Das Landgerichts Trier hatte im letzten Jahr einen damals 55-jährigen Mann wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach Auffassung des Landgerichts hatte der Angeklagte seinen Nachbarn getötet. Zunächst soll er versucht haben, seinen verhassten Nachbarn per Mordauftrag loszuwerden. Da dies nicht funktionierte, soll der Angeklagte ihn selbst getötet haben. Allerdings wurde die Leiche nie gefunden. Schon 1988 hatte der Angeklagte auf seinen Nachbarn geschossen und war zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarn hörten nie auf.
Zur vermeintlichen Strafe bei falscher uneidlicher Aussage (hier Zeugenaussage im Disziplinarverfahren) an einer zur eidlichen Vernehmung ungeeigneten Stelle:
Gegen den Antragssteller wurde ein Disziplinarverfahren unter dem Vorwurf eingeleitet, Mitarbeiterinnen durch sexuelle Äußerungen beleidigt zu haben. In diesem Disziplinarverfahren wurde B. als Zeuge gehört.
Danach erstattete der Antragssteller Anzeige gegen B. – dieser habe sich gemäß § 153 StGB der falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht.
Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage zum Amtsgericht.
Quelle: Pressemitteilung des Strafsenats des BGH Nr. 023/2012 vom 09.02.2012
Das passiert auch nicht alle Tage: Der 2. Strafsenat entscheidet trotz seiner Bedenken hinsichtlich der Besetzung und verwirft die Revision der Staatsanwaltschaft aus den folgenden Gründen.
Pressemitteilung:
Spruchgruppe des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entscheidet in der Sache trotz
fortbestehender Bedenken gegen seine ordnungsgemäße Besetzung
Der 2. Strafsenat hat in einer Strafsache, in der er am 11. Januar 2012 die Hauptverhandlung wegen Bedenken an der Ordnungsgemäßheit seiner Besetzung ausgesetzt hatte, am 8. Februar 2012 erneut verhandelt. Er hat nunmehr in der Sache entschieden und die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision verworfen.
Der Entscheidung ging folgendes voraus: Durch Beschluss vom 11. Januar 2012 hatte der Senat zunächst die Revisionshauptverhandlung ausgesetzt, um die Sache dem Präsidium des Bundesgerichtshofs vorzulegen. Grund war, dass nach Ansicht der zur Entscheidung berufenen Spruchgruppe der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt ist, weil der ihm durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan zugewiesene Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann zugleich den Vorsitz im 4. Strafsenat führt (siehe PM 4/12 vom 13.1.2012).
Veranlasst durch diesen Beschluss hat das Präsidium des Bundesgerichtshofs am 18. Januar 2012 einstimmig beschlossen, dass an dem Beschluss vom 15. Dezember 2011, mit dem VRIBGH Dr. Ernemann der Vorsitz des 2. und zugleich des 4. Strafsenats übertragen worden ist, festgehalten werde.
Die Spruchgruppe des Senats hat es nunmehr – unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung – mit Blick auf das rechtsstaatliche Beschleunigungsgebot sowie das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsschutzgewährung für geboten erachtet, in der Sache zu entscheiden.
Ebenfalls am 8. Februar 2012 hat der 2. Strafsenat in derselben Spruchgruppe Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 und 4 StPO gefasst, mithin Sachentscheidungen getroffen, die nach der Strafprozessordnung nur einstimmig herbeigeführt werden können.
Die Rechtsprechung im 2. Strafsenat ist damit wieder von allen Spruchgruppen aufgenommen worden.
Urteil vom 8. Februar 2012 – 2 StR 346/11
Landgericht Gera – Urteil vom 4. April 2011 – 450 Js 2586/10 2 KLs jug
Karlsruhe, den 9. Februar 2012
Quelle: Pressemittelung des BGH Nr. 007/2012 vom 17.01.2012
Der Bundesgerichtshof hat in der folgenden Entscheidung die Verkehrssicherungspflichten eines Eisenbahnunternehmens bestätigt und ausgeweitet auf den Ein- und Ausstieg der Gäste sowie der Benutzung der Bahnsteige. Damit wurde der Klage der Klägerin, die bei einem Sturz auf dem Bahnsteig verletzt wurde, unter anderem auf Schadensersatz und Schmerzensgeld statt gegeben.
Pressemitteilung:
Bundesgerichtshof entscheidet zur Verkehrssicherungspflicht auf Bahnsteigen
Der für Rechtsstreitigkeiten über Personenbeförderungsverträge zuständige X. Zivilsenat hat heute über den Schadensersatzanspruch eines Fahrgastes wegen eines Sturzes aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig entschieden.
