Schuld

  • BGH, Urteil vom 03.05.2011, Az.: 1 StR 100/11

    Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Angeklagte wegen Betruges in 113 Fällen – unter Freispruch im Übrigen – zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt, wobei zwei Urteile einbezogen wurden. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Revision ein.
    Die Frau habe nach Feststellungen des Landgericht unberechtigt EC-Karten benutzt, um Bekleidungsstücke, Lebensmittel und Spirituosen zu erwerben. Dabei entstand ein Gesamtschaden von über 11.000 €. Die Waren verkaufte sie weiter und benutzt das Geld für die Beschaffung von Amphetamin. In fünf weiteren Fällen schloss sie unter einer anderen Identität Mobilfunkverträge ab, wodurch ein Schaden von über 1.000 € entstand.
    Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sei diese Strafe vertretbar niedrig. Zudem seien Aspekte der Strafvollstreckung berücksichtigt worden, nämlich die bisher positiv verlaufende Drogentherapie.

    Der Strafsenat führt dazu aus:

    „Die Einbeziehung der Auswirkungen der Strafhöhe auf die Therapie, in der sich die Angeklagte derzeit befindet, liegt hier noch im Rahmen der nach § 46 StGB zulässigen Strafzumessungserwägungen.“

    „Mit der Erwägung, diesen Erfolg der Therapie zu stabilisieren und nicht zu gefährden, hat das Landgericht auf die Wirkung der Strafe für das zukünftige Leben der Angeklagten abgestellt. Da hierbei von maßgeblicher Bedeutung ist, dass die unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG begonnene und weit fortgeschrittene Therapie nicht unterbrochen wird, durfte die Strafkammer bei der Festsetzung der Gesamtstrafe – unter Einbeziehung der Verurteilung, die bislang die Grundlage für den Vollstreckungsaufschub bot – auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BtMG in den Blick nehmen, solange das Maß des Schuldangemessenen nicht unterschritten wird.
    Die dazu von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, die von der Strafkammer gebildete Gesamtstrafe stelle keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar, ist zwar nicht fern liegend. Der Senat vermag sie im vorliegenden Fall letztlich nicht zu teilen. Die Taten haben einen gemeinsamen Ursachenzusammenhang. Sie beruhen auf der – weitgehend überwundenen – Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten. Dies rechtfertigt hier einen engen Zusammenzug bei der Bildung der Gesamtstrafe, ein Vorgang, der sich mathematischer Betrachtung ohnehin entzieht. Schematismus ist hierbei ebenso nicht angebracht (BGH, Urteil vom 8. August 2001 – 1 StR 291/01). Der Tatrichter darf sich bei der Gesamtstrafenbildung nicht von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (BGH, Beschluss vom 25. August 2010 – 1 StR 410/10). Unter Berücksichtigung der weiteren Begründung der Strafkammer zur Festsetzung der Gesamtstrafe, vermag der Senat auch insoweit keinen Rechtsfehler zu erkennen. Die Rechtsfolge weicht hier noch nicht nach unten von dem ab, was als gerechter Schuldausgleich noch angesehen werden kann.“

    Somit schließt sich der BGH der Auffassung des Landgerichts an. Eine bereits begonnene Drogentherapie kann daher auch bei der Strafzumessung positiv berücksichtigt werden. Insbesondere ist dies gerechtfertigt, wenn die Berücksichtigung dazu dient, die Therapie nicht zu unterbrechen.


  • 4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 514/09

    Der Angeklagte ist vom Landgericht Frankenthal wegen Beihilfe zum Betrug in insgesamt elf Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt worden. Die Verfahrensverzögerung, die im Zwischenverfahren eingetreten war, hat das LG dahingehend kompensiert, dass es vier Monate der Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kann hiermit einen Teilerfolg erzielen.

    Wie der 4. Strafsenat feststellt, ist die Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug in einem der vom Landgericht aufgeführten Fälle aufgrund der eingetreten Verjährung rechtsfehlerhaft. Auch ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Ludwigshaften ist danach nicht geeignet gewesen, „eine Unterbrechung der Verjährungsfrist gemäß § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB herbeizuführen, da er nicht die Beteiligung des Angeklagten an Taten des H. A. betraf“.

    Den betroffenen Verfahrensteil stellt der Senat somit ein und ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Allerdings führt die Einstellung von diesem Verfahren in der Strafzumessung nicht zu einer Aufhebung der Gesamtstrafe.

    Auszug aus dem Wortlaut der Entscheidung:

    „Der mit der Teileinstellung verbundene Wegfall der Einzelstrafe von vier Monaten würde zwar für sich genommen angesichts der Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen nicht zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe führen. Die Strafzumessung begegnet aber aus anderen Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden anwaltsrechtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschl. vom 27. August 1987 – 1 StR 412/87, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 46 Rdn. 9 m.w.N.).“

    Es ist daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht angesichts dieser Feststellungen insgesamt unter Berücksichtigung der erheblichen beruflichen Konsequenzen für den Angeklagten als Rechtsanwalt zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre. Die Entscheidung ist daher an den neuen Tatrichter zurückzuverweisen.

    Zudem wirken sich die Feststellungen des Senats auch auf die Kompensation wegen der hier vorliegenden und der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen aus. In Betracht kommt in diesem Fall ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als Regelung zur Verfahrensverzögerungen zu Lasten des Angeklagten. Einzig die Bemessung der Kompensation bedarf einer Überprüfung und neuen Entscheidung.

    Hierzu führt der Senat aus:

    „Die Revision beanstandet insoweit zu Recht, dass es nicht nur im Zwischenverfahren, sondern auch während des Ermittlungsverfahrens zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gekommen ist, weil das Verfahren nach Fertigung des Abschlussberichts der Polizei bis zur Anklageerhebung nicht erkennbar gefördert wurde. Dagegen hält sich die Zeitspanne zwischen dem Eingang der Revisionsbegründung und der Übersendung der Akten an den Generalbundesanwalt, wie dieser in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, trotz der zwischenzeitlichen Herbeiführung einer Beschwerdeentscheidung zur Frage einer ordnungsgemäßen Vertretung des Angeklagten durch einen weiteren Verteidiger innerhalb der üblichen Verfahrensdauer.“

    Folglich wird der neue Tatrichter auch über die Kompensation der der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen im Ermittlungsverfahren neu zu entscheiden haben. Dabei wird er sich an den vom Großen Senat für Strafsachen aufgestellten Maßstäben zu halten und die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen haben, wobei der 4. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung – in dieser Form eher ungewöhnlich – konkrete Vorgaben hinsichtlich der Höhe der Kompensation macht:

    „Die Anrechnung hat sich aber im Regelfall auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken (vgl. BGHSt 52, 124, 146 f.; BGH, Urt. vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08; Beschl. vom 11. März 2008 – 3 StR 54/08; Senatsbeschl. vom 24. November 2009 – 4 StR 245/09). Im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO darf im vorliegenden Fall der nach Abzug des für vollstreckt zu erklärenden Teils der schuldangemessenen Strafe verbleibende Strafanteil jedenfalls acht Monate nicht übersteigen.“


  • Az: OLG München, Beschl. v. 25.07.2008 – 4 St RR 107/08

    Im vorliegenden Fall wurden der Angeklagte sowie sein Beifahrer schlafend gegen 3:15 Uhr im Auto des Angeklagten aufgefunden. Um 3:51 wurde dem Angeklagten sodann eine Blutprobe entnommen, die eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,68 Promille ergab. Das Amtsgericht München hatte den Angeklagten im Wege des Strafverfahrens später wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt sowie eine Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Als auch die Berufung keinen Erfolg brachte, wandte sich der Angeklagte in seiner Revision an das OLG München.

    Dieses hatte nun das vorangegangene Urteil auf Rechtsfehler zu überprüfen. In dem Beschluss stellten die Richter des OLG fest, dass das LG München die Schuldunfähigkeit des Angeklagten aufgrund des alkoholisierten Zustandes nicht berücksichtigt hätte. Eine Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den frühestmöglichen Tatzeitpunkt gegen 1:00 Uhr würde angesichts der zugrunde gelegten Rechnung eines stündlichen Abbauwertes von 0,2 Promille sowie eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille einen Maximalwert von 2,45 Promille ergeben. Ob jedoch der Angeklagte angesichts dieser BAK zum möglichen Zeitpunkt der Tat in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unbeeinträchtigt oder aufgrund des Alkoholrausches im Sinne des §21 StGB erheblich vermindert war, wurde vom LG nicht konkret geprüft und daher auch nicht berücksichtigt. Grundsätzlich ist die Schuldfähigkeit des Täters zum Zeitpunkt der Tat stets zu prüfen.

    Dazu das OLG München:

    “Unabhängig davon, ob eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafrahmenverschiebung gem. §49 Abs. 1 StGB führt, ist die Stellung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten stets erforderlich, da die Strafzumessung im wesentlichen auf der Frage des Maßes der Schuld beruht. Das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit verringert nämlich grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat (Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 16.06.2004 – 1 Ss 50/04 – bei juris unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 1996, 161).“

    Folglich ist es nach Ansicht des OLG München nicht auszuschließen gewesen, dass das Landgericht München unter Berücksichtigung der möglichen Strafmilderung gemäß §21 StGB zu einem geringeren Schuldmaß gelangt wäre, das zu einer geringeren Geldstrafe des Angeklagten führt. Angesichts dessen wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben, ob die Voraussetzungen der Strafmilderung vorliegen. Doch bedarf dieses einer ausgiebigen Prüfung der generellen Schuldfähigkeit.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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