Strafzumessung

  • 2. Strafsenat des BGH, Az. 2 StR 102/10

    Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Revision zu Ungunsten des Angeklagten ein, die vom Generalbundesanwalt (GBA) teilweise vertreten wurde und über die der Bundesgerichtshof (BGH) nun zu entscheiden hatte.

    Wie der 2. Strafsenat des BGH feststellt, hält der Strafausspruch einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings hat das Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt insoweit keinen Erfolg, als dass die Revision eine fehlerhafte Anwendung des § 31 BtMG a.F. rügt.

    Auszug aus dem Wortlaut der Entscheidung:

    „Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt (UA 28), dass der Angeklagte in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung „Angaben zu der bisher nicht in diesem Umfang bekannten Rolle des Angeklagten M. bei der Vorbereitung und Planung des Geschäfts“ gemacht hat, was einen weiteren eigenständigen Aufklärungserfolg dokumentiert. In diesem Zusammenhang steht die Erwägung der Revision, der Angeklagte habe mit den Angaben zum Mitangeklagten M. lediglich seinen eigenen Tatbeitrag hinsichtlich der subjektiven Seite herunterspielen wollen, der Anwendung des § 31 BtMG nicht entgegen. Denn § 31 Nr. 1 BtMG setzt keine bestimmte Aufklärungsmotivation voraus, sondern stellt nach seinem Sinn und Zweck allein auf das Vorliegen eines objektiven Aufklärungserfolges ab (vgl. BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 5; BGH StV 1991, 67; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 149)“

    Ferner wird von der Revision der Staatsanwaltschaft gerügt, dass von der Strafkammer anerkannte Strafmilderungsgründe nicht berücksichtigt wurden. Zwar wurde die Trennung des Angeklagten von seiner Familie durch die Verurteilung einbezogen, jedoch weitere mit diesem Umstand verbundene Haftempfindlichkeiten nicht dargelegt. Allerdings ist diese Trennung die „Folge der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe und als solche kein die Strafe mildernder Gesichtspunkt“.

    Es ist somit nach Ansicht des Senats nicht auszuschließen, dass die Strafe auf fehlerhafte Strafzumessungserwägungen beruht, so dass auf die Revision das Urteil des Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wird.

  • 5. Strafsenat des BGH, Az. 5 StR 132/10

    Der Angeklagte ist vom Landgericht Leipzig wegen versuchten Mordes „und“ gefährlicher Körperverletzung insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Gegen das Urteil und den Schuldausspruch wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kann einen Teilerfolg erzielen.

    Wie der Strafsenat feststellt, beruht die Verurteilung des Angeklagten auf einem Fassungsversehen. Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass die Strafkammer am Landgericht Leipzig von Tateinheit der zwei Delikte ausgegangen ist. Der Senat ändert den Tenor diesbezüglich.

    Des Weiteren hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfungen aufgrund folgender Überlegungen des Senats nicht stand:

    „Im Hinblick auf die Vielzahl der dem Angeklagten zugute zu haltenden Milderungsgründe (UA S. 26, 27), namentlich auch der Umstand, dass das Tatopfer nur unerheblich verletzt wurde (vgl. zu den Anforderungen an die vorzunehmende Gesamtschau BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 9 und 12), ist die Entscheidung der Strafkammer unvertretbar, die Strafrahmenverschiebung nach den § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu versagen. Ferner weist der Senat abermals darauf hin (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2010 – 5 StR 113/10), dass es rechtsfehlerhaft ist, innerhalb des wegen der Erfolgsnähe nicht verschobenen Strafrahmens die Erfolgsnähe neuerlich zu Lasten des Angeklagten zu gewichten.“

    Nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs wird nach Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landgerichts die Strafe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit niedriger ausfallen.


  • 5. Strafsenat des BGH, Az. 5 StR 478/09

    Der Angeklagte ist vom Landgericht Bremen „wegen räuberischer Erpressung (Einzelfreiheitsstrafe sieben Monate), wegen Freiheitsberaubung in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen je zwei Monate), wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen zwei Monate und ein Monat) und wegen Beleidigung (Einzelfreiheitsstrafe ein Monat) unter Einbeziehung der vom Landgericht Bremen in dessen Urteil vom 9. Oktober 2008 verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und von weiteren Vorwürfen freigesprochen“ worden. Die hiergegen vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eingewandte Revision führt zu keiner Abänderung des Schuldspruches. Jedoch bedarf das Urteil nach Ansicht des Strafsenats eines Härteausgleiches aufgrund der entgangenen anderweitigen Gesamtstrafbildung.

    Demnach wird der Strafausspruch dahingehend ergänzt, dass vier Monate der verhängten Gesamtstrafe als bereits vollstreckt gelten und diese somit um diesen Zeitraum verkürzt wird, so dass die Revision insoweit einen Teilerfolg hatte.

    Dem Urteil geht folgender Sachverhalt voraus:  Der Angeklagte hatte zwischen Ende Februar und dem 26. März 2007 mehrere Straftaten begangen. Als die Bildung einer Gesamtstrafe aufgrund einer Nachverurteilung durch Strafbefehl des zuständigen Amtsgerichts Bremen vom 2. August 2007 wegen vollständiger Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zehn Tage vor in diesem Urteil vollzogenen Verurteilung nicht mehr möglich war, erkannte das Landgericht mangels anderer Alternativen mit der nächsten noch nicht erledigten Strafe auf eine zweijährige, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Folglich bildete das Gericht angesichts der zeitlichen Zäsur diese verhängte Gesamtstrafe.

    Diesen Schritt begründete das Landgericht folgendermaßen:

    „Andererseits war nicht zu übersehen, dass die Aussetzung der Vollstreckung der zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung zwar somit keinen Bestand mehr haben konnte, die jetzt erforderliche Gesamtstrafenbildung dem Angeklagten wiederum aber insoweit zugute kommt, als bei Einbeziehung allein der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 02.08.2007 die dann bestehend bleibende zweijährige Einzelstrafe sowie die im Übrigen zu bildende Gesamtstrafe der Summe nach zu einer höheren Gesamtsanktion geführt hätte“

    Der Strafsenat des BGH sieht hierin einen Rechtsfehler, denn ohne die Vollstreckung der vollständigen Ersatzfreiheitsstrafe hätte die Strafaussetzung aufgrund anderweitiger Gesamtstrafbildung und der Bewährung bestehen bleiben können, was letztlich zu einem Nachteil für den Angeklagten führt.

    Dazu der 5. Strafsenat im Wortlaut:

    „Die hier erfolgte Gesamtstrafenbildung ist nur aufgrund vollständiger Ersatzfreiheitsstrafenvollsteckung notwendig geworden, die den Wegfall einer den Angeklagten begünstigenden Zäsur zur Folge hatte. Die zitierte Erwägung des Landgerichts lässt diese Besonderheit des Verlusts der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der zweijährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 9. Oktober 2008 – die Widerrufsvoraussetzungen des § 56f Abs. 1 StGB lagen nicht vor – unberücksichtigt. Der Angeklagte hat die ausgeurteilten Taten nicht nach der Aussetzungsentscheidung, sondern weit über ein Jahr zuvor begangen. Ohne die vollständige Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung wäre die Strafaussetzung infolge anderweitiger Gesamtstrafenbildung bestehen geblieben. Damit wirkt sich die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranziehung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als Einsatzstrafe für den Angeklagten überaus nachteilig aus (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1994 – 2 StR 740/93); dies erfordert die Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15 m.w.N.). Diesen nimmt der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vor.“

    Angesichts dieser Umstände, die sich aufgrund der vom Landgericht vorgenommen Strafzumessung bzw. der entgangenen Bewährung zu Lasten des Angeklagten auswirken, hält der Strafsenat im Hinblick auf den Härteausgleich die Anwendung des Vollstreckungsmodells aus den folgenden Erwägungen für vorzugwürdig:

