Sicherungsverwahrung

  • Prognose und Strafrecht
    von Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg

    Die 2. AG mit der Überschrift Prognose und Strafrecht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die „restriktiv motivierte“ Kriminalprognose im Strafverfahren immer mehr an Bedeutung gewinnt, so z. B. bei der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung, der Reststrafenaussetzung zur Bewährung, Vollzugslockerungen und Sicherungsverwahrung. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die an die positive Sozialprognose zu stellenden Anforderungen stetig verschärft werden. Obgleich ein Anstieg von Straftaten in den Deliktsbereichen – die für die Sicherungsverwahrung bzw. Unterbringung relevant sind – nicht zu verzeichnen ist, sind die Anordnungen gem. §§ 63,64 und 66 StGB dramatisch angestiegen. Nach dem Ergebnis der Arbeitsgemeinschaft 2 geht es dabei nicht mehr vornehmlich um die Besserung des bereits verurteilten Täters, sondern um die Bekämpfung seiner vermeintlich fortdauernden Gefährlichkeit:

    „Der Paradigmenwechsel weg vom Besserungsgedanken und hin zur Sicherungsmaxime, weg von der Spezial- und hin zur Generalprävention, wird durch eine klischeehafte Berichterstattung medial unterfüttert, die der empirischen Realität widerspricht. Standards der Prognosebegutachtung haben insgesamt eine deutliche qualitative Verbesserung erfahren. Es zeigt sich jedoch, dass eine Vielzahl vorgelegter Prognosegutachten diesen Standards nicht gerecht wird. Insgesamt ist die Prognosebegutachtung in der Praxis wenig zuverlässig, fehleranfällig und durch die subjektive Einstellung bedingt Trotz systematischer methodischer Forschung fehlt es an einer umfassend anerkannten, allgemeingültigen Methodik – und an der Gewährleistung qualitativer Begutachtungsstandards. Statistische Untersuchungen fördern folgerichtig gravierende Fallzahlen negativer Falschprognosen zutage.“

    Nach den Feststellungen der Arbeitsgruppe 2 ist aus der Kriminalprognose ein „lukratives Geschäftsfeld“ geworden, welches nicht nur von seriösen, sondern auch „vermeintlichen“ Sachverständigen bestimmt wird.
    Zudem wird auf die Bedeutung der Pressearbeit und der in der Bevölkerung geschürten Ängste hingewiesen: Die Folge irrationaler – nicht durch empirische Daten belegte bzw. gerechtfertigte Angst vor Sexual- und Wiederholungstätern führen wiederum zu Ängsten bei Gerichten und Sachverständigen, in Folge positiver Fehlprognosen dem „öffentlichen Pranger“ ausgesetzt zu sein. Dadurch wird eine Tendenz zur Negativprognose verstärkt. Die Folge ist eine vermehrt feststellbare und unangebrachte „Übersicherung“.

    Ein zusätzliches Problem besieht darin, dass die gesetzlichen Voraussetzungen und Grundlagen durch den Gesetzgeber recht vage und zum Teil sogar widersprüchlich formuliert worden sind, worunter auch die Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit von Prognosegutachten leidet.

    Die Arbeitsgruppe 2 fordert deshalb:

    • Strafrecht darf nicht zum Gegenstand sicherheits- und tagespolitisch motivierter Bedürfnisse der Gefahrenabwehr verkommen. Neben der Ahndung begangenen Unrechts hat die Resozialisierung im Vordergrund zu stehen.
    • Im Interesse eines Behandlungsvollzuges, der diesen Namen auch verdient, muss eine freie Gesellschaft Ruckfallrisiken tragen. Etwas anderes ist nur möglich, um den Preis des Wegsperrens einer Vielzahl von Menschen, bei denen eine einschlägige Rückfallgefahr tatsächlich nicht existiert.
    • Vollzugslockerungen sind Voraussetzungen jedes am Resozialisierungs-gedanken orientierten Vollzugs. Gutachten müssen auch Laien verständlich sein. Sie müssen vom Richter überprüfbar sein. Ihre schriftliche Abfassung und die persönliche Anwesenheit des Sachverständigen bei der Verhandlung bzw. Anhörung sind unabdingbare Voraussetzungen an Verteidigung.“

    Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass eine freie Gesellschaft ebenso eine Illusion ist, wie eine von Ruckfallrisiken freie Entlassung verurteilter Straftäter.
    M. E. ist es Ausdruck nicht nur einer christlichen Einstellung, sondern einer humanistischen Gesellschaft an sich, dass jedem nicht per se die Fähigkeit abgesprochen wird, sich zu ändern. Seit Aufgabe der Tätertypenlehre kann die häufig geäußerte Forderung des „Wegsperrens für immer“ keine Option einer menschlichen Strafjustiz sein. Dass sich Restrisiken nicht vermeiden lassen, ist m. E. dem Umstand geschuldet, dass der Mensch keine berechenbare Maschine ist, wobei selbst letztere nicht frei von Fehlern sind.

  • EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009

    Erneut sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte für Aufsehen.  Mit dem Urteil vom 17. Dezember 2009 stellte der EGMR fest, dass Deutschland mit der rückwirkenden Anwendung des geänderten §67d Abs. 3 StGB, der eine über die zur Tatzeit zulässige Höchstdauer hinausgehende Sicherungsverwahrung eines Verurteilten regelt, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt und dem Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro zu zahlen hat.

    Der Beschwerdeführer M wurde nach bereits mehreren begangenen Straftaten zuletzt im November 1986 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren vom Landgericht Marburg verurteilt. Das Gericht ordnete die anschließende Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung an und begründete dieses mit dem psychiatrischen Gutachten, welches den Beschwerdeführer als gefährlichen Straftäter einordnet und weitere Straftaten als wahrscheinlich ansieht.

    Nachdem der Beschwerdeführer seine Freiheitsstrafe längst verbüßt hatte und sich weiterhin in Sicherungsverwahrung befand, beantragte er mehrmals in den Jahren zwischen 1992 und 1998 die Aussetzung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung. Hierbei blieb er jedoch erfolglos. Unter anderem lehnte das LG Marburg einen entsprechenden Antrag im Jahre 2001 ab und verwies auf die im psychiatrischen Gutachten festgestellte Wiederholungsgefahr des Beschwerdeführers. Gleichzeitig bekräftigte das Gericht seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und ordnete eine über die Maximalgesamtdauer von 10 Jahre gehende Sicherungsverwahrung an.

    Eigentlich hätte der Beschwerdeführer spätestens nach 10 Jahren Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen.

    Als auch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers im Februar 2004 auf Grundlage des Charakters der Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem StGB zurückwies, legte der Beschwerdeführer am 24. Mai 2003 eine Beschwerde beim EGMR ein und stütze diese auf sein subjektives Recht aus Art. 5 I EMRK.

    Am 17. Dezember 2009 erschien daraufhin das Urteil des EGMR, das in der überzogenen Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention durch Deutschland feststellt. So stellt nach Ansicht der Straßburger Richter die verlängerte und über 10 Jahre hinausgehende Sicherheitsverwahrung einen Verstoß gegen Art. 5 I EMRK dar.

    Zudem befanden die Richter des EGMR, dass die Sicherheitsverwahrung eine der härtesten Maßnahmen nach dem StGB und gleichzusetzen mit der Freiheitsstrafe sei. Eine verlängerte Sicherheitsverwahrung stelle eine zusätzliche und ungerechtfertigte Bestrafung dar, die über das zulässige Strafmaß hinausgeht. Hinzukommt, dass das in Deutschland keine ausreichende psychologische Betreuung der Häftlinge gewährleistet werde.

    Folglich liegt in der Entscheidung ein Verstoß gegen Art. 7 I EMRK vor. Ferner wird Deutschland zu einer Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro gegenüber dem Beschwerdeführer verurteilt.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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