Besorgnis der Befangenheit bei Ungleichbehandlung von Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger

Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Görlitz wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden.

Hiergegen haben der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, welche allerdings abgelehnt wurde. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die vor dem OLG Dresden aus nachstehenden Gründen Erfolg hat:

Am festgesetzten Termin der Berufungshauptverhandlung konnte der Wahlverteidiger RA I. vorerst nicht beiwohnen und beantragte eine Terminverlegung, die jedoch seitens des Gerichts zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig hat der vorsitzende Richter die Beiordnung der RAin S. als Verteidigerin vorgenommen, ohne dass der Angeklagte hierzu Stellung nehmen konnte.

Als der Wahlverteidiger RA I. den Termin der Verhandlung nun doch wahrnehmen konnte, beantragte dieser Akteneinsicht und die Aufhebung der Bestellung der RAin S. als Verteidigerin des Angeklagten. Die konkrete Akteneinsicht des Verteidigers scheiterte später jedoch daran, dass dem Wahlverteidiger zu wenig Zeit eingeräumt wurde, wohl insbesondere daran, dass sich die Akten zu diesem Zeitpunkt bei der Pflichtverteidigerin befanden. Auch dem Antrag auf Bestellung des Wahlverteidigers wurde nicht entsprochen.

Der Angeklagte hat angesichts dieser Vorgänge in der Berufungshauptverhandlung  den Vorsitzenden Richter abgelehnt, weil dieser seiner Meinung nach „die Besorgnis der Voreingenommenheit begründete“. Dieser Befangenheitsantrag wurde zurückgewiesen.

Das Ablehnungsgesuch ist nach Ansicht des OLG Dresden zu Unrecht verworfen worden. Denn „der Angeklagte konnte aufgrund des zuvor beschriebenen Verfahrensablaufs von seinem Standpunkt aus den Eindruck gewinnen, dass der abgelehnte Richter seinen Belangen nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenüberstehe (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 24 Rdnr. 8 m.w.N.).“

Weiter heißt es im Beschluss:

Allein die Tatsache, dass der Wahlverteidiger aus terminlichen Gründen verhindert ist, eine Hauptverhandlung wahrzunehmen, gebiete die sofortige, ungeprüfte Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht. Bestellt das Gericht jedoch aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung einen vom Angeklagten nicht gewünschten Pflichtverteidiger, kann – nach den Gegebenheiten des Einzelfalls – der Angeklagte Grund zur Annahme einer Befangenheit des Richters haben (vgl. BayObLG a.a.O.).

Auch die Verfahrensweise zur Akteneinsicht sei nicht unproblematisch. Insbesondere ist dem Wahlverteidiger die Akteneinsicht erschwert worden. Dieses kann den Eindruck einer Ungleichbehandlung der Verteidiger erwecken. So führt der Senat im Beschluss aus:

Gemäß § 147 Abs. 4 StPO sollen dem Verteidiger grundsätzlich auf seinen Antrag die Akten zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume mitgegeben werden. Soweit im Beschluss vom 24. März 2009 ausgeführt wird, dass nicht zu beanstanden sei, dass der Vorsitzende „in der knappen verbleibenden Zeit die Akten nicht zur Einsichtnahme durch den Verteidiger nach Dresden versandt hat, in Anbetracht des Transportweges und der regelmäßig ungewissen Dauer des Verbleibs der Akten in den Kanzleiräumen von Verteidigern“, sind diese Erwägungen angesichts der tatsächlich zur Verfügung stehenden Zeit und insbesondere auch der von Rechtsanwalt I. vorgeschlagenen Abwicklungsmodalität nicht tragfähig. Dadurch, dass die neu bestellte Pflichtverteidigerin die Akten ohne Weiteres in ihre Kanzleiräume überstellt bekam, konnte sich dem Angeklagten der Eindruck der Ungleichbehandlung aufdrängen. Zudem ist nicht erkennbar, ob möglicherweise etwaige Zweitakten hätten versandt werden können bzw. warum Zweitakten nicht angelegt sind.

Aus diesem Grund hat die Revision des Angeklagten vor dem OLG Dresden Erfolg. Das angefochtene Urteil wurde aufgehoben.

OLG Dresden, Az: 1 Ss 347/09

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