Strafmilderungsgründe

  • 2. Strafsenat des BGH, Az. 2 StR 102/10

    Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Revision zu Ungunsten des Angeklagten ein, die vom Generalbundesanwalt (GBA) teilweise vertreten wurde und über die der Bundesgerichtshof (BGH) nun zu entscheiden hatte.

    Wie der 2. Strafsenat des BGH feststellt, hält der Strafausspruch einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings hat das Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt insoweit keinen Erfolg, als dass die Revision eine fehlerhafte Anwendung des § 31 BtMG a.F. rügt.

    Auszug aus dem Wortlaut der Entscheidung:

    „Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt (UA 28), dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung „Angaben zu der bisher nicht in diesem Umfang bekannten Rolle des Angeklagten M. bei der Vorbereitung und Planung des Geschäfts“ gemacht hat, was einen weiteren eigenständigen Aufklärungserfolg dokumentiert. In diesem Zusammenhang steht die Erwägung der Revision, der Angeklagte habe mit den Angaben zum Mitangeklagten M. lediglich seinen eigenen Tatbeitrag hinsichtlich der subjektiven Seite herunterspielen wollen, der Anwendung des § 31 BtMG nicht entgegen. Denn § 31 Nr. 1 BtMG setzt keine bestimmte Aufklärungsmotivation voraus, sondern stellt nach seinem Sinn und Zweck allein auf das Vorliegen eines objektiven Aufklärungserfolges ab (vgl. BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 5; BGH StV 1991, 67; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 149)“

    Ferner wird von der Revision der Staatsanwaltschaft gerügt, dass von der Strafkammer anerkannte Strafmilderungsgründe nicht berücksichtigt wurden. Zwar wurde die Trennung des Angeklagten von seiner Familie durch die Verurteilung einbezogen, jedoch weitere mit diesem Umstand verbundene Haftempfindlichkeiten nicht dargelegt. Allerdings ist diese Trennung die „Folge der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe und als solche kein die Strafe mildernder Gesichtspunkt“.

    Es ist somit nach Ansicht des Senats nicht auszuschließen, dass die Strafe auf fehlerhafte Strafzumessungserwägungen beruht, so dass auf die Revision das Urteil des Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wird.

  • 3. Strafsenat des BGH, Az. 3 StR 502/09

    Der Angeklagte T war vom Landgericht Krefeld wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in insgesamt 13 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Der Angeklagte Ö. war „wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit schwerem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 8 Monaten vom Landgericht verurteilt. Für Letzteren hat das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

    Beide wenden sich mit ihrer jeweiligen Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen das Urteil. Die Rechtsmittel haben aus den folgenden Erwägungen des. 3. Strafsenats einen Teilerfolg.

    Revision des Angeklagten T.

    Zwar halten Schuld- und Strafausspruch des Urteils einer rechtlichen Nachprüfung stand, jedoch nicht insoweit, als dass das Landgericht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ablehnte. Auch die Begründung, eine Unterbringung sei zum jetzigen Zeitpunkt wenig erfolgversprechend, reicht für die Ablehnung der Maßregelanordnung nicht aus.

    Hierzu führt der Strafsenat aus:

    “Fehlender Therapiewille allein hindert die Unterbringung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht. Zwar kann dieser Umstand ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein. Ob der Mangel an Therapiebereitschaft den Schluss auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel rechtfertigt, lässt sich aber nur aufgrund einer – vom Landgericht hier nicht vorgenommenen – Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH NJW 2000, 3015, 3016; Beschl. vom 24. März 2005 – 3 StR 71/05). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab (BTDrucks. 16/1110 S. 13). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es vielmehr gerade sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten erst zu wecken (BGH NStZ-RR 1997, 34 f.). Das Gericht hat daher gegebenenfalls zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung in der Maßregel geweckt werden kann (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 19 f. m. w. N.).“

    Es ist daher erneut über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten T in einer Entziehungsanstalt zu verhandeln und hierfür ein Sachverständiger hinzuzuziehen.

    So sind des Weiteren keine Anhaltspunkte nach Ansicht des Senats ersichtlich, die ihn als nicht gefährlich im Sinne dieser Vorschrift einstufen oder gegen eine Heilung sprechen. Auch seine Therapieunwilligkeit indiziert dies nicht.