    „Die Überlegenheit dieser Vorgehensweise gegenüber der herkömmlich vorgenommenen Herabsetzung der (Gesamt-)Strafe hat der Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 der Sache nach anhand von Fällen notwendigerweise systemwidriger Eingriffe in die Strafzumessung zur Verwirklichung des Härteausgleichs (BGHSt 31, 102 – Unterschreiten der Untergrenze des § 54 Abs. 1 StGB; BGHSt 36, 270 – Milderung von Einzelstrafen) anerkannt. Seine Anwendung ist aber darüber hinaus auch sonst sachlich geboten. Die Verwirklichung des Härteausgleichs knüpft nicht an der maßgeblichen Grundlage der Strafhöhe, der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 StGB) an, sondern erstrebt die Festsetzung eines gerechten Ausgleichs dafür, dass aufgrund verfahrensrechtlicher Zufälligkeiten eine den Angeklagten beschwerende getrennte bzw. – hier – zusammengefasste Strafbemessung stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO). Die Anwendung des Vollstreckungsmodells erleichtert die Straffestsetzung ferner, weil bisher zu berücksichtigende, getrennt zu bewertende Umstände nicht mehr berührt werden. Dies erleichtert zudem maßgeblich die in Fällen dieser Art besonders sachgerechte abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht. Zudem wird die Transparenz hinsichtlich des gewährten Härteausgleichs, aber auch bezüglich der Straffestsetzung erhöht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO m.w.N.)“.

    Aus diesem Grund hält der Senat die Anrechnung von vier Monaten als bereits vollstreckt für angemessen und ändert das Urteil entsprechend dem Tenor ab.

  • 4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 514/09

    Der Angeklagte ist vom Landgericht Frankenthal wegen Beihilfe zum Betrug in insgesamt elf Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt worden. Die Verfahrensverzögerung, die im Zwischenverfahren eingetreten war, hat das LG dahingehend kompensiert, dass es vier Monate der Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kann hiermit einen Teilerfolg erzielen.

    Wie der 4. Strafsenat feststellt, ist die Verurteilung wegen Beihilfe zum Betrug in einem der vom Landgericht aufgeführten Fälle aufgrund der eingetreten Verjährung rechtsfehlerhaft. Auch ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Ludwigshaften ist danach nicht geeignet gewesen, „eine Unterbrechung der Verjährungsfrist gemäß § 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB herbeizuführen, da er nicht die Beteiligung des Angeklagten an Taten des H. A. betraf“.

    Den betroffenen Verfahrensteil stellt der Senat somit ein und ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Allerdings führt die Einstellung von diesem Verfahren in der Strafzumessung nicht zu einer Aufhebung der Gesamtstrafe.

    Auszug aus dem Wortlaut der Entscheidung:

    „Der mit der Teileinstellung verbundene Wegfall der Einzelstrafe von vier Monaten würde zwar für sich genommen angesichts der Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen nicht zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe führen. Die Strafzumessung begegnet aber aus anderen Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden anwaltsrechtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschl. vom 27. August 1987 – 1 StR 412/87, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 46 Rdn. 9 m.w.N.).“

    Es ist daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass das Landgericht angesichts dieser Feststellungen insgesamt unter Berücksichtigung der erheblichen beruflichen Konsequenzen für den Angeklagten als Rechtsanwalt zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre. Die Entscheidung ist daher an den neuen Tatrichter zurückzuverweisen.

    Zudem wirken sich die Feststellungen des Senats auch auf die Kompensation wegen der hier vorliegenden und der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen aus. In Betracht kommt in diesem Fall ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als Regelung zur Verfahrensverzögerungen zu Lasten des Angeklagten. Einzig die Bemessung der Kompensation bedarf einer Überprüfung und neuen Entscheidung.

    Hierzu führt der Senat aus:

    „Die Revision beanstandet insoweit zu Recht, dass es nicht nur im Zwischenverfahren, sondern auch während des Ermittlungsverfahrens zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gekommen ist, weil das Verfahren nach Fertigung des Abschlussberichts der Polizei bis zur Anklageerhebung nicht erkennbar gefördert wurde. Dagegen hält sich die Zeitspanne zwischen dem Eingang der Revisionsbegründung und der Übersendung der Akten an den Generalbundesanwalt, wie dieser in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, trotz der zwischenzeitlichen Herbeiführung einer Beschwerdeentscheidung zur Frage einer ordnungsgemäßen Vertretung des Angeklagten durch einen weiteren Verteidiger innerhalb der üblichen Verfahrensdauer.“

    Folglich wird der neue Tatrichter auch über die Kompensation der der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerungen im Ermittlungsverfahren neu zu entscheiden haben. Dabei wird er sich an den vom Großen Senat für Strafsachen aufgestellten Maßstäben zu halten und die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen haben, wobei der 4. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung – in dieser Form eher ungewöhnlich – konkrete Vorgaben hinsichtlich der Höhe der Kompensation macht:

    „Die Anrechnung hat sich aber im Regelfall auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken (vgl. BGHSt 52, 124, 146 f.; BGH, Urt. vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08; Beschl. vom 11. März 2008 – 3 StR 54/08; Senatsbeschl. vom 24. November 2009 – 4 StR 245/09). Im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO darf im vorliegenden Fall der nach Abzug des für vollstreckt zu erklärenden Teils der schuldangemessenen Strafe verbleibende Strafanteil jedenfalls acht Monate nicht übersteigen.“


  • 1. Strafsenat des BGH, Az. 1 StR 52/10

    Der Angeklagte war vom Landgericht München I wegen Steuerhinterziehung verurteilt Die hiergegen eingewandte Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) wird zwar vom 1. Strafsenat als unbegründet verworfen, jedoch von folgenden, ergänzenden Bemerkungen (sog. „obiter dictum“) bezüglich der fehlenden, eigenen Bemessung der Höhe der Tabaksteuer in der Beweiswürdigung durch die Strafkammer begleitet:

    Wortlaut des Senats:

    “Die Strafkammer hat sich bei der Feststellung der Höhe der hinterzogenen Tabaksteuer pro Zigarette auf die Angaben der als Zeugin gehörten Zolloberinspektorin G. gestützt. Diese habe den Steuerbescheid erstellt und den Mindeststeuersatz auf 13,64 Cent pro Zigarette zu Grunde gelegt. Dies ist keine zureichende Beweiswürdigung. Der Senat kann nicht nachvollziehen, wie die Strafkammer den Mindeststeuersatz pro Zigarette berechnet hat, und vermag nicht zu beurteilen, ob dies rechtsfehlerfrei geschehen ist.
    Die auf den Besteuerungsgrundlagen aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und daher Aufgabe des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08 – Rdn. 20; vom 25. Oktober 2000 – 5 StR 399/00; vom 15. Mai 1997 [BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9]). Den der Berechnungsdarstellung zukommenden Aufgaben kann nicht durch Bezugnahmen auf Steuerbescheide oder Betriebs- oder Fahndungsprüfungsberichte entsprochen werden. Das Tatgericht ist zwar nicht gehindert, sich Steuerberechnungen von Beamten der Finanzverwaltung anzuschließen, die auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauen. Allerdings muss im Urteil zweifelsfrei erkennbar sein, dass das Tatgericht eine eigenständige – weil ihm obliegende Rechtsanwendung – Steuerberechnung durchgeführt hat (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Mai 2009 – 1 StR 718/08 – Rdn. 21; Jäger StraFo 2006, 477, 479 m.w.N.).“

    Allerdings macht der Senat deutlich, dass hier eine Fehlberechnung zu Lasten des Angeklagten ausgeschlossen werden kann.

    Ferner schließt sich der Senat den Ausführungen des Generalbundesanwalts (GBA) an. Dieser hält zwar die Feststellungen des Gerichts bezüglich der Höhe der hinterzogenen Tabaksteuer für unzureichend, da die Kammer keine Schätzung der tatsächlichen Tabaksteuer bei ausländischen Markenzigaretten mittels Quervergleich vornimmt, sondern sich lediglich auf die Angaben der als Zeugin vernommenen Zolloberinspektorin stützt, sieht darin jedoch keinen Nachteil für den Angeklagten.

    Auszug aus den Ausführungen des Generalbundesanwalts:

    “Jedoch lässt sich ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch beschwert ist. Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Bekanntmachung vom 12. Januar 2009 (BAnz. S. 284) nach § 4 Abs. 1 Satz 4 TabStG die gängigste Preisklasse für Zigaretten des Jahres 2008 mit 4,00 EUR je 17 Stück Zigaretten angegeben; dies entspricht 23,529 Cent je Stück. Bei diesem Kleinverkaufspreis errechnet sich die Tabaksteuer mit 14,072 Cent und die Umsatzsteuer mit 3,756 Cent je Stück, die Gesamtsteuerbelastung durch die Tabaksteuer und die Umsatzsteuer für solche Zigaretten beträgt somit 17,828 Cent je Stück. Daraus ergibt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TabStG ein Mindeststeuersatz von 17,114 Cent abzüglich der Umsatzsteuer, höchstens 14,07 Cent. Wie sich durch einfache mathematische Überlegungen zeigen lässt, entspricht der von der Strafkammer – ohne nähere Erläuterung – angenommene Satz der Tabaksteuer von 13,64 Cent je Stück dem niedrigsten überhaupt möglichen Satz der Tabaksteuer. Dieser Satz wird bei einem Kleinverkaufspreis von etwa 21,769 Cent je Stück erreicht, was einem Preis von etwa 3,70 EUR für eine Packung von 17 Stück entspricht. Bei einem niedrigeren Kleinverkaufspreis errechnet sich ein höherer Mindeststeuersatz, weil der Abzugsposten für die Umsatzsteuer geringer ausfällt; bei einem höheren Kleinverkaufspreis liegt hingegen die tarifmäßige Tabaksteuer nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TabStG über dem Mindeststeuersatz. Aufgrund der Ausgestaltung des Steuertarifs lässt sich daher rechnerisch ausschließen, dass ein geringerer Hinterziehungsbetrag hätte festgestellt werden können. Außerdem beträgt der Unterschied zum Steuersatz der gängigsten Preisklasse ohnehin weniger als einen halben Cent pro Stück und ist damit im Vergleich so geringfügig, dass sich ein Einfluss auf die Strafzumessung ausschließen lässt.“

    Auch wenn sich dieser Fehler in diesem Fall nicht ausgewirkt hat, macht der BGH durch die Erwähnung dieser unzureichenden Beweiswürdigung der Strafkammer die Anforderungen der Darlegung von Berechnungsgrundlagen in den Urteilsgründen im Hinblick auf die Revision deutlich.

  • Der Angeklagte war vom Landgericht Oldenburg wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 38 Fällen, davon in drei Fällen in nicht geringer Menge, sowie wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wobei er in fünf Fällen als Mitglied einer Bande handelte, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte“ zu einer Gesamtstrafe von 8 Jahren verurteilt. Hinzu hat das Gericht den Verfall (Wertersatz 5000 Euro) angeordnet. Zudem wurde die Einziehung verschiedener Gegenstände und Bargeld vom Gericht vorgenommen.

    Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, über die der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hatte. Hauptaugenmerk der Revision des Angeklagten war die Strafzumessung des Landgerichts Oldenburg. Dieses hatte im Strafrahmen und bei der Strafzumessung für den Angeklagten nachteilig berücksichtigt, inwiefern das Handeltreiben mit den Drogen vom persönlichen Gewinnstreben getragen wurde und nicht der Finanzierung der eigenen Abhängig diente. Diese gewinnorientierte Motivation des Angeklagten gab nach Feststellung des Gerichts den Ausschlag für das hohe Strafmaß.

  • 1. Strafsenat des BGH, Az.  1 StR 162/09

    Der Angeklagte war vom Landgericht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 41 Fällen und gewerbsmäßiger Hehlerei in 2 Fällen verurteilt worden. Die Verurteilung setze sich aus 36 vollendeten Betrugstaten zusammen, von denen 24 Fälle in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen worden sind, sowie 5 Fälle des versuchten banden- und gewerbsmäßigen Betruges, von denen wiederum jeweils 3 in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangen worden sind.

    Nach Feststellung des BGH werden jedoch lediglich 40 Betrugsfälle vom Sachverhalt belegt. Allem Anschein nach resultiert die fehlerhafte Annahme des LG auf einem offensichtlichen Versehen, da das Landgericht „im Rahmen der rechtlichen Würdigung zutreffend nur von 40 Fällen des Betruges ausgegangenen ist und für diese Taten auch nur 4 Einzelstrafen verhängt hat“.

    Der 1. Strafsenat des BGH ändert daher den Schuldspruch entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts ab. Zu einer Aufhebung einer Einzelstraftat führt dies nicht, da der Angeklagte durch diesen Rechtsfehler im Hinblick auf die Gesamtstrafe nicht beschwert war. Ebenso ändert sich nichts an dem Gesamtstrafausspruch.

