Wiederaufnahmeverfahren

  • Das damals neunjährige Mädchen verschwand im Frühjahr 2001 spurlos. Rund drei Jahre später wurde ein Tatverdächtigter wegen Mordes (§ 211 StGB) zu lebenslanger Haft verurteilt. Zweifel an der Täterschaft gab es seit dem mehrfach, vor allem da die Leiche des Mädchens bisher nicht gefunden wurde.

  • Sieben Jahre saß Gustl Mollath zwangsweise in der Psychiatrie. Er hatte seiner Frau und ihrem Arbeitgeber, eine Bank, Schwarzgeldgeschäfte vorgeworfen. Unter anderem soll er daraufhin auch Autoreifen zerstochen und Personen körperlich angegriffen haben. Am Ende wurden die Theorien von Mollath vom Landgericht als Hirngespinste abgetan und der heute 56-Jährige in eine psychiatrische Unterbringung eingewiesen. Später stellte sich heraus, dass die Vorwürfe Mollaths zum Teil der Wahrheit entsprachen.

  • Der Fall Mollath beschäftigt die bayrische Justiz seit Monaten. Mollath wird seit mehreren Jahren in einer psychiatrischen Klinik festgehalten, nachdem er eine mögliche Schwarzgeldaffäre bei einer Bank, bei der seine Exfrau beschäftigt war, aufgedeckt hatte. Damals gingen die Gerichte von Verschwörungstheorien aus und ordneten die Unterbringung in einer Psychiatrie an. Da Mollath seine Frau körperlich angegriffen und mehrere Reifen zerstochen haben solle, erkannten die Richter eine Gefahr für die Allgemeinheit.

  • Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Strafbefehlsverfahren zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 20,00 € verurteilt.

    Hiergegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Mit Gerichtsbeschluss hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO „vorläufig“ eingestellt mit der Begründung, dass die Strafe, zu der die Verfolgung führen könne, neben der Strafe, die der Angeklagte in anderen Verfahren zu erwarten habe, nicht ins Gewicht falle. In einem anderen Verfahren ist er rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen á 15,00 € verurteilt worden. In einem weiteren Verfahren, auf das sich die Einstellung auch bezieht, wurde der Angeklagte vermeintlich freigesprochen, das Verfahren ist allerdings noch anhängig.

    Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die sich gegen eine „endgültige“ Verfahrenseinstellung ausgesprochen hat, da die verhängte Geldstrafe von 150 Tagessätzen keine Grundlage hierfür bilde aber ohne Anhörung des Angeklagten, hat der Vorsitzende ohne weitere Begründung verfügt, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird; zugleich hat er einen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt.

    Die Wiederaufnahme ist dem Angeklagten nicht ausdrücklich bekannt gemacht worden. Gleichwohl ist gegen den Angeklagten das angefochtene Urteil ergangen, mit dem die gegen den Angeklagten verhängte Geldstrafe auf 50 Tagessätzen zu je 15,00 € herabgesetzt worden ist.

    Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte erfolgreich Revision ein. Dazu das KG:

  • Nachdem das Landgericht Kassel Anfang Juli einen Lehrer nachträglich freigesprochen hatte, droht der Belastungszeugin nun eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung. Die Frau hatte ihren Kollegen beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben.

    Der Mann war daraufhin zu einer 5-jährigen Haftstrafe verurteilt worden, die er auch vollständig verbüßte. Der Prozess wurde im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens neu aufgerollt und endete mit einem Freispruch, da das mutmaßliche Opfer sich nach Auffassung des Gerichts zu sehr in Lügen verstrickte. Gegen den Freispruch legte die Verteidigung der Frau Revision ein.

    Wegen der laufenden Ermittlungen gegen sie, darf die Frau bereits vorläufig nicht mehr unterrichten. Dies solle aber keine Schuldzuweisung darstellen, sondern vielmehr einen geregelten Unterrichtsgang ermöglichen, so die Sprecherin der Bezirksregierung. Das Medienchaos um die Frau mache dies aber unmöglich.

    ( Quelle: Spiegel online vom 04.08.2011 )


  • BGH, Beschluss des 2. Strafsenats vom 21.12.2010 – 2 StR 344/10 –

    Wiederaufnahmeverfahren: Nachdem der Angeklagte 1991 aus der Haft entlassen wurde lebte er bei der Familie W., wobei er den 13-jährigen Sohn sexuell missbrauchte. Dabei griff der Angeklagte das Glied des Jungen und führte daran Onanierbewegungen aus, nahm es in den Mund und manipulierte daran bis zum Samenerguss.

    Das Landgericht Aachen hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, wovon ein Jahr und drei Monate als vollstreckt erklärt wurden. Grund dafür sollte eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung sein. Außerdem wurde die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

    Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt. Diese hat bezüglich des Straf- und Maßregelausspruchs Erfolg. Bei der Strafzumessung ist ein falscher Maßstab zugrunde gelegt worden.

    Ein Urteil des Landgerichts Augsburg aus dem Jahre 2001 hatte den Mann wegen Missbrauchstaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dieses erlangte 2002 Rechtskraft. Daraufhin sah die Staatsanwaltschaft nach § 154 I StPO von der Verfolgung der nunmehr abgeurteilten Tatvorwürfe ab. 2009 wurde – nach Vollstreckung der Strafe – das vorliegende Verfahren wiederaufgenommen.

    Dazu führte der BGH aus:

    „Nicht gegeben ist zwar das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis infolge der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO. Denn diese kann jeder-zeit – bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung – ein nach § 154 Abs. 1 StPO eingestelltes Verfahren wieder aufnehmen, ohne an die Beschränkungen des § 154 Abs. 3 und 4 StPO gebunden zu sein (BGHSt 30, 165; 37, 10, 11; BGHR StPO § 154 Abs. 4, Wiederaufnahme 1; BGH NStZ-RR 2007, 20; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 154 Rn. 21a). Ob es für die Wiederaufnahme eines „sachlich einleuchtenden Grundes“ bedarf (BGHSt 54, 1, 7; Rieß NStZ 1981, 2, 9; offen gelassen in BGHSt 37, 10, 13) kann dahin stehen. Solche Gründe waren hier, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, gegeben. Diese lagen vor allem in einem fortbestehenden Verfolgungsinteresse des Geschädigten.

    (…)
    Als rechtsfehlerhaft erweist sich aber, dass das Landgericht in der zwischenzeitlichen Nichtverfolgung und dem dadurch eingetretenen Stillstand im Ermittlungsverfahren einen zu kompensierenden Verstoß gegen den aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, Art. 20 GG resultierenden Anspruch auf zügige Verfahrensdurchführung (vgl. BGHSt 52, 124, 129) gesehen hat. Der Gesetzgeber hat in § 154 Abs. 1 StPO die Staatsanwaltschaft ermächtigt, in Durchbrechung des Legalitätsprinzips aus Opportunitätsgründen auf die weitere Verfolgung (vorläufig) zu verzichten (vgl. hierzu Rieß aaO; BT-Drs. 8/976 S. 40). Macht die Staatsanwaltschaft von dieser Möglichkeit aus verfahrensökonomischen Gründen Gebrauch und nimmt sie das Verfahren später in zulässiger Weise wieder auf, kann die hierdurch bewirkte Verzögerung jedenfalls nicht ohne weiteres den Vorwurf der Rechtsstaatswidrigkeit begründen.

    (…)
    Ein großer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Aburteilung sowie eine lange Verfahrensdauer und ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Angeklagten stellen regelmäßig selbst dann gewichtige Milderungsgründe dar, wenn diese sachlich bedingt waren (BGH NStZ 1986, 217, 218; 1991, 181; NJW 1990, 56; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. Rn. 438; Fischer StGB 58. Aufl. § 46 Rn. 61 jew. mwN).“

    Folglich konnte das Verfahren wiederaufgenommen werden. Allerdings kritisiert der BGH, dass das Landgericht durch die späte Wiederaufnahme eine Verfahrensverzögerung angenommen hat. Daher sei die Vollstreckungsanrechung zu Unrecht gewährt worden, müsse aber bestehen bleiben, da sie den Angeklagten nicht beschwert. Dadurch könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass es Fehler beim Straf- und Maßregelausspruch entstanden ist. Somit wurde das Urteil diesbezüglich aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen.


  • Wiederaufnahme
    von Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg

    Die Arbeitsgruppe 6 warf einen Blick auf das (bisher zu wenig genutzte) Instrument der Wiederaufnahme in Strafsachen. Trotz der nicht ganz unbeachtlichen Funktion dieses Rechtbehelfs findet die Wiederaufnahme in der Praxis zu wenig Aufmerksamkeit. Dem gilt es langfristig entgegenzuwirken und bereits im frühen Stadium der Juristenausbildung durch eine gezielte Ausbildung und Beschäftigung mit dem Thema für weitere Grundlagen zu sorgen.

    Wichtig für ein rechtsstaatliches Verfahren: Der Verurteile muss auch nach seiner Verurteilung die Chance und Möglichkeit haben, asservierte Spuren bei der Kriminalpolizei oder bei der Staatsanwaltschaft fachkundig untersuchen zu lassen. Vorraussetzung hierfür ist, dass die neuen Tatsachen zu einer Erschütterung der Urteilsgründe führten könnten und die neuen Tatsachen und Beweise somit von einer hohen Relevanz für das (abgeschlossene) Verfahren als solches, aber auch seiner persönlichen Verurteilung sind.

    Dass ein solches Verfahren in ähnlicher Form zu Erfolg führen kann für den unschuldig Verurteilten, zeigten bereits die in den USA angewandten „Innocence-Projects“, in dessen Rahmen 220 rechtskräftig verurteilte Straftäter aufgrund der neuen Erkenntnisse freigelassen worden sind.

    Die Arbeitsgruppe begrüßt ein solches Projekt und empfiehlt die Einführung eines vergleichbaren Projekts in Deutschland. In Zusammenarbeit mit einer Stiftung oder einem Lehrstuhl an einer Universität könnte somit eine neue Plattform erschaffen werden, die Kontakte zu Sachverständigen zu knüpfen ermöglicht und dem Verurteilten und dessen (früheren) Strafverteidiger bei den neuen Schritten zum Wiederaufnahmeverfahren begleitet.

    Ferner ist nach Auffassung der Teilnehmer der AG dem Verurteilten bei einer möglichen Wiederaufnahme nach §§ 359 Zif. 2 und 3 StPO und § 364 StPO des Verfahrens das Beteiligungsrecht als Nebenkläger einzuräumen.  Auch soll ein Wiederaufnahmegrund bei einer Beteiligung des (früheren) Strafverteidigers an einem prozessordnungswidrigen „Deal“ ohne Veranlassung durch den Verurteilten eingeräumt werden.

    Die AG macht allerdings auch deutlich, dass eine effektive Verteidigung in Wiederaufnahmesachen auch eine angemessene Honorierung erfordert. Hier sollten die geltenden Vorschriften des RGV entsprechend angepasst werden.

    Zudem sollten vor allem vor dem Hintergrund des Informationsbedürfnisses der Beteiligten die technischen Möglichkeiten eines Inhaltsprotokolls in der Hauptverhandlung eingesetzt werden.

    Zum Schluss stellen die Teilnehmer der Arbeitsgruppe abschließend fest, dass eine Verkürzung der Rechtskraft bei unschuldig Verurteilten unangemessen und so der Rechtsfrieden gestört ist.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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