Steuerungsfähigkeit

  • Dem Angeklagten wurden vom Landgericht Limburg (LG Limburg) in einem Strafprozess unter anderem der Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischen Bildern vorgeworfen. Der Angeklagte wurde bereits einige Jahre zuvor polizeilich auffällig. Er überreichte Schülerinnen von einer Mädchenschule Briefe und suchte vermehrt Kontakt mit ihnen. Dabei überschritt er jedoch keine strafrechtlichen Grenzen.

  • Bietet der Werdegang des Angeklagten Hinweise auf eine mögliche Schuldunfähigkeit, muss im Urteil darauf eingegangen werden.

    Der 58-jährige Angeklagte war bereits mehrfach wegen Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr, versuchter Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Im konkreten Fall klingelte er alkoholisiert bei einer Nachbarin, um sich ein Taxi rufen zu lassen, da er selbst kein Telefon besaß. Als diese die Tür einen Spalt öffnete, erklärte er der Geschädigten, dass er mit ihr Sex haben möchte und griff sich in den Schritt. Zusätzlich versuchte er gewaltsam die Tür weiter aufzustemmen. Als dies scheiterte, ging er um das Haus zum Wohnzimmerfenster und entblößte sich.

  • Es muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, dass der Täter in Zukunft weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

    Der Angeklagte leidet seit 1997 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit inhaltlichen Denkstörungen, paranoider Symptomatik und teilweise eindeutig wahndeterminiertem Verhalten. Eine im Jahr 2004 angeordnete Unterbringung nach § 63 StGB wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte befand sich daraufhin in einer Therapieeinrichtung.

    Nach der Feststellung des Landgerichts Trier führte er gegen den Willen einer sich ebenfalls in der Therapieeinrichtung befindenden schwerbehinderten Frau den Oralverkehr mit ihr durch. Die Strafkammer hielt den Angeklagten zur Tatzeit für schuldunfähig. Aus diesem Grund sprach das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung frei, ordnete jedoch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Dagegen wehrt sich die Strafverteidigung des Angeklagten mit der Revision.

    Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist ein besonders gravierender Eingriff in die Rechte des Betroffenen. Aus diesem Grund muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, dass der Täter in Zukunft weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht dafür nicht aus.

    Ein Sachverständiger vor dem Landgericht führte aus, dass beim Angeklagten die Bereitschaft zur Gewalt eher gering bis moderat ausgeprägt sei. Er attestierte dem Angeklagten eine moderate bis deutliche Rückfallgefahr:

    „Ohne Therapie oder andere risikosenkende Maßnahmen sei eine Rückfallfreiheit zwar möglich, jedoch nicht wahrscheinlich. Im Weiteren wird ausgeführt, die Legalprognose sei „aktuell sehr ungünstig, im günstigsten Fall neutral“. In Freiheit sei mit „deutlicher“ Wahrscheinlichkeit wieder mit Delinquenz zu rechnen; bei nicht genügender Medikation sei „durchaus“ mit Gewaltdelikten, wie Körperverletzungen aber auch mit Sexualstraftaten und Tötungsdelikten zu rechnen.“

    Der Bundesgerichtshof (BGH) kritisiert, dass das Landgericht zwar von zukünftigen erheblichen rechtswidrigen Taten überzeugt war, jedoch nicht klar machte, was für Taten zu erwarten seien. Ebenfalls seien die Ausführungen des Sachverständigen nicht geeignet, um eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu belegen.

    Aus diesem Grund hebt der BGH das Urteil des Landgerichts auf. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Revision hatte insoweit Erfolg.

    BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012, Az.: 2 StR 180/12

  • Es ist nicht selbstverständlich, dass eine in ihrer Steuerungsfähigkeit verminderte Person die Gefährlichkeit ihres Handelns erkennt.

    Das Landgericht Lüneburg verurteilte den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Die Strafverteidigung wehrt sich dagegen mit der Revision.

    Der Angeklagten wurde vorgeworfen, dass sie zur Mittagszeit ihren Ehemann, der örztliche Blutgerinnungshemmer erhielt, mit Tötungsvorsatz mehrere Rissverletzungen am Kopf zufügte. Der Mann erlitt daraufhin einen Kreislaufzusammenbruch und starb innerhalb einer halben Stunde. Die Angeklagte, die neben einer Alkoholabhängigkeit auch unter einer komplexen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und zwanghaften Anteilen leidet, hatte am Tatabend eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille.

    Den Tötungsvorsatz hat das Landgericht aufgrund der Gefährlichkeit der Tatausführung, der Kenntnis der Angeklagten von der Medikamentierung und des Unterlassens von Rettungsbemühungen geschlossen. Auch erkannte das Landgericht keine Anhaltspunkte, dass die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit ihres Handelns nicht erkennen konnte.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bezüglich dieses Rückschlusses Bedenken. Das Landgericht bestätigte der Angeklagten eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zur Tat. Daher müssen, wenn von der Gefährlichkeit der Tatausführung auf den Tötungsvorsatz geschlossen werden will, alle subjektiven und objektiven Umstände umfangreich abgewogen werden.

    Es versteht sich nicht von selbst, dass ein Täter, der – wenn auch lediglich nicht ausschließbar – aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und Alkoholintoxikation in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tod des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011, aaO).

    In diesem Fall wurden dem Opfer lediglich grundsätzlich nicht lebensbedrohliche Risswunden zugefügt. Somit ist die Lebensbedrohlichkeit nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Daher hätte sich das Landgericht in diesem Fall näher mit dem Willenselement befassen müssen. Aus diesem Grund wird der Schuldspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

    BGH, Beschluss vom 28. Februar2012, Az.: 3 StR 17/12

  • Äußeres Tatverhalten hat lediglich eine Indizwirkung für das innere Hemmungsvermögen.

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht Mühlhausen wegen Totschlags an seiner Lebensgefährtin zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richtete die Strafverteidigung die Revision.

    Das Landgericht hat beim Angeklagten eine verminderte Einsichtsfähigkeit und aufgrund eines vorhanden hirnorganischen Psychosyndroms auch eine verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen. Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit schließt das Gericht jedoch aus und beruft sich dabei auf einen Sachverständigen. Dieser führte an, dass das Vor- und Nachtatverhalten des Angeklagten bezüglich der äußerlichen Gesichtspunkte nach gesteuertem Verhalten aussah.
    Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt dagegen klar, dass die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB bezogen auf die Tathandlung geprüft werden muss. Äußeres Verhalten kann lediglich indiziell herangezogen werden. In diesem speziellen Fall drängt sich solch eine Indizwirkung jedoch nicht auf:

    „Denn für das spezifische Zustandsbild eines hirnorganischen Psychosyndroms mit abnormer Reaktion schon auf geringe Mengen von Alkohol, einem charakteristischen „Haften am Affekt“ und anschließender Amnesie ist der Umstand, dass der Täter äußerlich ruhig und zielstrebig vorgeht, allenfalls von geringem Indizwert für das tatsächlich gegebene Bild des inneren Hemmungsvermögens. Dass der Angeklagte „gesteuert“ seinen Revolver geholt und geladen, das Tatopfer ohne erkennbare emotionale Regung zunächst angeschossen und dann mit einem – von ihm als „Fangschuss“ bezeichneten – zweiten Schuss vor zwei Zeugen erschossen und die Waffe danach sorgfältig wieder verwahrt hat, hat in seinem äußeren Ablauf, gerade auch aufgrund dieser sehr ungewöhnlichen Umstände, keinen ohne weiteres erkennbaren Erklärungswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten.“

    Aus diesem Grund wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Revision hatte damit Erfolg.

    BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012, Az.: 2 StR 82/12

  • BGH, Beschluss vom 25.05.2011, Az.: 2 StR 585/10

    Das Landgericht Mainz hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Im Prozess wurde ein Gutachten zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erstellt. Danach war seine Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt. Zudem wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein.

    Der BGH hat zwar den Schuldspruch nicht beanstandet. Allerdings…

    „…hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es sei unbedenklich, dass die unter anderem mit der Schuldfähigkeitsbegutachtung beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. K.      die Durchführung einer Exploration des Angeklagten „einer erfahrenen Hilfskraft mit der Qualifikation einer Diplom-Psychologin übertragen“ hat. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hat die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung. Es besteht daher ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (vgl. Schmid, Krank oder böse? Die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter „Psychopaths“ sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 479; Schnoor, Beurteilung der Schuldfähigkeit – eine empirische Untersuchung zum Umgang der Justiz mit Sachverständigen, 2009, S. 125 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; s. auch § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss – jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) – eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus. Die Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vermag die eigene Exploration nicht zu ersetzen.“

    „Der Katalog der Straftaten, deren Begehung zur Anordnung oder zum Vorbehalt dieser Maßregel der Besserung und Sicherung führen kann, ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 neu gefasst worden. Zu diesem gehört das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht, soweit die Tat nicht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 2 und 3 Satz 1 StGB). Gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB ist das neue Gesetz für vor seinem Inkrafttreten begangene und noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Taten maßgeblich, wenn es gegenüber der bisherigen Rechtslage milder ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 2 StR 642/10). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Senat hat daher entsprechend § 354a i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO in der Sache entschieden und angeordnet, dass die Maßregel entfällt.“

    Damit stellt der BGH klar, dass ein vom Gericht bestellter Sachverständiger die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung hat. Er könne diese Aufgabe in aller Regel nicht delegieren. Zudem hat der BGH in dieser Entscheidung betont, dass der Tatrichter das Gutachten selbstständig bewerten muss und sich gegebenenfalls auch sachkundig machen muss, sofern dies zum Beispiel für das Verständnis eines Gutachtens erforderlich ist. Nichtsdestotrotz hat der BGH die Verurteilung nicht aufgehoben, da ausgeschlossen wurde, dass das Urteil des Landgericht auf den genannten Rechtsfehlern beruht. Lediglich die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung wurde aufgehoben, da sie aus Gründen des materiellen Rechts keinen Bestand hatte.


  • 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 3 StR 410/10

    Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus in einem Strafprozess wegen sexuellem Missbrauch Widerstandsunfähiger angeordnet.
    Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde:
    Der Beschuldigte habe in drei Fällen die Hose der zu 100 % geistig behinderten Zeugin geöffnet und jeweils einen Finger in deren Scheide eingeführt. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung sei die Geschädigte unfähig gewesen, die von ihr abgelehnten sexuellen Übergriffe abzuwehren. Dies habe der Beschuldigte ausgenutzt, obwohl er gewusst habe, dass die Frau die sexuellen Handlungen nicht wollte und aufgrund ihrer Behinderung zum Widerstand außerstande war. Wegen eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen Frontalhirnsyndroms, das tiefgreifende Veränderungen in der Äußerung der Affekte, Bedürfnisse und Impulse bewirkt hatte, sei der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Taten nicht in der Lage gewesen, sein Verhalten entsprechend seiner erhalten gebliebenen Unrechtseinsicht zu steuern.

    Aufgrund dieser Feststellung ging das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit in drei Fällen eine widerstandsunfähige Person sexuell missbraucht habe. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet, weil vom Beschuldigten in vergleichbaren Reizsituationen gleichartige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

    Gegen diese Entscheidung des Landgerichts legte der Beschuldigte Revision ein.

    Der 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat der Revision des Beschuldigten stattgegeben, die Verteidigung in der Revisionwar erfolgreich. Hinsichtlich der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bestünden durchgreifende rechtliche Bedenken.
    So habe das LG hat zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten wegen einer krankhaften seelischen Störung bei den ihm zur Last liegenden Taten aufgehoben gewesen sei. Durch die Beweiswürdigung würde aber nicht die für den objektiven Tatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entscheidende Feststellung belegt, dass die Geschädigte bei den sexuellen Übergriffen widerstandsunfähig gewesen sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 I Nr. 1 StGB ist, wer aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann. Dabei genügt es, dass das Tatopfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist. Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kommen nicht nur geistig-seelische Erkrankungen, sondern auch sonstige geistig-seelische Beeinträchtigungen in Betracht, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation infolge Überraschung, Schreck oder Schock ergeben. Der Tatrichter hat aufgrund einer Gesamtbetrachtung, in die auch das aktuelle Tatgeschehen einzubeziehen ist, die geistig-seelische Verfassung des Tatopfers und deren Auswirkungen auf das Opferverhalten zu prüfen und in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 15. März 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147).
    Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat seine Überzeugung von der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten nicht begründet, so dass für den Senat nicht nachprüfbar ist, ob sie zu Recht von einer psychischen Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ausgegangen ist.“

    Der 3. Strafsenat des BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.


  • 2. Strafsenat des OLG Naumburg, Az.: 2 Ss 85/10

    Der Angeklagten wurde vom AG Halle vom Vorwurf der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Daraufhin hob das LG Halle das Urteil auf und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen á 8 €. Zudem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen. Der Angeklagte rügte dies mit dem Rechtsmittel der Revision.

    Der 2. Strafsenat ist der Ansicht, dass die bisherigen Feststellungen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht tragen würden, da nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte schuldunfähig gewesen sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung war der Angeklagte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert. Die ihm um 09.10 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,83 ‰ auf. Es errechnet sich zur Tatzeit eine mögliche Blutalkoholkonzentration von 3,23 ‰. Bei Blutalkoholkonzentrationen von 3 g ‰ und mehr sind die Voraussetzungen des § 20 StGB stets zu prüfen und in der Regel auch gegeben (BGH StV 1991, 297).

    Ob die Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen ist, muss der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen. Dabei muss er neben der errechneten Blutalkoholkonzentration alle wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände berücksichtigen. Dies Umstände beziehen sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat (BGH NStZ 1995, 539).

    Das heißt für die Schuldfähigkeit konkret:

    „Wird eine Schuldfähigkeit bei hohen BAK-Werten bejaht, bedarf dies näherer Begründung und setzt meist die Anhörung eines Sachverständigen voraus. Der Verzicht auf einen Sachverständigen ist nur dann möglich, wenn es an den tatsächlichen Grundlagen für das zu erstattende Gutachten fehlt oder das Gericht ausnahmsweise, etwa in einfacheren Fällen der Feststellung und Bewertung der Blutalkoholkonzentration oder sonst bei Vorliegen von besonderem richterlichen Erfahrungswissen auf bestimmten Teilbereichen über die erforderliche besondere Sachkunde verfügt, was dann in der Regel näher darzulegen ist (OLG Koblenz VRS 104, 300; OLG Rostock Beschluss vom 22.03.2001 1 Ss 244/00).“

    Auf die Revision des Angeklagten wurde das Urteil des LG Halle mit den Feststellungen, soweit diese nicht das äußere Tatgeschehen betreffen, aufgehoben.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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