    Allerdings gibt der Senat angesichts dieses Versehens einen Hinweis:

    „Wird eine Tatserie abgeurteilt, ist es ratsam, in den Urteilsgründen für die einzelnen Taten im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung einheitliche Ordnungsziffern zu vergeben und diese durchgängig bei Beweiswürdigung, rechtlicher Würdigung sowie Strafzumessung weiterzuverwenden. Es kann den Bestand eines Urteils insgesamt gefährden, wenn – wie hier – die Urteilsgründe wegen einer inkonsistenten Nummerierung aus sich heraus nicht mehr ohne weiteres verständlich sind und die Ermittlung der für die Einzeltaten verhängten Strafen kaum ohne eine vollständige Rekonstruktion und tabellarische Exzerpierung des Urteilsinhalts möglich ist (vgl. BGH wistra 2006, 467, 468; BGH, Beschl. vom 11. Februar 2003 – 3 StR 391/02 m.w.N.).“

    Trotz des mangels Sorgfalt bei der Abfassung des Urteiles vorliegenden Fehlers, hat der Senat die „Darstellungsmängel letztlich als noch nicht durchgreifend erachtet“. Im Weiteren ist die Revision des Angeklagten damit unbegründet im Sinne des §349 II StPO.


  • Az. (1) 1 Ss 411/08 KG Berlin

    Der Angeklagte war durch das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3.1.2006 wegen gewerbsmäßigen „Schmuggels“ in vier Fällen zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Anschließend kamen weitere Fälle zum Vorschein. Am 20.06.2008 wurde der Angeklagte daraufhin vom LG wegen Schmuggelns in 69 Fällen zu 2 Jahren und einer Geldstrafe verurteilt, wovon 6 Monate Freiheitsstrafe als verbüßt galten. Daraufhin rügte der Angeklagte mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. In der Revision führte er an, dass die Strafkammer die vorliegenden Verfahrensverzögerungen nur bei der Kompensationsentscheidung, aber nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt hätte.

    Zwar hat das Landgericht zur Begründung angeführt, dass ein allgemeines Strafbedürfnis durch den besonders langen Zeitabstand zwischen der Tatbegehung und dem Urteil abnehme, allerdings die aus der überlangen Verfahrensdauer resultierenden besonderen Belastungen für den Angeklagten nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt. Insbesondere gilt dies zu beachten, wenn die Verfahrensdauer auf eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung durch eine Behörde beruht.

    Die Tatsache, dass die Strafkammer des Landgerichts Berlin erst anderthalb Jahre nach Eingang der Akten mit der Berufungshauptverhandlung begonnen hatte, verdeutlicht,  welch erheblicher Belastung der Angeklagte ausgesetzt war.

    Des Weiteren stand im Raum, dass die Strafzumessung weitere Fehler enthält. So hätte das Gericht bereits zu einer anderen, milderen Strafe gelangen können,  wenn die StrK angesichts der Feststellung über die Verfahrensverzögerung

    „schon im Rahmen der Strafzumessung niedrigere Einzelgeldstrafen festgesetzt und die verhängten kurzen Freiheitsstrafen nicht als unerlässlich im Sinne des §47 I StGB angesehen hätte“.

    Nach Ansicht des KG Berlin könne daher auch die Kompensationsentscheidung, mit welcher das Landgericht die Verfahrensverzögerung zu Gunsten des Angeklagten ausgleichen wollte, keinen Bestand haben. Dies liege auch daran, dass das Gericht keine Anstrengung unternommen hat, die Verantwortlichkeit und Folgen der rechtstaatswidrigen Verzögerung festzustellen und zu berücksichtigen.

    Die Strafkammer hätte jedoch diese Feststellung über den von der Verfahrensverzögerung ausgehende Belastung bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Nach Ansicht des Senats kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine höhere Kompensation durch die Strafkammer als der von einem Viertel der verhängten Strafen gelangt wäre und kam der Revision statt. Das Urteil wurde aufgehoben und zur neuen Entscheidung über die Strafzumessung zurückverwiesen.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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