfähigkeit M. S. s festgestellt werden sollte, hätte das Landgericht – vergleichbar den Fällen eines sog. Nachtrunks (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 10; s. auch BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rausch 3) – zugunsten des Angeklagten ein Resorptionsdefizit von 30 % in seine Rechnung einstellen müssen. Es wäre dann zu einer – für sich genommen noch immer erheblichen – Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,7 Promille gelangt.“

    Allerdings ist damit jedenfalls nicht auszuschließen, dass die falsche Bemessung der Blutalkoholkonzentration und die Feststellungen hinsichtlich der vom starken Alkohol Einfluss ausgehende Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten im Behandlungsverhältnis zu einer fehlerhaften Beweiswürdigung führten. Dies könnte sich zum Nachteil des Angeklagten in der Strafzumessung ausgewirkt haben. Aus diesem Grund war die Revision erfolgreich und der Schuldausspruch zu ändern sowie der Strafausspruch aufzuheben.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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