Die Beklagte zu 1, die DB Fernverkehr AG, erbringt Eisenbahnverkehrsleistungen im Fernverkehr. Die Klägerin erwarb bei ihr einen Fahrausweis für eine Fahrt mit dem ICE von Solingen nach Dresden. Auf dem Weg zum Haltepunkt des ICE stürzte die Klägerin auf dem Bahnsteig des Bahnhofs. Eigentümerin des Bahnhofs ist die DB Station & Service AG. Diese hatte die Reinigung und den Winterdienst der Beklagten zu 2, der DB Services GmbH, übertragen. Die Beklagte zu 2 hat behauptet, sie habe ihrerseits den Winterdienst auf den Streithelfer übertragen. Wegen der durch den Sturz zugezogenen Verletzungen nahm die Klägerin zunächst die DB Station & Service AG in Anspruch. Das Landgericht wies diese Klage mit der Begründung ab, die DB Station & Service AG habe die ihr obliegende Räum- und Streupflicht auf die Beklagte zu 2. übertragen.
Die Klägerin begehrt nunmehr von den Beklagten Schmerzensgeld, Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden wegen der durch den Sturz zugezogenen Verletzungen. Das Landgericht hat die Klage gegen die Beklagte zu 1 durch Teilurteil abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Teilurteil und das Verfahren aufgehoben, die Sache an das Landgericht zurückverwiesen und die Revision zugelassen. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, das Teilurteil des Landgerichts sei unzulässig, da auch eine Haftung der Beklagten zu 1 in Betracht komme. Das Eisenbahn-verkehrsunternehmen sei gegenüber dem Fahrgast vertraglich verpflichtet, für einen verkehrssicheren Zustand des benutzten Bahnsteigs zu sorgen.
Der Bundesgerichtshof hat dies bestätigt und die Revision des beklagten Eisenbahnverkehrsunternehmens zurückgewiesen.
Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist aufgrund eines Personenbeförderungs-vertrags verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen, sondern auch den Zu- und Abgang. Trotz der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 1994 I S. 2439) ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Personenbeförderungsvertrags verpflichtet, Bahnanlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, bereitzustellen und verkehrssicher zu halten. Dies ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das diese Bahnanlagen aufgrund eines Stationsnutzungsvertrags mit dem Infrastruktur-unternehmen nutzt, im Zusammenwirken mit diesem möglich. Wird diese vertragliche Pflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB und hat ein etwaiges Verschulden des Eisenbahninfrastrukturunternehmens – und im Fall der Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf weitere Dritte deren Verschulden – in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).
X ZR 59/11 – Urteil vom 17. Januar 2012
LG Wuppertal – 16 O 165/09 – Urteil vom 26. August 2010
OLG Düsseldorf – 18 U 158/10 – Urteil vom 20. April 2011
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011, Az.: 3 StR 44/11
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und den Maßstab für die Anrechnung in den Niederlanden erlittener Untersuchungshaft auf 1:1 bestimmt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Das Urteil wird aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Der Angeklagte beanstandet in der Revision, dass das Landgericht über einen Beweisantrag nicht in der Hauptverhandlung, sondern erst im Urteil entscheiden hat. Dies verstößt gegen § 244 VI StPO.
Der BGH hat in der Entscheidung klargestellt, dass es Entscheidungen gegeben hat, bei denen Beweisanträge nach einer gesetzten Frist als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet worden sind. Allerdings ermöglicht auch das in aller Regel nicht, über die Beweisanträge in der vorgeschriebenen Weise zu entscheiden. Eine Ausnahme bestünde lediglich im Fall unzähliger Beweisanträge, die eindeutig der Prozessverschleppung dienen sollen. Die Voraussetzungen für eine solche Annahme müssen aber eng sein.
Dies sei im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich:
„Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, da die Entscheidung ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger den Vorwurf der Prozessverschleppung hätten entkräften oder weitere Anträge hätten stellen können, wenn sie den Ablehnungsgrund gekannt hätten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1986 – 4 StR 161/86, NStZ 1986, 372; vom 7. Dezember 1979 – 3 StR 299/79 (S), BGHSt 29, 149, 152). Da sich die Kammer in ihren Beschlüssen im Wesentlichen mit der Verschleppungsabsicht der Verteidigung des Mitangeklagten befasste, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht auf die erst in den Urteilsgründen genannten Gesichtspunkte, die sie betrafen, reagieren.“
Damit stellt der BGH klar, dass Beweisanträge des Angeklagten und seines Strafverteidigers im Regelfall gemäß § 244 VI StPO durch einen in der Hauptverhandlung bekannt gemachten Gerichtsbeschluss beschieden werden müssen.
Eine Ausnahme von § 244 VI StPO muss an enge Voraussetzungen geknüpft werden, die hier nicht vorlagen. Damit ist die Ablehnung des Beweisantrags durch Urteil nicht zulässig.
Nachdem ein Polizeiarzt aus Bremen schon einmal freigesprochen wurde, erging nun nach zwischenzeitlicher Aufhebung des Urteils durch den BGH der zweite Freispruch.
Der Arzt hatte 2004 einem 35-jährigen Kleindealer Brechmittel verabreicht, um Drogen ( BtMG )– Kokainpäckchen – zu finden, welche oft bei der Festnahme von Dealern verschluckt werden. Der Mann fiel jedoch ins Koma und verstarb wenig später.
