Ein Baby muss generell bekanntlich von der Mutter oder den Eltern mit Nahrung versorgt werden. Überforderte Eltern vergessen dies mitunter immer wieder oder „sorgen“ aufgrund von Depressionen oder finanzieller, familiärer Probleme für eine schlechte Erziehung und Ernährung ihres Kindes.
Im Folgenden beschäftigten sich die Gerichte mit der Strafbarkeit einer Mutter, nachdem ihr unterernährtes Baby verstorben ist.
Strafrecht / Revision / Wirtschaftsstrafrecht / Bestechung
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshof vom 5.5.2010
Pressemitteilung:
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Frage dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt, der nach § 132 Abs. 4 GVG für die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen u. a. dann zuständig ist, wenn dies zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Das zugrunde liegende Revisionsverfahren betrifft die Strafbarkeit von Beteiligten am sog. Pharmamarketing.
Die Staatsanwaltschaft Verden (Aller) hatte gegen den Geschäftsführer eines Unternehmens ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung bzw. der Bestechung im geschäftlichen Verkehr geführt. Das Unternehmen vertreibt Geräte, die zur elektromedizinischen Reizstromtherapie bestimmt sind. Nach Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens, hat die Staatsanwaltschaft in einem selbstständigen Verfallsverfahren beantragt, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225 Euro für verfallen zu erklären.
Das Landgericht Stade hat diesen Antrag als unzulässig verworfen. Nach seinen Feststellungen schloss das Unternehmen mit der AOK N. Verträge über die Abgabe der Reizstromtherapiegeräte an Patienten zur häuslichen Eigenanwendung. Es stellte zudem niedergelassenen Ärzten hochwertige Apparaturen für deren Praxis zur Verfügung und erließ das hierfür zu zahlende Entgelt vollständig oder teilweise, wenn der Arzt Verordnungen über den Bezug eines Reizstromtherapiegeräts ausstellte und diese dem Unternehmen zukommen ließ. Zwischen September 2004 und November 2008 gingen dem Unternehmen mehr als 70.000 Verordnungen zu. Es rechnete seine Leistungen sodann auch gegenüber der AOK N. ab.
Das Landgericht hat diesen Sachverhalt rechtlich dahin gewürdigt, dass weder die Voraussetzungen einer Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 2 StGB noch diejenigen einer Vorteilsgewährung nach § 333 StGB oder Bestechung nach § 334 StGB gegeben seien. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision.
Für die Entscheidung erheblich ist danach vorrangig, ob ein niedergelassener Vertragsarzt bei der Behandlung gesetzlich Versicherter – hier: Verordnung von Hilfsmitteln – als Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB anzusehen ist mit der Folge, dass die Beteiligten ein Amtsdelikt (Vorteilsannahme bzw. -gewährung, Bestechlichkeit bzw. Bestechung, §§ 331 ff. StGB) begehen können. Ist dies zu verneinen, hängt der Ausgang der Revision davon ab, ob der Vertragsarzt Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB ist. Diese Fragen sind in der Literatur umstritten. Höchstrichterliche Entscheidungen hierzu sind bisher nicht ergangen. Ihre Beantwortung hat über den vorliegenden Einzelfall hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Strafverfolgungspraxis im weit verbreiteten Bereich des sog. Pharmamarketing.
Az:. 3 StR 458/10 – Beschluss vom 5. Mai 2011
2. Strafsenat des OLG Nürnberg, Az.: 2 St OLG Ss 147/10
Das AG Schwandorf hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt und hat ein Fahrverbot von einem Monat ausgesprochen. Die Angeklagte legte dagegen, beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein. Das LG Amberg hat die Berufung als unbegründet verworfen. Dagegen wandte sich die Angeklagte mit dem Rechtmittel der Revision.
Der 2. Strafsenat erachtet die Revision der Angeklagten als begründet, da die vom AG Schwandorf getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage für eine Strafzumessung bildeten und das LG Amberg darüber hinausgehende Feststellungen getroffen hat, die ihm verwehrt gewesen sind.