    Es ist allerdings auszuschließen, dass bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine niedrigere Einzelstrafe oder eine mildere Gesamtstrafe verhängt worden wäre vom Tatrichter.

    „Der neue Tatrichter wird im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel zu befinden haben (vgl. BGH NStZ 2008, 28; NStZ-RR 2008, 74). Bei Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe wird es für dessen Berechnung notwendig sein, die für den Angeklagten voraussichtlich erforderliche Therapiedauer zu bestimmen.“

    Revision des Angeklagten Ö.

    Hinsichtlich der Revision des Angeklagten Ö stellt der Strafsenat des  BGH fest, dass keine Rechtsfehler im Schuldspruch und im Maßregelausspruch zum Nachteil des  Beschwerdeführers zu erkennen sind.

    Einzig drei der Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, da das Landgericht in diesen drei Fällen nicht rechtsfehlerhaft erörtert hat, „ob die Voraussetzungen des § 31 Nr. 1 BtMG vorliegen und deshalb in diesen drei Fällen die angewendeten Strafrahmen zu mildern sind, obwohl die festgestellten Umstände dazu drängten“.

    Weiter heißt es in dem Wortlaut des Senats:

    „Danach hat der Angeklagte in den Fällen B. VI. 14. bis 16. der Urteilsgründe gemeinschaftlich mit seinem Bruder K. Ö. jeweils mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge Handel getrieben. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung festgestellt, dass sich der Angeklagte „im Hinblick auf sämtliche von ihm begangene BtM-Delikte umfassend geständig eingelassen und sämtliche Fragen der Kammer freimütig beantwortet“ und „dabei auch seinen Bruder K. Ö. bereits umfassend belastet“ hat (UA S. 130) sowie, dass „die geständige Einlassung des A. Ö., mit der er zugleich auch seinen Bruder überführt hat, von besonderer Freimütigkeit getragen“ gewesen ist (UA S. 154). Deshalb liegt es nahe, dass der Angeklagte dazu beigetragen hat, die Taten über seinen Tatbeitrag hinaus aufzuklären. Die getroffenen Feststellungen hätten daher für das Landgericht Anlass sein müssen, die Milderungsmöglichkeit des § 31 Nr. 1 BtMG zu erörtern (vgl. BGH NStZ 2009, 394, 395). Dies lässt das Urteil vermissen.“

    Hier ist es nach Ansicht des Senats nicht auszuschließen, dass die rechtsfehlerfreie Prüfung des § 31 Nr. 1 BtMG i. V. m. § 49 Abs. 2 StGB und dessen Anwendung in den drei betroffenen Einzelfällen zu einer milderen Einzelstrafe geführt hätte. Aus diesem Grund ist der Strafausspruch zu ändern, was die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe bedeutet. Hierüber wird der neue Tatrichter neu zu verhandeln haben.

    Abschließend weist der Senat auf eine Änderung des § 31 BtMG hin:

    „Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die am 1. September 2009 durch das 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009 (BGBl I 2288 ff.) in Kraft getretene Änderung des § 31 BtMG gemäß Art. 316 d des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch nicht auf Verfahren anzuwenden ist, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wurde (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 25).“


  • 5. Strafsenat des BGH., Az. 5 StR 88/10

    Die Angeklagten war vom Landgericht Leipzig wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe und Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten sowie fünf Jahren und drei Monaten verhängt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision der beiden Angeklagten erzielte vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einen Erfolg.

    Das Landgericht hatte nach den Feststellungen den minder schweren Fall nach §250 Abs. 3 StGB verneint, obwohl es in seinen Erwägungen von einigen Milderungsgründen ausgegangen war. Dieses hält nach Ansicht des 5. Strafsenats des BGH einer rechtlichen Nachprüfung aus den Gesichtspunkten einer vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht stand.

