Flieht der Täter mit der Tatwaffe in der Hand, ist dies ein Indiz, dass der Versuch noch nicht fehlgeschlagen ist.
Das Landgericht Düsseldorf verurteilte den Angeklagten neben Diebstahl auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte stahl nach Überzeugung des Gerichts Rasierklingen in einem Drogeriemarkt. Als ein Ladendetektiv den Mann stellte, wehrte sich der Angeklagte. Dabei stach er auch mit einer Nagelfeile mehrfach in Richtung Detektiv. Als der Angeklagte sich aus dem Haltegriff des Ladendetektives befreien konnte, floh er. Die Strafverteidigung legte gegen die Verurteilung Revision ein.
Der Bundesgerichtshof (BGH) kritisiert, dass das Landgericht einen Rücktritt von der versuchten gefährlichen Körperverletzung nicht prüfte.
„Nach den bisherigen Feststellungen bleibt insbesondere die Möglichkeit offen, dass ein unbeendeter Versuch der gefährlichen Körperverletzung vorlag mit der möglichen Folge, dass der Angeklagte davon ohne weiteres Tätigwerden mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sein könnte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).“
Der Versuch war auch noch nicht fehlgeschlagen, da der Angeklagte immer noch die Möglichkeit gehabt hatte, mit der Nagelfeile zuzustechen und den Erfolg herbeizuführen:
„Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Nagelfeile bis zu seiner Festnahme in der Hand behielt und jederzeit wieder damit hätte zustechen können. Für die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, der vorliegt, wenn der Zurücktreten-de den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges nicht mehr für möglich hält (SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, 1. Aufl., § 24 Rn. 16 mwN), ist unter dieser Voraussetzung kein Raum.“
Deswegen hob der BGH die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung auf. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zurück an das Landgericht verwiesen.
BGH, Beschluss vom 20. September 2012, Az.: 3 StR 367/12
BGH, Beschluss vom 04.05.2011, Az.: 5 StR 65/11
Das Landgericht Kiel hat den nach einem Verkehrsunfall dauerhaft arbeitsunfähigen Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und das asservierte Tatmesser eingezogen. Gegen die Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die 15 Jahre jüngere Ehefrau des Angeklagten wollte sich seit spätestens Herbst 2008 scheiden lassen. Im August 2009 lerne die Frau das spätere Tatopfer kennen und begann eine Beziehung mit ihm zu führen. Nach einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Frau, nahmen Polizeibeamte den Mann mit und brachten ihn in die Psychiatrie, wo er stationär behandelt wurde.
Um das Sorgerecht zu klären, vereinbarte er einige Zeit später einen „Gesprächstermin“ mit seiner Frau. Dazu nahm er ein Küchenmesser mit, welches eine Klingenlänge von ca. 20 cm hatte.
Als die Frau während des Gesprächs kurz das Zimmer verließ, ging der Angeklagte auf den neuen Mann seiner Frau los. Der Angeklagte hatte mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu Verletzungen der Leber, des Dünndarms, der Milzvene und einer Nierenvene sowie der rechten Beckenschlagader kam. Darüber hinaus stach der Angeklagte in die linke Brustseite, was zu einer Verletzung der Lunge führte, und fügte ihm zwei weitere Stichverletzungen im Bereich der Extremitäten zu. Aufgrund der Verletzungen verstarb der Mann am folgenden Morgen im Krankenhaus.
Das Landgericht bejahte das Merkmal Heimtücke und nach Anhörung eines Sachverständigen die volle Schuldfähigkeit.
Der BGH sah die Festellungen und Schlussfolgerungen des Landgerichts im Hinblick auf das Mordmerkmal Heimtücke und eine mögliche Schuldunfähgikeit als nicht ausreichend an und gab der Revision insoweit statt:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 26. November 1986 – 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).“
„Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 26. November 1986 und vom 30. Mai 1996 aaO; BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 jeweils mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 mwN); psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330).“
Daher hängt nach Ansicht des BGH auch hier das Ausnutzen von der Annahme der Schuldfähigkeit ab.
Das Landgericht ist unter Heranziehung eines Sachverständigen von einem Zustand affektiver Erregung ausgegangen. Allerdings wurde die Schuldunfähigkeit ausgeschlossen, da der Umfang des Affekts nicht ausreichend sei. Insbesondere bezieht sich das Gericht dabei auf das Nachtatverhalten des Angeklagten. Dieser habe das Tatmesser vollständig gereinigt und sich deshalb in einem „klaren Zustand“ befunden.
Dies sei laut BGH nicht nachvollziehbar. Die Reinigung der Tatwaffe spricht nicht gegen die Schuldunfähigkeit. Vielmehr bedarf das Geschehen erneuter tatrichterlicher Prüfung. Aufgrund der erfolgreichen Revision hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies dieses zur neuen Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Kiel zurück.
Im Kachelmann-Prozess wurde ein weiterer Gutachter gehört. Dieser sagte aus, dass sich am Messergriff der mutmaßlichen Tatwaffe sowohl Spuren, die auf das mögliche Opfer hinweisen würden befänden als auch eine, allerdings geringere Spur, die auf Kachelmann hinweisen würde.
Diese geringe Spur könne nach Einschätzung des Gutachters auf die glatte Oberfläche zurückzuführen sein. Es sei jedoch auch möglich, dass die Spur in der Tüte der Spurensicherung verloren gegangen sei. Letztlich könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine sog. „Spurenübertragung“ stattgefunden haben. Das bedeutet, dass das mutmaßliche Opfer winzige Hautpartikel von Kachelmann auf die mutmaßliche Tatwaffe übertragen haben könnte. Es gebe deshalb gewisse Zweifel an der Verwendung des Küchenmessers bei der mutmaßlichen Tat.
Der Gutachter sagte weiterhin, dass er ein eindeutigeres Ergebnis erwarte, wenn ein Mensch einen Gegenstand mehrere Minuten in der Hand gehalten haben soll.
Die Auswertung der DNS-Spuren ist demnach kein Beweis eine etwaige Tat Kachelmanns. Kachelmanns Verteidiger Schwenn wertete die Aussage des Gutachters daher als Entlastung für seinen Mandanten
(Quellen: spiegel-online vom 20.12.2010; zeit-online vom 20.12.2010)
Az.: 83 Ss 87/09 (OLG Köln)
Der Angeklagte ist vom Amtsgericht wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Mit der hiergegen gerichteten Sprung-Revision rügt der Angeklagte die Verletzung des materiellen Rechts. Die Revision ist aus folgenden Erwägungen erfolgreich:
Nach Feststellungen des Amtsgerichts Aachen, beschloss der Angeklagte sich spontan, die vor ihm gehende Zeugin zu überfallen, um sich von der möglichen Beute etwas zu trinken zu kaufen. Hierfür hob er einen „dickeren Ast“ vom Fußboden auf, drückten diesen der Zeugin in den Nacken und überraschte sie von hinten mit den Worten „Gib die Tasche her, hält´s Maul“. Daraufhin gab die Zeugin von Angst getragen die Handtasche an den Angeklagten.
Das Amtsgericht wertete den dickeren Ast als ein Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b) StGB.
Der Senat führt hierzu aus:
„Bei dem in § 250 Abs. 1 Ziff. 1b) StGB angesprochenen „Werkzeug“ handelt es sich begrifflich um ein Mittel, das bei entsprechender Verwendungsabsicht geeignet ist, möglichem Widerstand gewaltsam zu begegnen (Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 250 Rz. 9 mit § 244 Rz. 25; Eser in: Schenke/Schröder, StGB, 27. Auflage 2006, § 250 Rz. 14 mit § 244 Rz. 13; s. weiter BGH StV 1999, 21 [Holzknüppel] und BGH NStZ-RR 1999, 355 [abgesägter Besenstiel]). Diese Eignung kann bei einem „dickeren Ast“ nicht ohne weiteres und ohne nähere Beschreibung seiner Beschaffenheit unterstellt werden, sondern hängt vielmehr u.a. von dessen Länge, der Stärke und der Konsistenz (hart oder [erkennbar] morsch?) ab.“
Allerdings fehlt es nach Auffassung des Senats an zureichenden Feststellungen hierzu in dem angefochtenen Urteil. Daran ändert sich auch nichts, wenn der vom Täter verwendete Gegenstand als Scheinwaffe verwendet worden ist. Die Bestimmung, ob der verwendete Gegenstand einen Scheinwaffe im Sinne des Begriffs des „Werkzeugs“ darstellt, richtet sich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild:
„Scheinwaffen, d.h. Gegenstände, die objektiv ungefährlich sind und deren Verwendungstauglichkeit lediglich vorgetäuscht wird, sind vom Begriff des „Werkzeugs“ i.S.d. § 250 Abs. 1 Ziff. 1b) StGB nicht umfasst, wenn sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich und deshalb nicht geeignet sind, mit ihnen – etwa durch Schlagen, Stoßen, Stechen oder in ähnlicher Weise – auf den Körper eines anderen in erheblicher Weise einzuwirken. Die Einschüchterung muss maßgeblich durch den Gegenstand selbst und nicht durch Täuschung über dessen Eigenschaft als Waffe begründet sein ( BGH NStZ 2007, 332 [333]). Ist er schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich, so fehlt es an einer objektiven Scheinwirkung und die Täuschung steht so sehr im Vordergrund seiner Anwendung, dass die Qualifizierung als Werkzeug i.S.d. Bestimmung verfehlt wäre ( BGHSt 38, 116 [117 ff.] – „Platikrohr“ -; BGH NStZ 1997, 184 – „Labello“ -).“
Somit waren auch vor diesem Hintergrund nähere Feststellungen zur Beschaffenheit des Astes vom Amtsgericht Aachen anzustellen, um überhaupt bestimmen zu können, ob das Aststück geeignet war, um bedrohlich zu wirken. Daran fehlt es aber im angefochtenen Urteil. Folglich ist der Strafausspruch vom Senat durch die erfolgreiche Revision aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen worden.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner