Unterrichtungspflicht über Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung

3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 3 StR 287/10

Im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin wurde in Abwesenheit der Verteidiger des Beschwerdeführers unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft mit den beiden Verteidigern des Mitangeklagten A ein Gespräch über die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache für den Fall einer geständigen Einlassung des Mitangeklagten A geführt. Die übrigen Verfahrensbeteiligen wurden nicht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in der öffentlichen Hauptverhandlung nachträglich über den Gesprächsinhalt unterrichtet. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin ein Befangenheitsgesuch hinsichtlich aller Mitglieder der Strafkammer.

Nach Ansicht des 3. Strafsenats ist die Revision des Angeklagten, soweit sie die Befangenheitsanträge betrifft, unbegründet. Das zunächst begründete Misstrauen sei durch die dem Beschwerdeführer bekannt gemachten Äußerungen des Gerichts ausgeräumt worden. Hinsichtlich eines weiteren Ablehnungsgesuchs, welches sich auf die Befangenheit des gesamten Strafkammer bezog und welches damit begründet wurde, dass die Richter den Beschwerdeführer nicht richtig und nicht vollständig über den Inhalt des Gesprächs aufgeklärt hätten, ist der 3. Strafsenat ebenfalls der Ansicht, dass die Revision hier nicht erfolgreich sei.

Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

„Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 04.08.2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren v. 29.07.2009 (BGBl I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Hier muss jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, damit jeder Anschein von Parteilichkeit vermeiden wird. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit mit besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten, geführt werden.
In diesen Fallkonstellationen ist es naheliegend, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagte berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können. Aus seiner Sicht könnte zu befürchten sein, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird.
Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Jedoch gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage. Sofern solche Gespräche stattgefunden haben, muss der Vorsitzende Richter auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte i.S.d. § 243 IV 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren.“


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