    Aus dem Wortlaut des Strafsenats:

    „Das Landgericht führt für die Angeklagten eine Reihe gewichtiger Milderungsgründe auf (UA S. 34 f.; 37). Zu den Voraussetzungen des § 250 Abs. 3 StGB beschränkt es sich dann auf den hinsichtlich beider Angeklagter gleichlautenden Hinweis, die mildernden Umstände würden von einer „insgesamt negativen Persönlichkeitsentwicklung – insbesondere zunehmender Tatfrequenz und ansteigender krimineller Energie – überwogen“ (UA S. 35; 38). Angesichts dieser formelhaften Wendung, die durch die Feststellungen zu den – vergleichsweise geringen und größtenteils nicht einschlägigen – Vorbelastungen der Angeklagten überdies nicht gedeckt ist (UA S. 4 bis 6; 7 bis 9), besorgt der Senat, dass das Landgericht die notwendigen Abwägungen in der Sache nicht vorgenommen hat.“

    Außerdem habe die Strafkammer des Landgerichts Leipzig bei der Strafzumessung den Umstand, dass das Opfer der Vater des 8-jährigen Sohnes des Angeklagten W. war, nicht berücksichtigt und somit weitere Wertungsfehler vollzogen. Zur Bedeutung eines solchen Strafzumessungsgrundes führt der Strafsenat im Folgenden aus:

    „Hinzu kommt, dass die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung einen die Tat hinsichtlich beider Angeklagter prägenden Umstand völlig außer Acht lässt. Bei dem Opfer handelt es sich um den Vater des 8-jährigen Sohnes der Angeklagten W. , für den der Kindsvater bislang keinerlei Unterhalt gezahlt hat. Deswegen gab es in der Vergangenheit und auch un-mittelbar vor der Tat Streit (UA S. 18 f.). Der Angeklagten drohte die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Um den Haftantritt und die damit verbundene Trennung von ihrem Sohn abwenden zu können, bat sie den Geschädigten um finanzielle Unterstützung. Auch wenn mangels Leistungsfähigkeit des Geschädigten kein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf die erpresste Geldsumme in Höhe von 330 Euro bestand, die allein diesem Zweck dienen sollte, konnte die Angeklagte der Meinung sein, der Geschädigte sei ihr unter den gegebenen Umständen ethisch zu finanzieller Unterstützung verpflichtet. Es handelt sich um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund, mit dem sich das Urteil ausdrücklich hätte auseinandersetzen müssen.“

    Insgesamt führen diese Fehler in der Begründung und Wertung zu einem fehlerhaften Strafausspruch, jedoch hat dieses auf die vorangegangenen Feststellungen des LG Leipzig keinen Einfluss. Das neue Tatgericht wird die Sache erneut zu verhandeln und bezüglich der Zurechnung der Faustschläge im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans neue Feststellungen vorzunehmen haben:

    „Weil der Strafausspruch lediglich wegen Begründungs- und Wertungsfehlern keinen Bestand hat, können die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben. Allerdings vermag der Senat – anders als der Generalbundesanwalt – den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen, dass die beiden Faustschläge, die der Angeklagte H. dem Geschädigten kurz vor Beendigung der Tat versetzte (UA S. 13 f.), noch vom gemeinsamen Tatplan gedeckt waren und der Angeklagten W. deshalb nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden können. Hierzu wird das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen vorzunehmen haben. Es ist auch sonst nicht gehindert, weitergehende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.“


  • Der Angeklagte ist wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge vom Landgericht Aachen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden. Zusätzlich wurde die Unterbringung des Angeklagten in eine Erziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte in seiner Revision, die sich auf eine allgemeine Sachrüge stützt und sich gegen die Versagung der Bewährung durch das LG Aachen richtet.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) gab der Revision statt. Nach Auffassung des 2. Strafsenats hält die Versagung der Bewährung durch das LG der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

  • Der Entscheidung über die Revision des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft durch den 4. Strafsenats des BGH lag folgender Sachvershalt zugrunde:

    Als die Ehefrau des Geschädigten, die unter Einfluss von Alkohol und Medikamenten stehend auf dem Gehweg zusammengebrochen war, von der zuständigen Polizei mittels eines Krankenwagens zum Krankenhaus abtransportiert wurde, versuchte der ebenfalls stark alkoholisierte Ehemann und Geschädigte (eine Blutalkoholkonzentration von 3 Promille wurde gemessen) dieses zu verhindern.

