Strafzumessung

  • Ist ein Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden, darf es nur berücksichtigt werden, wenn das Gericht eigene Feststellungen zur Tat trifft.

    Der Angeklagte wurde vom Landgericht Berlin wegen des Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Bei der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde auch eine wegen Beleidigung verhängte Geldstrafe von 20 Tagessätzen einbezogen.

    Das Landgericht hatte bei der Strafzumessung ein weiteres Verfahren wegen Beleidigung in zwei Fällen berücksichtigt. Dieses Verfahren wurde im Hinblick auf die zu erwartende Strafe im vorliegenden Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Um das eingestellte Verfahren einzubeziehen, hätte das Tatgericht sich jedoch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen müssen:

    Eine strafschärfende Berücksichtigung von einer Einstellung nach § 154 StPO betroffener Taten setzt jedoch voraus, dass diese in der Hauptverhandlung prozessordnungsgemäß festgestellt sind und zur Überzeugung des Tatgerichts feststehen (BGH, Beschluss vom 2. August 2000 – 5 StR 143/00, NStZ 2000, 594; Urteil vom 30. November 1990 – 2 StR 230/90, NStZ 1991, 182; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 41). Das Abstellen auf einen bloßen Verdacht der Begehung weiterer Straftaten ist unzulässig (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1995 – 3 StR 179/95, NStZ 1995, 439; Beschluss vom 9. April 1991 – 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14).

    Da die Strafkammer keine eigenen Feststellungen zu den eingestellten Verfahren getroffen hatte, drängen sich dem Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) die Bedenken auf, dass der Verdacht, der Angeklagte hätte weitere Straftaten begangen, strafschärfend gewertet wurde. Aus diesem Grund hat die Revision der Strafverteidigung Erfolg und der Gesamtstrafausspruch wird aufgehoben.

    BGH, Beschluss vom 12. September 2012, Az.: 5 StR 425/12

  • Die in einem versuchten Totschlag verwirklichte gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB verjährt unabhängig vom Totschlag.

    Das Landgericht Hamburg verurteilte einen Angeklagten wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag und Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung aus dem Jahr 1992 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten.

    Die Strafverteidigung legte hiergegen Revision ein, da die Körperverletzung bereits verjährt war.

  • Die Sicherstellung von Drogen ist ein bestimmender Strafmilderungsgrund.

    Der Angeklagte wurde unter anderem wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vom Landgericht Bautzen verurteilt. Dabei lehnte das Landgericht einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG nach alleiniger Würdigung der allgemeinen Strafzumessungskriterien ab. Anschließend bejahte das Landgericht die Strafmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG, da der Angeklagte dabei half weitere Straftaten aufzudecken.

    Dagegen richtete die Strafverteidigung erfolgreich die Revision.

  • Das Landgericht Rostock hat den zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alten Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen verteidigt sich der Angeklagte mit seiner Revision.

  • Das Landgericht Berlin hatte den Angeklagten nach § 29a BtMG verurteilt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten.
    Die Entscheidung bezieht sich auf die Partydroge „Liquid Ecstasy“. Das Landgericht hatte bei der Verurteilung eine durchschnittliche Kunsumeinheit von 1g NaGHB zugrunde gelegt, da die Dosis nicht mehr festgestellt werden konnte.

  • Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Unfallflucht) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.

    Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Frankfurt am Main das Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

    Gegen dieses Urteil wendet sich nunmehr der Angeklagte mit der Revision.

  • OLG Koblenz, Beschluss vom 17.10.2011, Az.: 1 Ss 133/11

    Das Landgericht Koblenz hat den Angeklagten in der Berufung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines zur Tatzeit 12-jährigen Mädchens in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dabei hat die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war und damit noch erheblich unter der Schutzaltersgrenze von vierzehn Jahren lag. Hiergegen richtet sich die Revision.

  • Das Landgericht Düsseldorf hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten.

  • BGH, Beschluss vom 20.10.2011, Az.: 1 StR 354/11

    Das Landgericht Augsburg hat den Angeklagten wegen „falscher Angaben in Tateinheit mit falschen Angaben in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem Betrug in 14 sachlich zusammentreffenden Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis“ zu fünf Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein.

    Der Angeklagte stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung weiterer Verfahrensrügen, den er auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis zu seinem Pflichtverteidiger gestützt hatte. Diesen Antrag hat der BGH verworfen.

    Allerdings seinen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nach Ansicht des BGH rechtsfehlerhaft:

    „Die Ausführungen in den Urteilsgründen, zu Lasten des überwiegend bestreitenden Angeklagten sei dessen fehlende „Einsicht darin, dass er Fehler gemacht hat“ zu berücksichtigen (UA S. 178), lassen besorgen, dass prozessual zulässiges Verteidigungsverhalten zu Unrecht strafschärfend berücksichtigt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 3 StR 192/10; BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 1 StR 199/07 jew. mwN). Zwar kann ein Verhalten des Täters nach der Tat strafschärfend wirken, wenn es trotz der ihm zu-stehenden Verteidigungsfreiheit auf Rechtsfeindschaft, seine Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche hinweist oder andere mit der Tat zusammenhängende ungünstige Schlüsse auf seine Persönlichkeit zulässt (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1981 – 3 StR 61/81; BGH, Urteil vom 24. Juli 1985 – 3 StR 127/85) oder wenn die Grenzen angemessener Verteidigung eindeutig überschritten sind und das Vorbringen des Angeklagten eine selbständige Rechtsgutsverletzung enthält (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 – 4 StR 576/03; zum Ganzen auch Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 46 Rn. 41 mwN; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 378 ff.). Dafür ist hier jedoch nichts dargetan oder ersichtlich.“

    Der BGH betont hier den eigentlich allgemein bekannten Grundsatz, das eine angemessene Verteidigung nicht zu einer Strafschärfung führen darf. Ein prozessual zulässiges Verteidigungsverhalten kann logischerweise zu keinerlei Nachteilen für den Angeklagten führen.


  • OLG Köln, Beschluss vom 10.06.2011, Az.: III 1 RVs 96/11 – 82 Ss 30/11

    Das Amtsgericht Düren hat die Angeklagte wegen „gemeinschaftlichen Diebstahls“ zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt.

    Ihre hiergegen gerichtete Berufung vor dem Landgericht Aachen ist erfolglos geblieben. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist die Angeklagte allein erziehende Mutter und hat drei Kinder im Alter von 17, 10 und 9 Jahren. Sie bezieht Kindergeld sowie Leistungen nach Hartz IV für sich und ihre Kinder.

    Mit der Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und im Besonderen die Bemessung der Tagessatzhöhe. Dazu da OLG:

    „Näherer Erörterung bedarf es lediglich in Bezug auf die Festsetzung der Tagessatzhöhe, die im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

    Dieser ermessensähnlich ausgestaltete Strafzumessungsakt entzieht sich einer schematischen Behandlung und ist damit revisionsrechtlich nur in eingeschränktem Maße überprüfbar (SenE v. 30.10.2007 – 82 Ss 123/07 -; SenE v. 24.03.2009 – 83 Ss 13/09 -; SenE v. 08.06.2010 – III-1 RVs 70/10 -; SenE v. 13.08.2010 – III-1 RVs 146/10 -; OLG Hamburg VRS 101, 106 = NStZ 2001, 655). Die tatrichterliche Wertung ist „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen (OLG Frankfurt StV 2007, 471).

    Die Angeklagte bezog nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen Leistungen „nach Hartz IV“, d. i. Arbeitslosengeld II gemäß § 20 SGB II. Mangels entgegen-stehender Feststellungen und insbesondere mangels abweichenden Vortrags in der Revisionsbegründung ist dabei davon auszugehen, dass die Angeklagte den Regelsatz bezog. Dieser betrug bis zum 1. Januar 2011 gemäß § 20 Abs. 1 SGB II 345,00 € und seither nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II 364,00 €.

    Da der Tagessatz in der Regel nach dem Tages-Nettoeinkommen des Täters zu berechnen ist (§ 40 Abs. 2 S. 2 StGB), ist schon auf der Grundlage der festgestellten Bezüge der Angeklagten gegen eine Festsetzung des Tagessatzes mit 10,00 € im Grundsatz nichts zu erinnern. Ob die Angeklagte über den Regelsatz hinaus weitere berücksichtigungsfähige Transferleistungen – wie etwa Mietbeihilfen oder Beihilfen zu Energiekosten – erhält, wozu das Tatgericht keine Feststellungen getroffen hat, ist daher unerheblich.

    Allerdings kann es bei Angeklagten, die von Bezügen am Rande des Existenzminimums leben, geboten sein, unter Berücksichtigung der nach § 42 StGB möglichen, zeitlich grundsätzlich nicht beschränkten Zahlungserleichterungen und unter Beachtung der Notwendigkeit der Wahrung der Strafe als ernsthaft fühlbares Übel die Tagessatzhöhe unterhalb eines Dreißigstels der monatlichen, sich aus Geldzahlungen und etwaigen Sachmittelzuwendungen zusammensetzenden Bezüge festzusetzen (SenE v. 30.10.2007 – 82 Ss 123/07 -; SenE v. 24.03.2009 – 83 Ss 13/09 -; SenE v. 03.04.2009 – 82 Ss 12/09 -; SenE v. 08.06.2010 – III-1 RVs 70/10 -; SenE v. 13.08.2010 – III-1 RVs 146/10 -; OLG Hamburg VRS 101, 106 = NStZ 2001, 655; Fischer, StGB, 57. Auflage 2011, § 40 Rz. 11a). Dem Angeklagten muss in jedem Fall das täglich zum Lebensbedarf Unerlässliche erhalten bleiben (SenE v. 08.06.2010 – III-1 RVs 70/10 -; 471; OLG Frankfurt B. v. 26.02.2010 – 1 Ss 425/08 – = BeckRS 2010, 20569 – zitiert nach Juris [Rz. 11]; OLG Frankfurt StV 2007, KG B. v. 10.08.2007 – 1 Ss 205/06 – = BeckRS 2007, 16968; KG StV 2005, 89; OLG Düsseldorf NJW 1994, 744; OLG Stuttgart NJW 1994, 754; OLG Köln StV 1993, 336; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272 u. NStZ-RR 1999, 213).

    Der Begriff des zum Lebensbedarf Unerlässlichen entstammt dem Recht der Sozialhilfe, § 26 Abs. 2 SGB XII. Er wird dort mit einem – zwischen 70 und 80% angesiedelten – Bruchteil des jeweiligen Regelsatzes bestimmt (VGH München, FEVS 45, 102 = NVwZ-RR 1994, 398 – zitiert nach Juris [70%]; OVG Bremen FEVS 37, 471 – zitiert nach Juris [80%]; Conradis, in: NomosKommentar SHB XII, § 26 Rz. 9; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 26 Rz. 6). Der Regelsatz für einen Haushaltsvorstand bzw. für Alleinstehende beträgt in Nordrhein-Westfalen nach § 1 der Verordnung über Regelsätze der Sozialhilfe vom 09.07.2009 (GV NW S. 335) 359,00 €. Bestimmt man nun das für den Lebensbedarf Unerlässliche mit einem Mittelwert von 75% hiervon (so Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 26 Rz. 6), errechnet sich ein Betrag von 269,26 €, der dem Angeklagten monatlich jedenfalls verbleiben muss. Die Differenz zum Regelsatz von 345,00 € beträgt damit 75,74 € monatlich bzw. 2,52 € täglich. Auch nach der Rechtsprechung derjenigen Oberlandesgerichte, von denen die Tagessatzhöhe nach dem Drei- bis Vierfachen des Differenzbetrags zwischen bezogener Leistung und Unerlässlichem berechnet wird (OLG Frankfurt B. v. 26.02.2010 – 1 Ss 427/08 – zitiert nach Juris Rz. 11; OLG Frankfurt StV 2007, 470; OLG Stuttgart NJW 1994, 745), ist daher unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Ermessens ein Tagessatz in Höhe von 10,00 € nicht zu beanstanden.

    Der Angeklagten sind allerdings zur Durchsetzung des Grundsatzes, dass ihr das zum Lebensunterhalt Unerlässliche verbleiben muss, Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB zu gewähren (vgl. insgesamt noch KG B. v. 10.08.2007 – 1 Ss 205/06 = BeckRS 2007 16968). Die insoweit festzusetzenden Raten bemisst der Senat auf monatlich 35,00 €. In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO kann er insoweit in der Sache selbst entscheiden; einer Zurückverweisung nur zur Festsetzung der Zahlungserleichterungen bedarf es nicht (st. Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE v. 08.06.2010 – III-1 RVs 70/10).“

    Das OLG betont, dass die Bemessung der Tagessatzhöhe einer Geldstrafe nicht schematisch erfolgen kann, sondern je nach Einzelfall betrachtet werden muss. Dies ergebe sich bereits aus § 40 Abs. 2 S. 2 StGB. Grundsätzlich kann auch bei einer Empfängerin von Sozialleistungen ein Tagessatz von 10 Euro angemessen sein. Allerdings ist einem Angeklagten immer das „zum Lebensbedarf Unerlässliche“ zu belassen. Daher hat das OLG festgestellt, dass hier Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB anzuordnen sind. Die Raten hat der Senat auf monatlich 35 Euro festgesetzt.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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