Aus dem Wortlaut des Beschlusses:
„Die Feststellungen des AG tragen zwar den Schuldspruch des unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Sie ermöglichen aber keine Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbots. Nach § 44 StGB kann ein solches verhängt werden, wenn jemand „im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ eine Straftat begeht. Derartige Feststellungen wurden nicht getroffen.
Das LG hat vorliegend über die vom AG zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen hinaus zusätzliche Feststellungen getroffen. Zudem ist es bei seiner Entscheidung zum Fahrverbot ersichtlich von seinen ergänzenden Feststellungen ausgegangen. Folglich hat das LG Feststellungen über die Rechtsfolgen in unzulässiger Weise in seiner Entscheidung zugrunde gelegt, aus denen sich im Vergleich zu den rechtskräftig gewordenen Feststellungen des AG erst die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbots ergeben. Die zusätzlichen Feststellungen des LG wirken sich damit „strafschärfend“ aus. Solche Feststellungen zu treffen, war dem LG verwehrt.“
Der Strafsenat hob das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Amberg zurück. Die Revision der Verteidigung hatte damit Erfolg.
Das Landgericht hat die Angeklagten D. und C. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ( Betäubungsmittelstrafrecht ) zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren verurteilt.
Die Angeklagte J. hat es wegen Beihilfe zu dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollziehung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Hiergegen legten die Angeklagten D., und C. Revision ein. Die Angeklagte J. legte ebenfalls Rechtsmittel ein. Die Revision des D., eine allgemeine Sachrüge und das sich auf das Strafmaß beziehende Rechtsmittel der J., blieben ohne Erfolg, Die Revision des C. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Urteils.
1. Strafsenat des BGH, Az. 1 StR 210/10
Das Landgericht München I hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung verurteilt. Hiergegen wendet er sich in seiner Revision, die mit Beschluss des LG Münchens aufgrund vom Landgericht festgestellten versäumten Frist zunächst als unzulässig verworfen worden ist. Der Bundesgerichtshof hob diesen Beschluss auf, da nach Ansicht des Senats die Frist für die Begründung der Revision vom Angeklagten entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht versäumt worden ist.
Aus dem Wortlaut des 1. Strafsenats des BGH zur Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustellung des Urteils für den Beginn der Revisionsbegründungsfrist:
“Voraussetzung hierfür (der Beginn der Frist) ist gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO die wirksame Zustellung des Urteils. Hieran fehlt es, wie der Generalbundesanwalt unter Hinweis auf BGHR StPO § 37 Abs. 1 Wirksamkeit 3 zutreffend ausgeführt hat. Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 23. November 2004 – 5 StR 429/04) kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, da das Schreiben vom 12. Januar 2010 nur mitteilt, „dass das Urteil am 23.12.2009 in der Kanzlei eingegangen ist“. Dem lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass das Urteil der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war (Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. ), tatsächlich zugegangen ist. Die ordnungsgemäße Zustellung ist deshalb nachzuholen.“
Somit ist die Revision des Angeklagten zulässig und der Beschluss des Landgerichts wurde aufgehoben.
Ebenfalls wurde vom Bundesrat am 7.05.2010 ein Gesetzesentwurf zur „Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens“ beschlossen und in den Bundestag eingebracht (BR-Drucks. 120/10).
Angesichts der begrenzten Ressourcen der Justiz bestehe ein Verbesserungsbedarf in den unterschiedlichen Abläufen des Strafverfahrens. Hierbei sei es das Ziel, die Strafverfahren zu beschleunigen ohne dabei die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen oder gegen berechtigte rechtsstaatliche Interessen des Bürgers, aber auch des Rechtstaatsprinzips zu verstoßen. Viele Vorschläge seien in der Literatur und auch rechtspolitischen Diskussion bereits aufgetaucht, jedoch herrsche hier eine gewisse Uneinigkeit.
Im Hinblick auf strukturelle Reformen forderte der Bundesrat bereits vor einigen Jahren (BR-Drucks. 660/06) einen Gesetzesentwurf zur Effektivierung des Strafverfahrens. Von dem Entwurf wurden jedoch nur einige Teile umgesetzt. Hier bestünde noch weiterer Bedarf.
Der derzeitige Entwurf sieht beispielsweise die Einführung einer Pflicht vor, dass Zeugen auf Ladung vor der Polizei zu erscheinen haben. Diese Pflicht soll das Ermittlungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Ferner sind die Erstreckung des §153a StPO auf das Revisionsverfahren und eine Modifizierung der gerichtlichen Zuständigkeit bei den Entscheidungen nach §454 b Abs. 3 StPO in dem vorgelegten Entwurf vorgesehen.
5. Strafsenat des BGH, Az. 5 StR 7/10
Der Angeklagte war vom Landgericht Braunschweig wegen Betruges in insgesamt sechs Fällen, darunter in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und kann einen Teilerfolg erzielen:
Wie das Landgericht feststellt, hatte sich der vorbestrafte und einkommens- und vermögenslose Angeklagte von mehreren Bekannten unter Vorspiegelung gewisser Umstände mehrmals erhebliche Geldbeträge geliehen. Er war jedoch nicht zur Rückzahlung bereit und fähig.
Hierfür stellte er aus verschiedenen Kopien von echten Urkunden einen vermeintlich notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag, „der ihn selbst als Verkäufer, zwei Käufer und einen Kaufpreis von 1.580.000 € auswiesen“. Damit wollte der Angeklagte über mögliche Darlehensgeber und auch seine baldige Zahlungsfähigkeit täuschen. Zum Einsatz kam dieser Vertrag jedoch nicht.
Das Landgericht nahm hierdurch eine Urkundenfälschung an. Der 5. Strafsenat des BGH ist jedoch anderer Auffassung, aus folgenden Erwägungen:
Der Angeklagte hat keine unechte Urkunde hergestellt. Urkunden im Sinne des Strafrechts sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGHSt 4, 60, 61; 24, 140, 141; Fischer, StGB 57. Aufl. § 267 Rdn. 2 m.w.N.). Soweit der Angeklagte den vermeintlich zustande gekommenen Grundstückskaufvertrag lediglich mit dem eigenen Namenszug unterschrieben hat, liegt eine Täuschung über den Aussteller der Gedankenerklärung nicht vor. Insofern handelt es sich um eine schriftliche Lüge (vgl. Fischer aaO Rdn. 18a), weil aus dem so geschaffenen Schriftstück der Angeklagte als Aussteller zu ersehen ist und lediglich der (fotokopierte) Bezugstext falsch ist. Mitaussteller sind hier auch nicht etwa die anderen Vertragsbeteiligten; deren Namenszüge sind lediglich einkopiert, ihnen fehlt die Authenzität einer Originalunterschrift. Durch das Zufügen von Kopien der Unterschriften der angeblichen Vertragspartner erfüllt der „Grundstückskaufvertrag“ nicht die Merkmale einer Urkunde, da das Schriftstück insoweit nach außen als Reproduktion erscheint (Fischer aaO Rdn. 12b m.w.N.). b) Der Angeklagte hat auch keine echte Urkunde verfälscht, da er für die Herstellung der Kopie des vermeintlichen Grundstückskaufvertrages lediglich Kopien von echten Urkunden verwendete.
Aber auch die Täuschungsabsicht begründet nicht zwangsläufig die Strafbarkeit wegen eines Versuchs.
Hierzu der Wortlaut des BGH:
Die vom Landgericht festgestellte Täuschungsabsicht legt es zwar nahe, dass der Angeklagte von der hergestellten Vorlage eine weitere Kopie zumindest fertigen wollte, um das Werk insgesamt als Kopie eines unterschriebenen Originals erscheinen zu lassen. Dies begründet indes auch keine Strafbarkeit wegen eines Versuchs des Gebrauchens einer gefälschten Urkunde (vgl. Fischer aaO), weil zu keinem Zeitpunkt eine (falsche) Urkunde vorgelegen hat. 6 7 2. Die Verurteilung wegen Urkundenfälschung im Fall II.7 der Urteilsgründe kann daher keinen Bestand haben.
