OLG Celle: Strafbarkeit gemäß § 113 III StGB setzt die Rechtsmäßigkeit der polizeilichen Handlung voraus

OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2011, Az.: 31 Ss 28/11

Das Amtsgericht Bückeburg hat mit Urteil vom 31. März 2011 die jugendlichen Angeklagten B. und Bo. des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und den Angeklagten A. der Beleidigung für schuldig befunden und sie zur Erbringung von Arbeitsleistungen verurteilt.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte B. mit der Revision. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Dazu das OLG:

„Eine Handlung ist gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte strafbar, wenn die Diensthandlung, gegen die sich der Widerstand richtet, nicht rechtmäßig ist. Dabei gilt ein strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff, der sich mit dem materiell-rechtlichen nicht deckt, sondern bei dem es grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern nur auf ihre formale Rechtmäßigkeit ankommt, also auf das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten zum Eingreifen, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit solche vorgeschrieben sind, den vom zuständigen Vorgesetzten erteilten Auftrag und, soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt, die Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung (vgl. BGHSt 21, 363; Fischer, StGB 58. Aufl. § 113 Rn. 11 ff. m. w. N).
Da sich die Eingriffsgrundlage für polizeiliche Handlungen grundsätzlich aus strafprozessualen Vorschriften oder aus Regelungen zur Gefahrenabwehr ergeben kann (vgl. Fischer a. a. O. Rn. 13), müssen die Urteilsfeststellungen, um die revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit zu ermöglichen, die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr gesetzt hat, nicht nur ihrer Art nach benennen, sondern auch konkrete Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und den Begleitumständen treffen (KG Beschluss vom 30.11.2005, 1 Ss 321/05; OLG München Beschluss vom 08.12.2008, 5St RR 233/08; beide bei juris).

Nach den vorliegenden Urteilsfeststellungen kam es zu den Widerstandshandlungen, „als aufgrund einer angezeigten Sachbeschädigung im Schlosspark von Bückeburg die Angeklagten mit weiteren Personen überprüft und ihre Personalien festgestellt werden sollten“ (S. 3 UA). Dies legt nahe, dass die Identitätsfeststellung der Aufklärung der angezeigten Straftat diente, so dass sich die Ermächtigungsgrundlage hierzu aus § 163b Abs. 1 StGB ergäbe. Nach den knappen Feststellungen käme allerdings auch eine Identitätsfeststellung nach § 13 Nds. SOG in Betracht, um weitere Sachbeschädigungen oder sonstige Straftaten zu verhindern. Da sich der Zweck der Maßnahme nicht eindeutig präventiven oder repressiven Zwecken zuordnen lässt, ist auf den Schwerpunkt der Maßnahme abzustellen (OLG München a. a. O.). Dieser lag nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen jedenfalls im Bereich der Strafverfolgung.

Eine wesentliche Förmlichkeit bei strafprozessualen Identifizierungsmaßnahmen ist gemäß § 163b Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 163a Abs. 4 StPO die Eröffnung des Tatverdachts gegenüber dem Verdächtigen, sofern nicht der Anlass offensichtlich ist oder der Zweck der Maßnahme dadurch gefährdet wird; fehlt dieses wesentliche Formerfordernis, ohne dass ein Ausnahmefall vorliegt, so ist die zur Feststellung der Identität vorgenommene Diensthandlung nicht rechtmäßig (OLG München a. a. O.; KG StV 2001, 260; OLG Düsseldorf NJW 1991, 580). Hierzu enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen. Aus ihnen ergibt sich auch nicht, dass der Anlass der Identitätsfeststellung für den Angeklagten B. – anders als für den Mitangeklagten Bo. – offensichtlich war, geschweige denn, dass er im Sinne von § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO auf frischer Tat betroffen bzw. verfolgt worden oder der Tat im Sinne von § 127 Abs. 2 i. V. m. § 112 Abs. 1 StPO dringend verdächtig war.“

Damit betont das OLG, dass es bei einer Strafbarkeit gemäß § 113 III S. 1 StGB auf die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ankommt. Daher muss das Strafgericht dies überprüfen. Daraus ergibt sich, dass konsequenterweise auch das Revisionsgericht dies überprüfen können muss. Im vorliegenden Fall sei es nach Ansicht das OLG nicht möglich, da die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts insoweit unvollständig seien.


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