Rückwirkungsverbot

  • Die Ruhensregelung des § 78b StGB zählt nicht für Taten, die vor Inkrafttreten bereits verjährt waren.

    Das Landgericht Cottbus verurteilte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in elf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Dabei nahm das Landgericht an, dass sieben Fälle zwischen Februar 1996 und dem Zeitraum Herbst 1998 bis September 1999 geschahen.

  • Az. 4 St RR 183/09 (OLG München)

    Der Angeklagte wurde am 17.11.2008 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und unerlaubtem Entfernens vom Unfallort zur Gesamtstrafe von 11 Monaten verurteilt. Zudem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen. Nach der Berufung richtete der Angeklagte seine Revision gegen diese und rügte darin die Verletzung des materiellen Rechts.

    Nach Auffassung des OLG München hat die Revision des Angeklagten aus folgenden Gesichtspunkten Erfolg:

    Die Vorahndungen des Angeklagten, zwei bereits abgeurteilte Verkehrsdelikte, unterlagen einem Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8, Satz 1, 2 StVG und durften somit dem Angeklagten nicht zur Last gelegt und berücksichtigt werden. Fraglich war jedoch der Zeitpunkt der Tatbegehung im Hinblick auf die Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuregelung.

    Das OLG München führt dazu aus:

    „Nach der genannten Bestimmung – in der hier noch maßgeblichen Fassung – dürfen Vorstrafen eines Angeklagten für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG, das heißt hier nach § 28 Abs. 2 Nr. 3 StVG für die Ahndung der Verstöße einer Person, die wiederholt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen hat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif ist; unterliegen diese Eintragungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist, dürfen sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den Vorschriften des § 29 StVG entspricht, nicht mehr zum Nachteil eines Angeklagten verwertet werden, selbst wenn die früheren Verurteilungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Sind Entscheidungen im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif, aber noch im Bundeszentralregister aufgeführt, gilt das mit umfassender Wirkung ausgestattete Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 StVG gleichwohl, denn den Tilgungsfristen des § 29 StVG – in der hier maßgeblichen Fassung – liegt der Gedanke der Bewährung im Sinne der Verkehrssicherheit zugrunde, während es bei den Tilgungsfristen und dem Verwertungsverbot nach dem Bundeszentralregistergesetz um eine Umsetzung des Resozialisierungsgedankens geht (ständige Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 16.10.2009 – 4St RR 142/09; OLG München NStZ-RR 2008, 89 = NZV 2008, 216; ferner KG NJW 2009, 1015 und VRS 106,130/131 jeweils m.w.N. sowie BayObLG DAR 1996, 243).“

    Die vorangegangenen Ahndungen (Vorstrafen) vom 16.03.2000 und die vom 30.09.1994 durften angesichts dessen nicht mehr zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden. Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8, Satz 1, 2 StVG war folglich anzuwenden.

    Ferner führt das OLG München aus:

    “Bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des sachlichen Rechts (vgl. für das Verwertungsverbot nach dem BZRG BGH St 24, 378/ 382; vgl. ferner Fischer StGB 56. Aufl. § 2 Rn. 6; Dannecker in LK StGB 12. Aufl. § 2 Rn. 27; Schmitz in MünchKomm StGB § 2 Rn. 10).“

    Auch ist die Neuregelung des § 29 Abs. 8  S. 4 StVG am 12.01.2009 in Kraft getreten und vorher bereits verkündet worden. Die hier zu entscheidenden Straftaten sind zwar am 11.02.2008 begangenen worden und unterlagen daher dem zum Tatzeitpunkt geltenden Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 S. 2 StVG, jedoch ist im Sinne des in § 2 Abs. 3 StGB verankerten Rückwirkungsverbots aus dem Schutzzweck des Art. 103 Abs. 2 GG das „Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG als mildestes Gesetz anzuwenden“. Das mildeste Gesetz, das zwischen Tat und Verurteilung aufgrund einer Gesetzesänderung in Betracht kommt, genießt daher zugunsten des Angeklagten den Vorrang.

    Somit hat die Revision vor dem OLG München Erfolg. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben und mit den zugrunde liegenden Feststellungen zurückzuverweisen.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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