Der Bundesgerichtshof bestätigt das Anwesenheitsrecht des Angeklagten bei der Entscheidung über die Entlassung eines Zeugen

Der Angeklagte ist wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden.

Hiergegen wendet er sich mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das Verfahren ist beim 4. Strafsenat anhängig. Auf Vorlage des 5. Strafsenats hatte der große Strafsenat des BGH über die Frage zu entscheiden, „ob die Abwesenheit des gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen ausgeschlossenen Angeklagten während der anschließenden Verhandlung über die Entlassung des Zeugen eine Verletzung seines Anwesenheitsrechts bedeutet und einen absoluten Revisionsgrund darstellt.“

Nach bisheriger Rechtsprechung wurde dies immer angenommen und auf entsprechender Revisionsrüge das Urteil regelmäßig aufgehoben.

Der 5. Strafsenat schloss sich dem nicht an und sah die Entlassung eines Zeugen noch als Teil der Vernehmung, so dass aus diesem Grund die Abwesenheit des Angeklagten in diesem Zeitraum von dem Ausschlussgrund gedeckt sei. Die Rechte des Angeklagten seien „durch einen relativen Revisionsgrund der Verletzung des Fragerechts hinreichend gesichert.“

Hingegen bestätigt der Große Senat für Strafsachen die bisherige Rechtsprechung. So heißt es in der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 15.6.2010:

Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen wird vom Begriff der Vernehmung i. S. v. § 247 StPO nicht erfasst. Diese restriktive Auslegung trägt vor allem der hohen Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und auf eine angemessene Verteidigung Rechnung. Seine Rechte können nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eingeschränkt werden, in denen andere wichtige Belange dies notwendig erscheinen lassen. So sieht § 247 Satz 1 StPO aus Gründen der Wahrheitserforschung und § 247 Satz 2 StPO aus Gründen des Zeugen- und Opferschutzes die Möglichkeit vor, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen, wenn zu befürchten ist, dass der Zeuge sonst aus Angst nicht die Wahrheit sagen werde, oder für ihn aus gesundheitlichen Gründen Gefahren bestehen. Ein Ausschluss des Angeklagten von der Entlassungsverhandlung ist aber weder aus Gründen der Wahrheitserforschung erforderlich noch zum Schutz des Zeugen stets unerlässlich.

So ist die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen, der in Abwesenheit des Angeklagten vernommen wird, grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Ist der Angeklagte in dieser Zeit ausgeschlossen von der Verhandlung, wird er dadurch gehindert, im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung des Zeugen durch die Stellung von Anträgen und Fragen sein Mitwirkungsrecht wahrzunehmen. Folglich erfüllt der Ausschluss die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO.

BGH, Beschluss vom 21. April 2010, Az.: GSSt 1/09

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