Zu den Haftgründen Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr – § 112 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 StPO

Az: 1 Ws 789/09 (OLG Naumburg)

Am 22. September 2009 wurde der Angeklagte vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des dringenden Tatverdachts der Steuerhinterziehung in acht Fällen sowie den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft.

Gegen den Haftbefehl legte der Angeklagte eine Beschwerde ein, die als unbegründet zurückgewiesen wurde. Auch die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht Magdeburg nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Das OLG Naumburg hält die Revision jedoch für begründet. Nach Auffassung des OLG ist von einer Fluchtgefahr des Angeklagten nicht auszugehen. So würde ihm zwar eine nicht unerhebliche Gesamtstrafe drohen, allerdings begründete sich die Straferwartung nicht von alleine aus den Anreiz einer Fluchtgefahr. Vielmehr müssten alle sonstigen und individuellen Umstände berücksichtigt werden.

Zu den Voraussetzungen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr führt der Senat aus:

Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO liegt nicht vor. Die bloße Fortwirkung einer früheren Verdunkelungshandlung, die hier im vom Beschuldigten nicht hinreichend erklärten Verschwinden eines gefüllten Plastikmüllsacks im unmittelbaren Zusammenhang mit den Durchsuchungsmaßnahmen am 22. September 2009 erblickt werden könnte, reicht für die Annahme einer noch bestehenden Verdunkelungsgefahr grundsätzlich nicht aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 112 Rdnr. 35). Die auf bestimmte Tatschen begründete Gefahr zukünftiger Verdunkelungshandlungen ist derzeit nicht ersichtlich. [..]
Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist ebenfalls nicht gegeben. Eine solche besteht dann, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher machen, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Dabei erfordert die Beurteilung der Fluchtgefahr die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner Persönlichkeit, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat (Meyer-Goßner, a. a. 0., § 112 Rdnrn. 17, 19).“

Im vorliegenden Fall verfügt der Beschuldigte über „gefestigte soziale Bindungen“ zu seiner Lebensgefährtin und seinem Umfeld. So ist er zwar auf der einen Seite derzeit arbeitslos und lebt von seiner Ehefrau getrennt, anderseits ist er bis 2008 längere Zeit seinem Beruf als Schweißer kontinuierlich nachgegangen. Ferner hat er sowohl zu seinen Verwandten als auch zu seinen minderjährigen Kindern regelmäßig Kontakt. Zwar verfügt er weiterhin über Kontakte zu seinem Heimatland und auch über einen kasachischen Pass, jedoch reicht dies nicht aus, um damit eine Fluchtgefahr zu begründen. Auch die Höhe des Steuerschadens, der sich nach ersten Ermittlungen zwischen 47.000 und 88.000 Euro bewegt, rechtfertigt keine Annahme der Fluchtgefahr.

Folglich besteht kein Haftgrund, so dass der Haftbefehl nach Auffassung des Senats aufzuheben ist.

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