BGH: Bei einer Vergewaltigung iSd § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss sich der Vorsatz auch auf die hilflose Lage beziehen

Weiß der Täter nichts von den Umständen, aufgrund derer die Geschädigte in eine hilflose Lage geraten ist, handelt er ohne Vorsatz.

Das Landgericht Essen verurteilte den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.

Die Geschädigte wurde von einem gesondert Verfolgten aus ihrer polnischen Heimat nach Deutschland gelockt. Er versprach ihr in Deutschland gut entlohnte Arbeitsmöglichkeiten. Tatsächlich musste die Frau jedoch im Haushalt der Familie aushelfen. Dabei soll der gesondert Verfolgte die Frau mehrfach vergewaltigt haben.

Der Angeklagte lernte die Frau bei einem Besuch der Familie kennen. Dabei konnte das Landgericht jedoch nicht feststellen, dass der Angeklagte von den vorherigen sexuellen Übergriffen und Drohungen wusste.

Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte lockten die Geschädigte in die Wohnung des Angeklagten. Dort gaben sie der Frau eine Marihuana-Zigarette, um später mit ihr den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Obwohl sie auch anschließend erklärte, dass sie das nicht wolle, führten beide Männer gleichzeitig den Geschlechtsverkehr mit ihr durch. Die Frau wehrte sich nach ihrer anfänglichen Weigerung nicht weiter. Sie hielt es aufgrund ihrer Ortsunkundigkeit, der Anonymität in dem großen Wohnblock, ihrer herabgesetzten körperlichen Funktionstätigkeit und ihrer fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache für sinnlos, sich weiter zu wehren.

Die Strafverteidigung wehrt sich mit der Revision gegen die Verurteilung wegen Vergewaltigung. Das Landgericht nahm an, dass sich die Frau in einer objektiv schutzlosen Lage befunden hätte, da sie keine effektiven Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten besaß. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jedoch bezüglich des Vorsatzes des Angeklagten erhebliche Bedenken:

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Verwirklichung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet; auf diese Umstände muss sich der – zumindest bedingte – Vorsatz des Täters erstrecken

Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Frau in einer objektiv schutzlosen Lage befand, jedoch ist es fraglich, ob der Angeklagte hierzu auch Vorsatz besaß. Der Frau selbst wurde in der Wohnung nicht mehr mit Körperverletzungshandlungen gedroht. Auch wusste der Angeklagte nichts von vorheriger Gewaltanwendung, so dass er auch nicht billigend in Kauf nahm, dass die Angeklagte noch durch andere Taten eingeschüchtert war.

Insoweit hat die Revision der Strafverteidigung Erfolg. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2012, Az.: 4 StR 374/12

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