Insgesamt führen die Feststellungen des Strafsenats zum Wegfall der Einzelstrafe von neun Monaten und dadurch zu einer Änderung der Gesamtstrafe. Der Senat entscheidet in diesem Fall gemäß §354 Abs. 1 StPO selber über die Straffrage, da eine Aufhebung und Zurückweisung des Urteils zur Festsetzung einer neuen Gesamtstrafe zu einer – hier vorliegenden – unvertretbaren Verfahrensverzögerung führen würde. Der Angeklagte ist angesichts der weiteren verbleibenden sechs Taten zu einer geringeren Freiheitsstrafe von nunmehr 4 Jahren verurteilt.
Der Geist des Obrigkeitsstaats im Revisionsrecht
Freie Advokatur als Feindbild der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
von Herrn Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg
Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft konnte zutreffend festgestellt werden, dass kein Mittel der Strafprozessordnung seit deren Inkrafttreten einem so gravierenden Wandel unterlag, wie das Rechtsmittel der Revision.
Während im Bereich der Sachrüge maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Möglichkeiten der revisionsrechtlichen Kontrolle deutlich ausgeweitet worden ist und sogar die Tatsachenfeststellung, Beweiswürdigung und Strafzumessung in erheblichem Umfang der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegen wird die Möglichkeit, Verfahrensfehler geltend zu machen, erheblich eingeschränkt.Nicht nur überzogene Anforderungen an die Begründung von Verfahrensrügen, sondern auch die Erhöhung der Begründungsanforderungen für Beweisanträge lassen Formfehler und Verfahrensrügen immer weiter als „stumpfes Schwert“ erscheinen.
Die Strafverteidiger werden durch Beanstandungs- sowie Widerspruchspflichten nicht nur dazu angehalten, sondern letztlich verpflichtet, das Gericht auf mögliche Fehler zu überwachen und diese unmittelbar rügen zu müssen. Der Beschuldigte ist damit im Hinblick auf die Revision nicht nur der Qualität des Gerichts, sondern auch der seines Verteidigers ausgeliefert, die Möglichkeiten des Rechtsmittels der Revision werden werter herabgesetzt. Ein weiteres Problem stellt die sog. „Rügeverkümmerung“ dar: Durch eine nachträgliche Änderung des Sitzungsprotokolls bzw. durch die Aufstellung des Erfordernisses der Darlegung von negativen Tatsachen führt dazu, dass Verfahrensrügen die tatsächliche Grundlage entzogen wird.
M. E. handelt es sich hierbei um eine Tendenz, die ihren Grund und Ursprung in Einsparungen im Rahmen der Strafrechtspflege unter der leeren Floskel der ,,Effektivität der Strafrechtspflege“ hat. Die Strafverteidigung wird nur noch als notwendiges Übel angesehen, die Revision lediglich als (unnötiger) Kostenfaktor.
Dem treten die Strafverteidigervereinigungen entgegen: Dazu heißt es in dem Ergebnispapier des 34. Strafverteidigertages:
„Das Revisionsgericht ist – trotz seines erweiterten Prüfungsbereichs – kein „Tatrichter hinter dem Tatrichter“, der pragmatisch auf die strikte Einhaltung der Justizförmlichkeit des Verfahrens in den Vorinstanzen verzichten könnte. Seine Aufgabe ist die Rechtsprüfung in formeller und sachlicher Hinsicht.
Die Analyse der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Prozessrecht zeigt, dass eine Reihe wichtiger Entscheidungen, die in das strafprozessuale Gefüge eingreifen (Stichworte: Widerspruchslösung, Konnexität, Fristsetzung für Beweisanträge), unter gravierenden Begründungsmängeln leiden. Dies gilt auch für Entscheidungen des Großen Senats. Wesentliche Gegenargumente werden nicht oder nebenbei erwähnt, eine nochvollziehbare Auseinandersetzung findet nicht statt.
Dieser Zustand ist unhaltbar. Zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist der Bundesgerichtshof zur vollständigen, rational nachvollziehbaren Argumentation rechtlich verpflichtet. Beachtet das Revisionsgericht die argumentative Struktur nicht, dann besteht die Gefahr, dass Ergebnisse erzielt werden, die letztlich nicht begründbar sind. Dies sind dann reine „Machtsprüche“.“
Allerdings ist m. E. bei ablehnenden Entscheidungen des Revisionsgerichts eine dann trotzdem erfolgende Begründung anstatt eines „OU-Beschlusses“ gefährlich: Kann doch die erfolgte Begründung von der Bundesanwaltschaft auch bei aus deren Sicht ähnlich gelagerten Fällen herangezogen und gegen den Angeklagten verwandt werden.
Zudem ist angesichts der Tatsache, dass es nach der Revision kein Rechtsmittel, sondern lediglich die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde gibt, die Begründung der Ablehnung einer Revision für den Mandanten nur von geringem Nutzen. Ich stimme jedoch insofern überein, als dass eine letztlich argumentativ in objektiver Hinsicht kaum begründbare Entscheidung schwerer fällt, wenn man eine Begründung abgeben muss. Im Mindestmaß sollte der Bundesgerichtshof auch in einem ablehnenden Beschluss deutlich machen, ob er sich der Auffassung des Generalbundesanwalts angeschlossen oder mit abweichender Begründung entschieden hat.
Die Arbeitsgruppe ist weiter zu dem Ergebnis gekommen, dass es Aufgabe der Strafverteidigung ist, den Bundesgerichtshof durch gut begründete Revisionen auf Fehler im Urteil hinzuweisen und sich auf diese Art rechtliches Gehör zu verschaffen.
Selbstverständlich ist die nicht weiter ausgeführte allgemeine Sachrüge dafür wenig geeignet. Auch ist dem Ergebnis der Arbeitsgruppe 1 zuzustimmen, dass bei erkennbarer Übergehung der Rügen oder Argumentationen der Verteidigung von § 356a StPO Gebrauch gemacht werden sollte, wobei bei einer Verletzung auch eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht bzw. eine Menschenrechtsbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Betracht zu ziehen ist.
Abschließend fordert die Arbeitsgruppe schließlich die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Begründung des Beschlusses gem. § 349 II StPO, mit dem eine Revision ohne Hauptverhandlung verworfen wird. Dieser Forderung ist m. E. nur eingeschränkt zuzustimmen, da – wie dargelegt – die Gefahr besteht, dass Pseudobegründungen sich in anderen Verfahren zum dortigen Nachteil der Angeklagten auswirken können. In den meisten Fällen dürfte der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs mehr Chancen einzuräumen sein, als einer Verfassungsbeschwerde gegen eine unzulässige Begründung durch den Bundesgerichtshof.
Meiner Auffassung nach ist die Problematik der negativen Entwicklungen im Revisionsrecht insbesondere dem Umstand der Kostenersparnis geschuldet. Während im Zivilverfahren die Zulassungsvoraussetzungen für das Rechtsmittel der Berufung bzw. der Revision „verschärft“ worden sind, hat man sich im Strafrecht gegen eine Beschränkung in Form von Zulassungsvoraussetzungen entschieden.
Dementsprechend wird nun durch die Gerichte versucht, der Arbeitsüberlastung auf anderem Wege Herr zu werden.
Letztlich wird man sich fragen müssen, ob die Bundesrepublik Deutschland es sichleisten kann, an der Strafjustiz als einem wesentlichen Grundpfeiler einer modernen Gesellschaft zu sparen.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner