Zum Haftgrund bei Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) bei früherer jugendgerichtlicher Verurteilung

Der Angeklagte wurde am 30.07.2009 aufgrund des Haftbefehles des Amtsgerichts Oldenburg vorläufig festgenommen und befand sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Am 30.09.2009 hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen ihn und die zwei Mitangeklagten Anklage wegen gemeinschaftlich begangenen erpresserischen Menschraubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzungen erhoben, worauf sich auch der Haftbefehl gestützt hat.

Den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls hat das LG Oldenburg mit Beschluss vom 9.11.2009 zurückgewiesen sowie der Beschwerde gegen den Haftbefehl mit Beschluss vom 1.12.2009 nicht abgeholfen.

Eine weitere Beschwerde vor dem OLG Oldenburg ist nach Ansicht des Senats zulässig und begründet und führt angesichts folgender Erwägungen zur Aufhebung des Haftbefehls:

Das OLG Oldenburg in seinem Beschluss zutreffend darauf hin, dass i. E. dahinstehen kann, ob ein dringender Tatverdacht hinsichtlich der in der Anklageschrift enthaltenden Vorwürfe zu Lasten des Angeklagten besteht, da es jedenfalls an einem Haftgrund fehlt. Das AG und LG Oldenburg hatten diesbezüglich den Haftgrund der Wiederholungsgefahr im Sinne des §112a Abs. 1 Nr. 2 StPO angenommen. Diese Vorschrift ist indes aufgrund der schweren Folge eng auszulegen, so dass nur Straftaten in Betracht kommen, die einen „überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt“ beinhalten:

Dieser Haftgrund [der Wiederholungsgefahr] setzte zum einen voraus, dass der Angeklagte dringend verdächtig wäre, wiederholt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat begangen zu haben. Da die Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO generell schwerwiegender Natur sind, ist das Merkmal ‚die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend‘ den Haftgrund einschränkend zu verstehen. Es können daher nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes in Betracht kommen, vgl. OLG Thüringen, NStZRR 2009, 143, 144.

Im vorliegenden Fall begründete das Amtsgericht Oldenburg den Haftgrund der Wiederholungsgefahr neben der verfahrensgegenständlichen Tat auch mit einer früheren Verurteilung des Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie versuchter Nötigung. So wurde dieser am 13.10.2008 zu einem vierwöchigen Dauerarrest verurteilt, aber mangels Schwere der Schuld oder schädlichen Neigung nach § 17 Abs. 2 JGG wurde keine Jugendstrafe verhängt. Allein die Anordnung dieses Zuchtmittels verdeutlicht nach Auffassung des Senats, „dass ein überdurchschnittlicher Schweregrad einer Tat i. S. des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht vorlag“.

Des Weiteren müssten auch konkrete Tatsachen vorliegen, die die Wiederholungsgefahr durch weitere erhebliche Straftaten im Sinne des § 112a Abs. 1 StPO begründen. Schließlich stellt der Haftgrund der Wiederholungsgefahr eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft dar:

Die wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Untersuchungshaft stellt kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern – als Ausnahme im System der Strafprozessordnung – eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft dar. Die Vorschrift ist deshalb und weil sie in besonderem Maße Grundrechte tangiert (vgl. BVerfGE 19, 349) eng auszulegen. Insbesondere sind strenge Anforderungen an die Voraussetzungen zu stellen, die zur Annahme einer Wiederholungsgefahr berechtigen, vgl. KK, 6. Aufl., § 112a Rdn. 16.

Da keine starke innere Neigung des Angeklagten zu einschlägigen Straftaten im Haftbefehl bzw. den Beschlüssen des AG und LG Oldenburg dargelegt ist und auch die zwei vorangegangenen Verurteilungen des Angeklagten aus den Jahren 2005 und 2008 dies nicht begründen, sind die Voraussetzungen des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfüllt. Der Haftbefehl ist somit aufzuheben.

Az. 1 Ws 679/09 (OLG Oldenburg)

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