Wiederaufnahmeverfahren
Bei dem im vierten Buch der Strafprozessordnung (§§ 359 ff. StPO) geregelten Wiederaufnahmeverfahren im Strafprozess handelt es sich um das Wiederaufrollen bzw. die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches bereits rechtskräftig abgeschlossen war.
Ein erfolgreiches Wiederaufnahmegesuch durchbricht die Rechtskraft und führt dazu, dass eine rechtskräftig verhängte Strafe nicht vollstreckt bzw. im Falle der Vollstreckung eine Rehabilitation mit Schadensersatzansprüchen für die erlittenen Zwangsmaßnahmen erfolgt, wenn die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten beantragt worden ist. Die weiteren Ausführungen beziehen sich jeweils aus Gründen des Umfanges ausschließlich auf das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten.
Hintergrund der Wiederaufnahme eines Verfahrens ist die Vermeidung bzw. Korrektur eines „Justizirrtums“. Das Wiederaufnahmeverfahren entspricht dem Gedanken einer fairen Behandlung des Verurteilten durch nachträgliche Rehabilitation und Entschädigung.
Demnach wird nach dem rechtstaatlichen Verständnis der Gerechtigkeit dem Angeklagten ein „neues“ Verfahren eingeräumt, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen (§359 Nr. 5 StPO), die zu einem besseren Ausgang des Verfahrens bzw. einer milderen Strafe zugunsten des Angeklagten führen können. Allerdings kann es sich in diesem Fall lediglich um konkrete Tatsachen und Beweise (Gegenstände, Vorgänge oder auch Zeugenaussagen) handeln, die dem Beweis zugänglich sind und nicht auf geänderte Rechtsnormen oder Entscheidungen der Rechtsprechung beruhen. Diese sind nur neu, soweit sie in der Hauptverhandlung vom Gericht nicht berücksichtigt wurden, unabhängig ob dieses möglich erschien. Hat jedoch das Gericht diese Tatsachen berücksichtigt und für unerheblich gehalten, können sie nicht erneut vorgetragen werden, da es sich dann nicht um „neue“ Tatsachen oder Beweismittel handelt.
Ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten eines Verurteilten ist nur zulässig, wenn mindestens einer der folgenden Wiederaufnahmegründe vorliegt und glaubhaft gemacht werden kann:
- wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war;
- wenn der Zeuge oder Sachverständige sich bei einem zuungunsten des Verurteilten abgelegten Zeugnis oder abgegebenen Gutachten einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat;
- wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf die Sache einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat, sofern die Verletzung nicht vom Verurteilten selbst veranlasst ist;
- wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist;
- wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind;
- wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
Am häufigsten ist der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO anzutreffen. Der Begriff der „Tatsachen“ i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO umfasst konkrete Vorgänge der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweise zugänglich sind, dagegen nicht die Änderungen von Gesetzen oder der Rechtsprechung. Eine Tatsache ist im Sinne eines Wiederaufnahmeantrages „neu“, wenn sie dem erkennenden Gericht zum Zeitpunkt der Urteilsberatung nicht bekannt war und von diesem daher bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnte. Neue Beweismittel sind solche, deren sich das erkennende Gericht nicht bedient hat, wozu sowohl die unbekannten, als auch die ungenutzten Beweismittel zählen.
Für die Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens ist zugunsten des Verurteilten zunächst ein Antrag des Verurteilten bzw. im Falle dessen zwischenzeitlichen Todes ein Antrag der Angehörigen oder der Staatsanwaltschaft notwendig. Grundsätzlich besteht gem. § 366 Abs. 2 StPO Anwaltszwang, d.h. der Antrag kann nur durch einen Rechtsanwalt bzw. Strafverteidiger eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle diktiert werden.
Der erste Abschnitt des Wiederaufnahmeverfahrens ist das sog. „Additionsverfahren“, in dem das Gericht die Zulässigkeit des Antrages prüft, ob also insbesondere der gesetzliche Grund für die Wiederaufnahme sowie die Beweismittel benannt sind. Ist der Antrag unzulässig, wird dieser durch Beschluss verworfen, anderenfalls erfolgt die Zulassung.
Im anschließenden „Probationsverfahren“ prüft das Gericht, ob der Antrag auch begründet ist, die Wiederaufnahmetatsachen also genügende Bestätigung auf Grund einer richterlichen Beweisaufnahme (§ 369 StPO) gefunden haben. Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund der Beweisaufnahme deren Richtigkeit hinreichend wahrscheinlich ist, voller Beweis wird nicht gefordert (vgl. BVerfG NStZ 1990, 499; BGHSt 42, 314 (323 f.)). Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, wird die Wiederaufnahme ohne mündliche Hauptverhandlung verworfen, anderenfalls ordnet das Gericht durch den Wiederaufnahmebeschluss die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an, sofern es nicht den Verurteilten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft freispricht, wenn die neuen Beweise auch ohne neue Hauptverhandlung eindeutig sind.
Anderenfalls wird der Fall neu aufgerollt und es kommt zu einer neuen Hauptverhandlung; selbstverständlich vor einem anderen Gericht als im damaligen Verfahren. Wenn das Wiederaufnahmeverfahren allein zugunsten des Verurteilten eingelegt worden ist, kann die neue Entscheidung nur besser ausfallen, da dann das Verbot der Schlechterstellung („reformatio in peius“) gilt.
Die Strafverteidigung im Wiederaufnahmeverfahren gehört zusammen mit der Revision wohl unbestritten zur „Königsdisziplin“ des Strafrechts und ist in der Regel mit erheblichen Aufwand verbunden. Auf der anderen Seite geht der Verurteilte mit einem Wiederaufnahmeverfahren kein Risiko ein, da das bereits rechtskräftige Urteil letztlich nur besser werden kann.
Gern berät und verteidigt Sie Rechtsanwalt Dr. Böttner als Fachanwalt für Strafrecht bei Wiederaufnahmeverfahren bundesweit. Unsere Erreichbarkeiten finden Sie unter der Rubrik „Kontakt“.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht | Dr. jur. Sascha Böttner (Strafverteidiger)
Kanzlei für Strafrecht in Hamburg und Frankfurt am Main und Neumünster | Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht bundesweit.