Verwirklichung des Härteausgleichs in der Strafzumessung

5. Strafsenat des BGH, Az. 5 StR 478/09

Der Angeklagte ist vom Landgericht Bremen „wegen räuberischer Erpressung (Einzelfreiheitsstrafe sieben Monate), wegen Freiheitsberaubung in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen je zwei Monate), wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen zwei Monate und ein Monat) und wegen Beleidigung (Einzelfreiheitsstrafe ein Monat) unter Einbeziehung der vom Landgericht Bremen in dessen Urteil vom 9. Oktober 2008 verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und von weiteren Vorwürfen freigesprochen“ worden. Die hiergegen vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eingewandte Revision führt zu keiner Abänderung des Schuldspruches. Jedoch bedarf das Urteil nach Ansicht des Strafsenats eines Härteausgleiches aufgrund der entgangenen anderweitigen Gesamtstrafbildung.

Demnach wird der Strafausspruch dahingehend ergänzt, dass vier Monate der verhängten Gesamtstrafe als bereits vollstreckt gelten und diese somit um diesen Zeitraum verkürzt wird, so dass die Revision insoweit einen Teilerfolg hatte.

Dem Urteil geht folgender Sachverhalt voraus:  Der Angeklagte hatte zwischen Ende Februar und dem 26. März 2007 mehrere Straftaten begangen. Als die Bildung einer Gesamtstrafe aufgrund einer Nachverurteilung durch Strafbefehl des zuständigen Amtsgerichts Bremen vom 2. August 2007 wegen vollständiger Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zehn Tage vor in diesem Urteil vollzogenen Verurteilung nicht mehr möglich war, erkannte das Landgericht mangels anderer Alternativen mit der nächsten noch nicht erledigten Strafe auf eine zweijährige, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Folglich bildete das Gericht angesichts der zeitlichen Zäsur diese verhängte Gesamtstrafe.

Diesen Schritt begründete das Landgericht folgendermaßen:

„Andererseits war nicht zu übersehen, dass die Aussetzung der Vollstreckung der zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung zwar somit keinen Bestand mehr haben konnte, die jetzt erforderliche Gesamtstrafenbildung dem Angeklagten wiederum aber insoweit zugute kommt, als bei Einbeziehung allein der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 02.08.2007 die dann bestehend bleibende zweijährige Einzelstrafe sowie die im Übrigen zu bildende Gesamtstrafe der Summe nach zu einer höheren Gesamtsanktion geführt hätte“

Der Strafsenat des BGH sieht hierin einen Rechtsfehler, denn ohne die Vollstreckung der vollständigen Ersatzfreiheitsstrafe hätte die Strafaussetzung aufgrund anderweitiger Gesamtstrafbildung und der Bewährung bestehen bleiben können, was letztlich zu einem Nachteil für den Angeklagten führt.

Dazu der 5. Strafsenat im Wortlaut:

„Die hier erfolgte Gesamtstrafenbildung ist nur aufgrund vollständiger Ersatzfreiheitsstrafenvollsteckung notwendig geworden, die den Wegfall einer den Angeklagten begünstigenden Zäsur zur Folge hatte. Die zitierte Erwägung des Landgerichts lässt diese Besonderheit des Verlusts der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der zweijährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 9. Oktober 2008 – die Widerrufsvoraussetzungen des § 56f Abs. 1 StGB lagen nicht vor – unberücksichtigt. Der Angeklagte hat die ausgeurteilten Taten nicht nach der Aussetzungsentscheidung, sondern weit über ein Jahr zuvor begangen. Ohne die vollständige Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung wäre die Strafaussetzung infolge anderweitiger Gesamtstrafenbildung bestehen geblieben. Damit wirkt sich die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranziehung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als Einsatzstrafe für den Angeklagten überaus nachteilig aus (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1994 – 2 StR 740/93); dies erfordert die Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15 m.w.N.). Diesen nimmt der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vor.“

Angesichts dieser Umstände, die sich aufgrund der vom Landgericht vorgenommen Strafzumessung bzw. der entgangenen Bewährung zu Lasten des Angeklagten auswirken, hält der Strafsenat im Hinblick auf den Härteausgleich die Anwendung des Vollstreckungsmodells aus den folgenden Erwägungen für vorzugwürdig:

„Die Überlegenheit dieser Vorgehensweise gegenüber der herkömmlich vorgenommenen Herabsetzung der (Gesamt-)Strafe hat der Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 der Sache nach anhand von Fällen notwendigerweise systemwidriger Eingriffe in die Strafzumessung zur Verwirklichung des Härteausgleichs (BGHSt 31, 102 – Unterschreiten der Untergrenze des § 54 Abs. 1 StGB; BGHSt 36, 270 – Milderung von Einzelstrafen) anerkannt. Seine Anwendung ist aber darüber hinaus auch sonst sachlich geboten. Die Verwirklichung des Härteausgleichs knüpft nicht an der maßgeblichen Grundlage der Strafhöhe, der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 StGB) an, sondern erstrebt die Festsetzung eines gerechten Ausgleichs dafür, dass aufgrund verfahrensrechtlicher Zufälligkeiten eine den Angeklagten beschwerende getrennte bzw. – hier – zusammengefasste Strafbemessung stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO). Die Anwendung des Vollstreckungsmodells erleichtert die Straffestsetzung ferner, weil bisher zu berücksichtigende, getrennt zu bewertende Umstände nicht mehr berührt werden. Dies erleichtert zudem maßgeblich die in Fällen dieser Art besonders sachgerechte abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht. Zudem wird die Transparenz hinsichtlich des gewährten Härteausgleichs, aber auch bezüglich der Straffestsetzung erhöht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO m.w.N.)“.

Aus diesem Grund hält der Senat die Anrechnung von vier Monaten als bereits vollstreckt für angemessen und ändert das Urteil entsprechend dem Tenor ab.

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