Der Arzt wurde dann wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung und der vorsätzlichen Körperverletzung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe, die Strafverteidigung plädierte auf Freispruch. Das Gericht konnte die Todesursache nicht sicher nachweisen, weshalb der Polizeiarzt freigesprochen wurde. Auf die Revision hin kassierte der BGH das Urteil und verwies es an das Gericht zurück. Dieses sprach den Arzt im Juni erneut frei, da immer noch Zweifel bezüglich der Todesursache bestünden. Eine Verurteilung könne daher nicht erfolgen, da dann der Grundsatz „in dubio pro reo“ – „im Zeifel für den Angeklagten“ – unterlaufen würde. Jetzt legte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklage Revision ein, so dass sich der BGH erneut damit befassen muss.
Besonders problematisch ist, dass der Brechmitteleinsatz durch die Polizei lange Zeit zwar eine heftig umstrittene, aber dennoch praktizierte Methode in Deutschland war. Es ist also fraglich, ob der Arzt für diese damals „normale“ Vorgehensweise verurteilt werden kann, selbst wenn die Todesursache feststehen würde.
Mittlerweile wird die Verabreichung von Brechmitteln so nicht mehr praktiziert. Grund dafür ist insbesondere ein Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahre 2006, der im Einsatz von Brechmitteln vor allem einen Verstoß gegen das Folterverbot aus Art. 3 EMRK sah (NJW 2006, 3117 ff.).
( Quelle: Süddeutsche online vom 21.06.2011 )
3. Strafsenat des BGH, Az.: 3 StR 54/11
Der Angeklagte ist unter anderem wegen schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen angeklagt gewesen. Das Landgericht Mönchengladbach hat ihn freigesprochen. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) verworfen.
Auszug aus den Gründen der Strafkammer:
„Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren Bandendiebstahls in zehn Fällen, des versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen sowie des Bandendiebstahls aus tatsächlichen Gründen freigesprochen und entschieden, dass er für die in dieser Sache erlittene Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen ist. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Sie beanstandet mit der Sachrüge Rechtsfehler in der Beweiswürdigung.
Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist aus den zutreffenden Gründen in dessen Zuschrift vom 25. Februar 2011 offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.“
In Fällen wie diesen, in denen sich selbst der Generalbundesanwalt (GBA) der Revision der Staatsanwaltschaft nicht anschließt, stehen die Verteidigungschancen gut, wie auch diese Entscheidung zeigt. Auch für die Staatsanwaltschaft gilt der Grundsatz, dass die Beweiswürdigung nur eingeschränkt auf revisionserhebliche Fehler durch das Revisionsgericht überprüft werden kann, obgleich in jüngeren Entscheidungen dieser Grundsatz wiederholt bei Revisionen gegen Freisprüchen aufgeweicht worden ist. Insofern eine Entscheidung gegen den momentan vorherrschenden „Trend“.
itBGH, Az. 2 ARs 120/11
Im vorliegenden Fall ist der Angeklagte unter anderem wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Die Sache war beim Amtsgericht Zerbst anhängig, welches per Entschluss des Jugendrichters vom 15. Dezember 2010 die Sache an das Amtsgericht Tostedt abgegeben hatte. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) feststellt, war Abgabe des Verfahrens unzulässig. Das Amtsgericht Zerbst ist weiterhin für die Untersuchung und Entscheidung zuständig.
Auszug aus dem Wortlaut des Beschlusses:
„Das Amtsgericht Zerbst hat gegen den heranwachsenden Angeklagten am 19. November 2010 einen Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach Erwachsenenstrafrecht erlassen, gegen den der Angeklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt hat. Durch Beschluss vom 15. Dezember 2010 hat das Amtsgericht Zerbst die Sache an das Amtsgericht Tostedt abgegeben, da der Angeklagte im dortigen Bezirk bereits am 1. November 2010 seinen Wohnsitz genommen hatte.
Die Abgabe des Verfahrens war nicht zulässig. Im Strafbefehlsverfahren ist – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – eine Abgabe des Verfahrens nach § 42 Abs. 3 JGG oder eine Übertragung nach § 12 Abs. 2 StPO erst zulässig, wenn die auf rechtzeitigen Einspruch anberaumte Verhandlung begonnen hat (BGHSt 13, 186, 187; Senat, Beschluss vom 16. März 2011 – 2 ARs 41/11). Das Amtsgericht Zerbst ist daher weiterhin für die Untersuchung und Entscheidung der Sache zuständig.“
Anders als bei Jugendlichen kann bei Heranwachsenden auch ohne Hauptverhandlung im schriftlichen Strafbefehlsverfahren entschieden werden. In diesem Fall hatte sich das Amtsgericht Zerbst zu früh versucht, sich des Verfahrens zu entledigen. Durch die zutreffende Entscheidung des BGH blieb dieser Versuch ein „untauglicher“ und das Amtsgericht Zerbst an dem Verfahren „hängen“.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner