Strafaussetzung

  • Zum besseren Verständnis einer Strafe als Bewährungsstrafe (Vergabe, Auflagenerfüllung und ggf. Strafverteidigung gegen den Widerruf der Bewährung) muss man zunächst ein bisschen tiefer in die Sanktionsmöglichkeiten des Strafrechts eintauchen:

    Das deutsche Strafrecht kennt bei Erwachsenen als Hauptstrafen lediglich die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe. Als Nebenstrafe steht beispielsweise noch das Fahrverbot aus § 44 StGB zur Verfügung. Dies wird zum Beispiel bei Alkoholfahrten verhängt, wenn die Promille-Grenzen im Straßenverkehr nicht eingehalten wurden.

    Die Strafen haben ganz unterschiedliches Gewicht. Gibt es für leichte und mittlere Kriminalität meist lediglich eine Geldstrafe, ist man bei schwerer Kriminalität oder wiederholten Taten schnell bei einer Freiheitsstrafe.

  • Die Staatsanwaltschaft München will laut Medienberichten noch in diesem August Anklage gegen den Präsidenten des FC Bayern wegen Steuerhinterziehung erheben. Dabei soll Uli Hoeneß bei der vermeintlichen Steuerhinterziehung aber noch Glück haben, denn Taten in Bezug zu 2,3 Millionen Euro der rund 3,2 Millionen Euro Steuern, die er hinterzogen haben soll, sind anscheinend bereits verjährt.

  • Die Freiheitsstrafe hat massive negative Auswirkungen auf das Leben eines Menschen. In der Regel geht die Entziehung der Freiheit mit einem Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung daher. Zusätzlich drohen auch gesellschaftliche Nachteile. Aus diesem Grund sieht das Gesetz für Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren die Möglichkeit der Aussetzung auf Bewährung gemäß § 56 StGB vor, die mit Hilfe eines Rechtsanwalts bzw. Strafverteidigers im Prozess angezielt werden kann.

  • Bietet der Werdegang des Angeklagten Hinweise auf eine mögliche Schuldunfähigkeit, muss im Urteil darauf eingegangen werden.

    Der 58-jährige Angeklagte war bereits mehrfach wegen Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr, versuchter Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Im konkreten Fall klingelte er alkoholisiert bei einer Nachbarin, um sich ein Taxi rufen zu lassen, da er selbst kein Telefon besaß. Als diese die Tür einen Spalt öffnete, erklärte er der Geschädigten, dass er mit ihr Sex haben möchte und griff sich in den Schritt. Zusätzlich versuchte er gewaltsam die Tür weiter aufzustemmen. Als dies scheiterte, ging er um das Haus zum Wohnzimmerfenster und entblößte sich.

  • Das Landgericht Bonn hat die Angeklagte wegen veruntreuender Unterschlagung in 28 Fällen sowie wegen gewerbsmäßiger Verletzung der Gemeinschaftsmarke in acht Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich begangen mit zwei weiteren Fällen der gewerbsmäßigen Verletzung der Gemeinschaftsmarke zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, von denen zwei Monate als vollstreckt gelten.

  • BGH, Urteil vom 30.06.2011, Az.: 3 StR 39/11

    Das Landgericht Düsseldorf hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten.
    Im Prozess gestand der Angeklagte die Tat. Anschließend kam es zu einer Unterbrechung der Sitzung und einer Verständigung bezüglich der Mitangeklagten. Der Strafverteidigung des Angeklagten wurde in Anwesenheit aller Beteiligten nach Feststellungen des BGH zugesichert, dass dieser „sowieso Bewährung“ bekäme. Erst in der Urteilsverkündung wurde klar, dass der Angeklagte einer unbedingt Freiheitsstrafe erhalten solle.
    Nach Ansicht des BGH hält die Entscheidung die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

    Aus dem Urteil:

    „Vor diesem Hintergrund macht die Revision mit Recht geltend, dass das Landgericht den Angeklagten nicht zu einer Strafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung hätte verurteilen dürfen, ohne diesen zuvor davon zu unterrichten, dass es entgegen der Ankündigung des Vorsitzenden beabsichtige, eine solche Strafe zu verhängen.
    Allerdings begründet nicht jede Äußerung des Gerichts oder eines seiner Mitglieder, die im Laufe des Strafverfahrens abgegeben wird, ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahin, dass von der darin zutage getretenen Einschätzung einer materiell- oder verfahrensrechtlich relevanten Frage nicht abgewichen wird, solange kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist. Äußert sich etwa der Vorsitzende eines Spruchkörpers in einem Gespräch, das er im Lauf des Zwischenverfahrens mit dem Verteidiger des Angeklagten führt, zu einem denkbaren Ergebnis der Hauptverhandlung, so ist für den Angeklagten und seinen Verteidiger unschwer erkennbar, dass es sich hierbei um eine vorläufige, mit den übrigen Mitgliedern des Spruchkörpers nicht abgestimmte Beurteilung handelt, der schon für sich keinerlei Festlegung zukommt und der durch den Gang der Hauptverhandlung ohne weiteres die Grundlage entzogen werden kann. Ein Hinweis darauf, dass an der ursprünglichen Bewertung nicht mehr festgehalten wird, ist daher nicht erforderlich.
    Anders liegt es hingegen dann, wenn die Äußerung geeignet ist oder gar darauf abzielt, die Verfahrensführung oder das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie bei fortgeschrittener Hauptverhandlung auf der Grundlage eines bereits weitgehend gesicherten Beweisergebnisses in (scheinbarer) Abstimmung mit den weiteren Gerichtspersonen abgegeben wird. Hier bedarf es in der Regel eines vorherigen Hinweises, wenn von dem Inhalt der Äußerung abgewichen werden soll.
    Eine solche, dem Rechtsgedanken des § 265 StPO folgende, der prozessualen Fürsorgepflicht und Verfahrensfairness entsprechende Verpflichtung ist etwa im Bereich des Beweisantragsrechts anerkannt. Hat beispielsweise der Vorsitzende dem Angeklagten auf einen vor der Verhandlung angebrachten Beweisantrag mitgeteilt, die Entscheidung über den Antrag werde in der Verhandlung ergehen, so ist er entweder verpflichtet, dafür zu sorgen, dass diese Zusicherung eingehalten wird, sich das erkennende Gericht also mit dem Antrag befasst, oder er muss darauf hinweisen, dass der Antrag in der Hauptverhandlung zu wiederholen ist. Sofern nicht der Wille des Angeklagten, von dem Antrag ohnehin Abstand zu nehmen, zweifelsfrei erkennbar wird, kann eine Verletzung dieser Pflicht die Revision begründen. Nichts anderes gilt, wenn das Verhalten des Vorsitzenden in sonstiger Weise in einem Verteidiger den irrigen Glauben hervorruft, dass ein von diesem vor der Verhandlung eingereichter Antrag eine Sachlage geschaffen habe, die eine Wiederholung des Antrags nicht erforderlich mache. Erklärt der Vorsitzende etwa im Hinblick auf den vor der Hauptverhandlung angebrachten Beweisantrag, die dort aufgestellte Behauptung könne als wahr angenommen werden, so braucht der rechtskundige Verteidiger ohne entsprechenden Hinweis mit einer abweichenden Auffassung des erkennenden Gerichts nicht ohne weiteres zu rechnen (siehe insgesamt LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 123 mwN).“

    Damit stellt der BGH klar, dass zwar nicht jede Äußerung des Gerichts ein berechtigtes Vertrauen eines Angeklagten auf eine Bewährungsstrafe schafft. Allerdings sei dies im vorliegenden Fall geschehen, da die Äußerung so eindeutig war, dass eine Fürsorgepflicht des Gerichts entstanden sei. Dies folge schon aus dem Rechtsgedanken des § 265 StPO. Aus diesem Grund konnte das Landgericht den Angeklagten nicht ohne vorherigen Hinweis zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass es nicht zu einer förmlichen Verständigung im Sinne von § 257c StPO gekommen ist. Folglich war das Landgericht hier an die Zusage einer Bewährungsstrafe gebunden.


  • OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.04.2011, Az.: 1 Ws 190/11

    Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung weiterer Strafen zu einer Jugendstrafe von 8 Monaten verurteilt. Dabei wurde ihm zunächst die Strafaussetzung gewährt, später aber widerrufen und die Strafe zu 2/3 vollstreckt.

    Der Strafrest wurde mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg zur Bewährung ausgesetzt. Dabei wurde der Verurteilte der Leitung und Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt und es wurde ihm auferlegt, im Anschluss an die Haftentlassung eine Suchttherapie anzutreten und ordnungsgemäß abzuschließen. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt.

    Der Mann wurde allerdings nach ca. zwei Monaten aus der Therapieeinrichtung disziplinarisch entlassen. Entgegen seiner Angabe, kümmerte er sich in der Folgezeit nicht um einen neuen Therapieplatz. Den Kontakt zur Bewährungshilfe brach er auch ab.
    Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg hat mit Beschluss die Strafaussetzung widerrufen, weil der Verurteilte keinen Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen hatte und den Nachweis seiner Drogenabstinenz schuldig geblieben sei.
    Gegen diesen Beschluss legte der Verurteilte durch seine Strafverteidigung die sofortige Beschwerde ein. Begründet hat er diese insbesondere mit seinem Lebenswandel. So habe er seit der Entlassung keine Straftat mehr begangen und sein Leben grundlegend geändert. Dies zeige sich vor allem darin, dass er den Kontakt zu seinem früheren Umfeld abgebrochen hat, drogenfrei lebe und seine Ausbildung fortsetze.

    Die Strafverteidigung hatte Erfolg, auf die Beschwerde des Betroffenen hat das OLG Oldenburg den Widerruf aufgehoben:

    „Nach dem vom Senat eingeholten aktuellen Strafregisterauszug hat der Verurteilte seit dem 20. Januar 2007 – mithin seit über 4 Jahren und damit auch in der Bewährungszeit – keine Straftat mehr begangen. Auch von neuen Ermittlungsverfahren ist nichts bekannt; Anklagen o. ä. sind zu dem vorliegenden Verfahren nicht mitgeteilt worden. Dies spricht für die Richtigkeit der Angaben des Verurteilten, er habe seine Lebensführung positiv verändert. Jedenfalls besteht kein ausreichend tragfähiger Anhaltspunkt, von etwas anderem auszugehen, zumal gerade vor dem Hintergrund seiner früheren Drogenabhängigkeit ansonsten neue Betäubungsmittel- oder Beschaffungsdelikte des Verurteilten kaum ausgeblieben wären.
    Eine Besorgnis künftiger Straftaten kann auch nicht tragfähig daraus abgeleitet werden, dass der Verurteilte die ihm auferlegte Therapie nicht durchgestanden und eine neue nicht begonnen hatte. Nachdem dieses Verhalten von der Strafvollstreckungsbehörde und der Strafvollstreckungskammer letztlich ohne Konsequenzen hingenommen wurde, kann – jedenfalls bei dem sonstigen jetzigen Erkenntnisstand – darauf nunmehr nicht mehr rekurriert werden. Auch dass der Verurteilte sich keinen Urinkontrollen unterzogen hat, reicht nicht aus, um eine derzeit gegebene Gefahr neuer Straftaten zu bejahen, zumal dem Verurteilten solche Kontrollen im Bewährungsbeschluss nicht auferlegt worden waren.
    Da kein Widerrufsgrund vorliegt, stellt sich nicht die Frage nach einer Verlängerung der Bewährungszeit oder anderen ausreichenden Maßnahmen im Sinne von § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB, vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 56f Rdn. 14. Jedoch hat der Senat in Anwendung von § 56e StGB die Therapieweisung und die Bewährungshilfeunterstellung aufgehoben, die nach dem derzeitigen Stand der Bewährung und auch in Hinblick auf den Ablauf der Bewährungszeit bereits im Juli 2011 nicht mehr zielführend sind.“

    Damit stellt das OLG klar, dass für einen Widerruf der Strafaussetzung nach §§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; 57 Abs. 5 Satz 1 StGB Anlass zur Besorgnis bestehen müsse, dass erneut Straftaten begangen werden. Das LG kann den Widerruf aber nicht damit begründen, dass die im Bewährungsbeschluss auferlegte Drogentherapie abgebrochen wurde oder nicht ausreichende Kontakt zur Bewährungshilfe gehalten wurde, da der Verurteilte seinen positiven Lebenswandel dargelegt hat.

    Das OLG Oldenburg hob daher den mit der sofortigen Beschwerde angegriffenen Beschluss auf und der Beschwerdeführer muss nicht ins Gefägnis, da keine Widerrufsgrund der Strafaussetzung zur Bewährung vorliegt.


  • 1. Strafsenat des OLG Oldenburg, Az.: 1 Ss 51/10

    Der Angeklagte wurde vom AG Leer wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Berufung ein. Das LG Aurich setzte daraufhin die Freiheitsstrafe auf sechs Monate ohne Bewährung fest. Hiergegen wendete sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision.

    Der 1. Strafsenat ist der Auffassung, dass die Strafzumessung des LG Aurich durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Es stehe zu befürchten, dass das LG Aurich die Freiheitsentziehung durch eine Haftstrafe bagatellisiere.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Das LG hat bei der Prüfung einer Strafaussetzung u. a. ausgeführt, die freiheitsentziehende Strafverbüßung werde den Angeklagten in seinen – vagen – Lebensplanungen auch „nicht groß beeinträchtigen“, weil er keine eigenen Einrichtungsgegenstände habe, sondern in einer Wohngemeinschaft lebe und seine Arbeitssituation zur Zeit schlecht sei.

    Die wohnlichen und beruflichen Verluste des Angeklagten hielten sich nach Ansicht des LG in Grenzen. Familiär sei er nicht so gebunden, dass dort Probleme für die künftige Lebenssituation entstehen würden.
    Diese Urteilsformulierung, verkennt allerdings das in einer Freiheitsstrafe liegende Übel in grundlegender und unvertretbarer Weise. Es ist nicht vertretbar, den völligen Verlust der persönlichen Freiheit und die massiven Lebenseinschränkungen, die mit einem Strafvollzug verbunden sind, in Hinblick auf Wohn, Eigentums und Lebensverhältnisse eines Angeklagten als „nicht große“ Beeinträchtigung zu bewerten und so zu bagatellisieren.“

    Der Strafsenat hob daher das Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LG Aurich zurück.


  • Prognose und Strafrecht
    von Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg

    Die 2. AG mit der Überschrift Prognose und Strafrecht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die „restriktiv motivierte“ Kriminalprognose im Strafverfahren immer mehr an Bedeutung gewinnt, so z. B. bei der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung, der Reststrafenaussetzung zur Bewährung, Vollzugslockerungen und Sicherungsverwahrung. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die an die positive Sozialprognose zu stellenden Anforderungen stetig verschärft werden. Obgleich ein Anstieg von Straftaten in den Deliktsbereichen – die für die Sicherungsverwahrung bzw. Unterbringung relevant sind – nicht zu verzeichnen ist, sind die Anordnungen gem. §§ 63,64 und 66 StGB dramatisch angestiegen. Nach dem Ergebnis der Arbeitsgemeinschaft 2 geht es dabei nicht mehr vornehmlich um die Besserung des bereits verurteilten Täters, sondern um die Bekämpfung seiner vermeintlich fortdauernden Gefährlichkeit:

    „Der Paradigmenwechsel weg vom Besserungsgedanken und hin zur Sicherungsmaxime, weg von der Spezial- und hin zur Generalprävention, wird durch eine klischeehafte Berichterstattung medial unterfüttert, die der empirischen Realität widerspricht. Standards der Prognosebegutachtung haben insgesamt eine deutliche qualitative Verbesserung erfahren. Es zeigt sich jedoch, dass eine Vielzahl vorgelegter Prognosegutachten diesen Standards nicht gerecht wird. Insgesamt ist die Prognosebegutachtung in der Praxis wenig zuverlässig, fehleranfällig und durch die subjektive Einstellung bedingt Trotz systematischer methodischer Forschung fehlt es an einer umfassend anerkannten, allgemeingültigen Methodik – und an der Gewährleistung qualitativer Begutachtungsstandards. Statistische Untersuchungen fördern folgerichtig gravierende Fallzahlen negativer Falschprognosen zutage.“

    Nach den Feststellungen der Arbeitsgruppe 2 ist aus der Kriminalprognose ein „lukratives Geschäftsfeld“ geworden, welches nicht nur von seriösen, sondern auch „vermeintlichen“ Sachverständigen bestimmt wird.
    Zudem wird auf die Bedeutung der Pressearbeit und der in der Bevölkerung geschürten Ängste hingewiesen: Die Folge irrationaler – nicht durch empirische Daten belegte bzw. gerechtfertigte Angst vor Sexual- und Wiederholungstätern führen wiederum zu Ängsten bei Gerichten und Sachverständigen, in Folge positiver Fehlprognosen dem „öffentlichen Pranger“ ausgesetzt zu sein. Dadurch wird eine Tendenz zur Negativprognose verstärkt. Die Folge ist eine vermehrt feststellbare und unangebrachte „Übersicherung“.

    Ein zusätzliches Problem besieht darin, dass die gesetzlichen Voraussetzungen und Grundlagen durch den Gesetzgeber recht vage und zum Teil sogar widersprüchlich formuliert worden sind, worunter auch die Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit von Prognosegutachten leidet.

    Die Arbeitsgruppe 2 fordert deshalb:

    • Strafrecht darf nicht zum Gegenstand sicherheits- und tagespolitisch motivierter Bedürfnisse der Gefahrenabwehr verkommen. Neben der Ahndung begangenen Unrechts hat die Resozialisierung im Vordergrund zu stehen.
    • Im Interesse eines Behandlungsvollzuges, der diesen Namen auch verdient, muss eine freie Gesellschaft Ruckfallrisiken tragen. Etwas anderes ist nur möglich, um den Preis des Wegsperrens einer Vielzahl von Menschen, bei denen eine einschlägige Rückfallgefahr tatsächlich nicht existiert.
    • Vollzugslockerungen sind Voraussetzungen jedes am Resozialisierungs-gedanken orientierten Vollzugs. Gutachten müssen auch Laien verständlich sein. Sie müssen vom Richter überprüfbar sein. Ihre schriftliche Abfassung und die persönliche Anwesenheit des Sachverständigen bei der Verhandlung bzw. Anhörung sind unabdingbare Voraussetzungen an Verteidigung.“

    Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass eine freie Gesellschaft ebenso eine Illusion ist, wie eine von Ruckfallrisiken freie Entlassung verurteilter Straftäter.
    M. E. ist es Ausdruck nicht nur einer christlichen Einstellung, sondern einer humanistischen Gesellschaft an sich, dass jedem nicht per se die Fähigkeit abgesprochen wird, sich zu ändern. Seit Aufgabe der Tätertypenlehre kann die häufig geäußerte Forderung des „Wegsperrens für immer“ keine Option einer menschlichen Strafjustiz sein. Dass sich Restrisiken nicht vermeiden lassen, ist m. E. dem Umstand geschuldet, dass der Mensch keine berechenbare Maschine ist, wobei selbst letztere nicht frei von Fehlern sind.

  • Az. (1) 1 Ss 411/08 KG Berlin

    Der Angeklagte war durch das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3.1.2006 wegen gewerbsmäßigen „Schmuggels“ in vier Fällen zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Anschließend kamen weitere Fälle zum Vorschein. Am 20.06.2008 wurde der Angeklagte daraufhin vom LG wegen Schmuggelns in 69 Fällen zu 2 Jahren und einer Geldstrafe verurteilt, wovon 6 Monate Freiheitsstrafe als verbüßt galten. Daraufhin rügte der Angeklagte mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. In der Revision führte er an, dass die Strafkammer die vorliegenden Verfahrensverzögerungen nur bei der Kompensationsentscheidung, aber nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt hätte.

    Zwar hat das Landgericht zur Begründung angeführt, dass ein allgemeines Strafbedürfnis durch den besonders langen Zeitabstand zwischen der Tatbegehung und dem Urteil abnehme, allerdings die aus der überlangen Verfahrensdauer resultierenden besonderen Belastungen für den Angeklagten nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt. Insbesondere gilt dies zu beachten, wenn die Verfahrensdauer auf eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung durch eine Behörde beruht.

    Die Tatsache, dass die Strafkammer des Landgerichts Berlin erst anderthalb Jahre nach Eingang der Akten mit der Berufungshauptverhandlung begonnen hatte, verdeutlicht,  welch erheblicher Belastung der Angeklagte ausgesetzt war.

    Des Weiteren stand im Raum, dass die Strafzumessung weitere Fehler enthält. So hätte das Gericht bereits zu einer anderen, milderen Strafe gelangen können,  wenn die StrK angesichts der Feststellung über die Verfahrensverzögerung

    „schon im Rahmen der Strafzumessung niedrigere Einzelgeldstrafen festgesetzt und die verhängten kurzen Freiheitsstrafen nicht als unerlässlich im Sinne des §47 I StGB angesehen hätte“.

    Nach Ansicht des KG Berlin könne daher auch die Kompensationsentscheidung, mit welcher das Landgericht die Verfahrensverzögerung zu Gunsten des Angeklagten ausgleichen wollte, keinen Bestand haben. Dies liege auch daran, dass das Gericht keine Anstrengung unternommen hat, die Verantwortlichkeit und Folgen der rechtstaatswidrigen Verzögerung festzustellen und zu berücksichtigen.

    Die Strafkammer hätte jedoch diese Feststellung über den von der Verfahrensverzögerung ausgehende Belastung bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Nach Ansicht des Senats kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine höhere Kompensation durch die Strafkammer als der von einem Viertel der verhängten Strafen gelangt wäre und kam der Revision statt. Das Urteil wurde aufgehoben und zur neuen Entscheidung über die Strafzumessung zurückverwiesen.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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