Widerstandsunfähigkeit

  • Entscheidet sich jemand bewusst keinen Widerstand zu leisten, da er die Konsequenzen fürchtet, ist er nicht Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 StGB

    Der Angeklagte arbeitete als psychologischer Psychotherapeut. Dabei kam es in drei Fällen zu sexuellen Handlungen mit einer Patientin, die sich aufgrund von Angst und depressiven Störungen in seiner Behandlung befand. Im Rahmen der Therapie überzeugte der Angeklagte die Frau, dass Körperkontakt notwendig sei. Ebenfalls nahm die Zeugin die Rolle als Kind ein, während der Angeklagte ihre Mutter darstellte.

    Das Landgericht Bielefeld nahm einen sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit dem schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person an. Die Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ergab sich daraus, dass sie sich nicht zu wehren vermochte, da sie ihre „Mutter“ nicht verlieren wollte.
    Gegen das Urteil richtete sich die Strafverteidigung mit der Revision. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat bezüglich der Widerstandsunfähigkeit der Betroffenen seine Bedenken. Dazu führte der Generalbundesanwalt aus, dem sich der Senat anschloss:

    „Dass sie sich dafür entschieden hat – wenn auch aus krankhaft bedingter Existenzangst – keinerlei Widerstand zu äußern [und zu leisten], zeigt aber, dass die Nebenklägerin eine Abwägung vorgenommen, mithin ein Willensbildungsprozess stattgefunden hat. Der Umstand, dass sie in ihrer Entscheidung „nicht frei gewesen“ sei (UA S. 37), steht dem nicht entgegen. Denn er bedeutet lediglich, dass der zu erwartende Behandlungsabbruch für die Nebenklägerin einen derart großen (vermeintlichen) Nachteil dargestellt hätte, den sie für sich nicht in Kauf nehmen wollte.“

    Aus diesem Grund kann nicht von einer Widerstandsunfähigkeit im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB ausgegangen werden. Der BGH hebt daher die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen auf. Dies führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruches. Im Umfang der Aufhebung muss sich eine andere Strafkammer des Landgerichts erneut mit der Sache beschäftigen.

    BGH, Beschluss vom 10. August 2011, Az.: 4 StR 338/11


  • Tatopfer im Sinne des § 179 StGB („Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“) kann nur sein, wer unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen.

    Der Angeklagte wohnte mit der Geschädigten in einer gemeinsamen Wohnung. Ohne dass sie ein Paar waren, schliefen sie gelegentlich einvernehmlich miteinander. Ebenfalls konsumierten sie regelmäßig gemeinsam Drogen und Psychopharmaka. Dabei wirkte ein Psychopharmakon besonders einschläfernd.

    Als die Geschädigte durch die Medikamente nachts besonders fest schlief, soll der Angeklagte den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzogen haben. Dabei sei sie wohl aufgewacht, hätte sich jedoch aufgrund der Drogen und der Tabletten nicht dagegen wehren können und schlief wieder ein.

    Das Landgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß §§ 197 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe. Dagegen wehrt sich die Strafverteidigung mit der Revision.

  • 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 3 StR 410/10

    Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus in einem Strafprozess wegen sexuellem Missbrauch Widerstandsunfähiger angeordnet.
    Dem lagen folgende Feststellungen zugrunde:
    Der Beschuldigte habe in drei Fällen die Hose der zu 100 % geistig behinderten Zeugin geöffnet und jeweils einen Finger in deren Scheide eingeführt. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung sei die Geschädigte unfähig gewesen, die von ihr abgelehnten sexuellen Übergriffe abzuwehren. Dies habe der Beschuldigte ausgenutzt, obwohl er gewusst habe, dass die Frau die sexuellen Handlungen nicht wollte und aufgrund ihrer Behinderung zum Widerstand außerstande war. Wegen eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen Frontalhirnsyndroms, das tiefgreifende Veränderungen in der Äußerung der Affekte, Bedürfnisse und Impulse bewirkt hatte, sei der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Taten nicht in der Lage gewesen, sein Verhalten entsprechend seiner erhalten gebliebenen Unrechtseinsicht zu steuern.

    Aufgrund dieser Feststellung ging das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit in drei Fällen eine widerstandsunfähige Person sexuell missbraucht habe. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet, weil vom Beschuldigten in vergleichbaren Reizsituationen gleichartige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

    Gegen diese Entscheidung des Landgerichts legte der Beschuldigte Revision ein.

    Der 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs hat der Revision des Beschuldigten stattgegeben, die Verteidigung in der Revisionwar erfolgreich. Hinsichtlich der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bestünden durchgreifende rechtliche Bedenken.
    So habe das LG hat zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten wegen einer krankhaften seelischen Störung bei den ihm zur Last liegenden Taten aufgehoben gewesen sei. Durch die Beweiswürdigung würde aber nicht die für den objektiven Tatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entscheidende Feststellung belegt, dass die Geschädigte bei den sexuellen Übergriffen widerstandsunfähig gewesen sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Widerstandsunfähig im Sinne des § 179 I Nr. 1 StGB ist, wer aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann. Dabei genügt es, dass das Tatopfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist. Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kommen nicht nur geistig-seelische Erkrankungen, sondern auch sonstige geistig-seelische Beeinträchtigungen in Betracht, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation infolge Überraschung, Schreck oder Schock ergeben. Der Tatrichter hat aufgrund einer Gesamtbetrachtung, in die auch das aktuelle Tatgeschehen einzubeziehen ist, die geistig-seelische Verfassung des Tatopfers und deren Auswirkungen auf das Opferverhalten zu prüfen und in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 15. März 1989 – 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147).
    Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat seine Überzeugung von der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten nicht begründet, so dass für den Senat nicht nachprüfbar ist, ob sie zu Recht von einer psychischen Widerstandsunfähigkeit der Zeugin ausgegangen ist.“

    Der 3. Strafsenat des BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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