1. Strafsenat des OLG Nürnberg, Az.: 1 Ws 462/10
Gegen den Beschuldigten wurde ein Haftbefehl wegen dringenden Tatverdachts und dem Haftgrund der Fluchtgefahr erlassen. Der Beschuldigte wurde in U-Haft verbracht und nach sechs Monaten die Haftfortdauer angeordnet.
Die 1. Strafkammer hatte die Durchführung der Hauptverhandlung erst für einen Termin fünf Monate nach Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorgesehen.
Nach Ansicht des 1. Strafsenats des OLG Nürnberg sind die Voraussetzungen für die Anordnung der Fortdauer der U-Haft über sechs Monate hinaus, gem. § 121 Abs. 1 StPO, nicht gegeben. Das Verfahren habe nicht die in Haftsachen gebotene, auf den Freiheitsanspruch gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 2 MRK beruhende Beschleunigung erfahren.
Aus dem Wortlaut des Beschlusses:
„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der (Anordnung und) Aufrechterhaltung der U-Haft das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig Verurteilten als Korrektiv entgegengehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt insoweit, dass die Dauer der U-Haft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (vgl. BVerfG StV 2008, 421).
Dem trägt die Vorschrift des § l21 Abs. 1 StPO dadurch Rechnung, dass der Vollzug der U-Haft vor dem Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der U-Haft über sechs Monate hinweg zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50: 36, 264, 271). Kommt es zu sachlich nicht gerechtfertigten und vermeidbaren erheblichen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte nicht zu vertreten hat, so steht bereits die Nichtbeachtung des Beschleunigungsgebotes regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der U-Haft entgegen (vgl. BVerfG NJW 2006, 1336 [= StV 2006,148]).“
Die Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg. Der 1. Strafsenat hob den Haftbefehl auf.