    Darauf entschlossen sich die anwesenden zwei Polizeibeamten, den Geschädigten „zur Ausnüchterung in Gewahrsam zu nehmen und ihm zu diesen Zwecken zu fesseln“. Als sich der Geschädigte hiergegen auf dem Boden liegend wehrte, während eine Polizeibeamtin ihn zu fesseln versuchte, biss er der Polizeibeamtin durch ihre Jeans in den Oberschenkel. In diesem Moment versetzte die Polizeibeamtin dem Geschädigten zwei „kurze Schläge auf den Kieferknochen oder direkt in sein Gesicht“, um sich so aus der Situation zu befreien. Der zweite Polizeibeamte trat dem Geschädigten daraufhin mehrmals mit seinem Schuh (ein fester Dienstschuh) in die Bauchgegend.

    Im anschließenden Verfahren wurde der Angeklagte aufgrund der Tritte gegen den auf dem Boden liegenden und stark alkoholisierten Geschädigten wegen einer Körperverletzung im Amt gemäß §340 Abs. 1 StGB vom Landgericht verurteilt. Die gefährliche Körperverletzung im Amt nach §§340 Abs. 3, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB lehnten die Richter jedoch ab, da ihrer Auffassung nach kein „gefährliches Werkzeug in Gestalt des Dienstschuhs“ vorliegen würde und somit der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach §224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erfüllt gewesen sei.

    Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte legten hiergegen eine Revision ein.

  • 5. Strafsenat des BGH, Az. 5 StR 253/09

    Der Angeklagte hatte in den Jahren 1993 und 1994 mehrer Straftaten begangen, die sich auf die Einfuhr und das Handeltreiben von Haschisch bezogen. Erst im Jahre 2003 wurden die Straftaten entdeckt und am 8.6.2004 das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet.

    Grund für die Verzögerung war die Tatsache, dass der Angeklagte zwischenzeitlich nach Spanien umgezogen und erst ab 11.7.2004 wieder nach Berlin zurückgezogen war. Die Meldebehörden hatten ihrerseits diese Adressen nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Demnach ist aber kein Verstoß gegen Art. 6 MRK möglich.

    Der 5. Strafsenat des BGH hält die Revision des Angeklagten aus folgenden Überlegungen für begründet:

    “Das Landgericht verengt seine Prüfung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung unzulässigerweise allein auf die Justizbehörden. Diese sind zwar die wesentlichen Adressaten dieses Gebots gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK. In diesem Sinne wird deshalb auch in der strafgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich danach unterschieden, ob die Verzögerung in den Verantwortungsbereich der Justizbehörden oder des Angeklagten fällt (BVerfG [Kammer] StV 2006, 73 ff.; BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9, 21, 25, 27).“

    Dies richtet sich allerdings nicht ausschließlich an die Justizbehörde, sondern „an die Vertragsstaaten an sich, die dafür Sorge zu tragen haben, dass die Strafverfahren in angemessener Frist mit einer Entscheidung enden“. Indem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von den „nationalen Behörden“ spricht und die Menschenrechtskonvention die Einhaltung von gewissen Standards in den Konventionsstaaten abzielt, lässt er eine solche Auslegung und Beschränkung der Begrifflichkeit auf die Justizbehörde nicht zu. Vielmehr werden „innerstaatliche Behörden“ in den Verantwortungsbereich des Staates genommen, die allesamt einen Ausgleich von „Verfahrensunrecht“ zu leisten haben. Somit ist allein die Frage, ob die Verfahrensverzögerung von einer staatlichen Stelle und nicht nur der Justizbehörde zu verantworten ist.

    Unter dem Gesichtpunkt, dass sich Deutschland generell eine Verzögerung durch jedwede staatliche Stelle im Strafverfahren zuzurechnen hat, ist demnach das Verhalten der Meldebehörde (rechtswidriges) staatliches Handeln im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK. Dieses fand jedoch im vorangegangenen Urteil des LG Berlin im Hinblick auf die Strafbemessung keine Berücksichtigung.

    Des Weiteren liegt die Strafauffälligkeit des Angeklagten mehr als 15 Jahre zurück. Er selber ist längst in der Gesellschaft eingegliedert und hat sich seitdem nicht mehr kriminell betätigt. Fraglich ist daher, ob dieser Umstand zu einer Strafmilderung oder gar den Strafausschluss führt, da das Handlungsunrecht keiner weiteren Bestrafung und davon ausgehenden Warnfunktion bedarf.

    Der 5. Strafsenat lässt diese Frage zwar offen, gibt aber eine Tendenz vor:

    „Daher kann offen bleiben, ob das Landgericht im Rahmen seiner Strafzumessung dem Gesichtspunkt das gebotene Gewicht eingeräumt hat, dass der unbestrafte 45-jährige Angeklagte seine kriminellen Handlungen vor 15 Jahren von sich aus beendet und seither sozial eingeordnet gelebt hat. Dann hätte vor dem Hintergrund eines kaum mehr vorhandenen Bedürfnisses nach spezialpräventiver Einwirkung die besondere Härte, die eine Haftverbüßung für den Angeklagten nunmehr mit sich gebracht hätte (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), gleichfalls noch näherer Erörterung bedurft“

    Folglich müssten Tatsachen vorliegen und ferner vom Gericht als begründet angesehen werden, die für eine solche Härte der Haftverbüßung nach mehr als 15 Jahren sprechen. Obwohl es hieran im vorliegenden Fall fehlt, liegt es auf der Hand, dass ein Festhalten an dem eigentlichen Strafmaß als überzogen angesehen werden kann. Darüber wird das Gericht unter Erwägung der zwei genannten Strafmilderungsgründe erneut zu entscheiden haben.

  • Az: OLG München, Beschl. v. 25.07.2008 – 4 St RR 107/08

    Im vorliegenden Fall wurden der Angeklagte sowie sein Beifahrer schlafend gegen 3:15 Uhr im Auto des Angeklagten aufgefunden. Um 3:51 wurde dem Angeklagten sodann eine Blutprobe entnommen, die eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,68 Promille ergab. Das Amtsgericht München hatte den Angeklagten im Wege des Strafverfahrens später wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt sowie eine Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Als auch die Berufung keinen Erfolg brachte, wandte sich der Angeklagte in seiner Revision an das OLG München.

    Dieses hatte nun das vorangegangene Urteil auf Rechtsfehler zu überprüfen. In dem Beschluss stellten die Richter des OLG fest, dass das LG München die Schuldunfähigkeit des Angeklagten aufgrund des alkoholisierten Zustandes nicht berücksichtigt hätte. Eine Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den frühestmöglichen Tatzeitpunkt gegen 1:00 Uhr würde angesichts der zugrunde gelegten Rechnung eines stündlichen Abbauwertes von 0,2 Promille sowie eines einmaligen Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille einen Maximalwert von 2,45 Promille ergeben. Ob jedoch der Angeklagte angesichts dieser BAK zum möglichen Zeitpunkt der Tat in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unbeeinträchtigt oder aufgrund des Alkoholrausches im Sinne des §21 StGB erheblich vermindert war, wurde vom LG nicht konkret geprüft und daher auch nicht berücksichtigt. Grundsätzlich ist die Schuldfähigkeit des Täters zum Zeitpunkt der Tat stets zu prüfen.

    Dazu das OLG München:

    “Unabhängig davon, ob eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafrahmenverschiebung gem. §49 Abs. 1 StGB führt, ist die Stellung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten stets erforderlich, da die Strafzumessung im wesentlichen auf der Frage des Maßes der Schuld beruht. Das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit verringert nämlich grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat (Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 16.06.2004 – 1 Ss 50/04 – bei juris unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 1996, 161).“

    Folglich ist es nach Ansicht des OLG München nicht auszuschließen gewesen, dass das Landgericht München unter Berücksichtigung der möglichen Strafmilderung gemäß §21 StGB zu einem geringeren Schuldmaß gelangt wäre, das zu einer geringeren Geldstrafe des Angeklagten führt. Angesichts dessen wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben, ob die Voraussetzungen der Strafmilderung vorliegen. Doch bedarf dieses einer ausgiebigen Prüfung der generellen Schuldfähigkeit.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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