Staatsanwaltschaft

  • Labeling
    von Dr. Böttner, Strafverteidiger aus Hamburg

    Der Begriff „Labeling“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Reaktionsansatz“ oder „Definitionstheorie“, eine Bewegung zur Deobjektivierung von Abweichung und Kriminalität (siehe auch Wikipedia: labeling) Nach den Erkenntnissen der 3. Arbeitsgemeinschaft führt eine frühzeitige Stigmatisierung bereits Strafunmündiger (Kinder unter l4Jahren) im späteren Verlauf zu schärferen Sanktionen, als dies ohne die vorherige Prägung der Fall wäre. Dadurch kommt nicht nur der tatrichterlichen Bewertung ein besonderer Charakter zu, sondern auch die Wertung des Täters wird (negativ) beeinflusst.

    „Die Theorie des ,,Labeling“ kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur unter Berücksichtigung unterschiedlicher soziologischer und kriminologischer Wertungsbereiche, wie die Herkunft, das familiäre und soziale Umfeld.“

    Insbesondere das in der Presse immer wieder auftauchende Schlagwort der „jugendlichen Intensivtäter“ bereitet den Weg für gravierende Tendenzen der Stigmatisierung. Es besteht damit häufig die Gefahr, dass der Jugendliche diese Definition als „Selbstbild“ übernimmt. Wenn ihm immer wieder gesagt wird, er sei Intensivtäter, wird er sich auch weiterhin als solcher verhalten. Eine weitere kriminelle Lebensweise würde für ihn so quasi als vorgegebenes Schicksal unausweichlich. Neben einer Herabsetzung der Hemmschwelle nimmt die Festlegung der eigenen (delinquenten) Rolle spätestens in der Jugendstrafanstalt ihren (unerwünschten) Weg.
    Die Arbeitsgemeinschaft kommt zu dem zutreffenden Ergebnis, dass die immer wieder geforderte Härte des Staates bezüglich der auf diese Art und Weise stigmatisierten Jugendlichen hier kontraproduktiv und im Hinblick auf die Rechte des Beschuldigten äußerst bedenklich ist:

    „Es entsteht der Eindruck, dass die Gründung von „Intensivtäterabteilungen“ bei der Staatsanwaltschaft, die Durchführung von sog. „Fallkonferenzen“ unter Beteiligung von Polizei, Schule, Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Staatsanwaltschaft (und ohne Verteidiger!) sowie die besondere ,,Betreuung“ durch Sondersachbearbeiter der Polizei lediglich aus Hilflosigkeit und aufgrund öffentlichen Drucks entstehen. Eine entsprechende Förderung in den Jugendstrafanstalten findet nicht statt.“

    Durch die zusätzliche Stigmatisierung als „Intensivtäter“ wird bei Jugendlichen mit „Migrationshintergrund“ eine ohnehin bestehende Problematik ausgeweitet und im außerstrafrechtlichen Bereich fortgeführt. Die Arbeitsgruppe weist zu Recht darauf hin, dass anstelle von Stigmatisierung und Ausgrenzung, Lösungsansätze in der Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten und der sozialen Hilfsangebote gefunden werden müssen.

    Diesem Ergebnis ist uneingeschränkt zuzustimmen: Durch immer weitere Einsparungen im Bereich von Hilfsangeboten für Kinder und Jugendliche in Begleitung der Schließung immer mehr Jugendeinrichtungen ist ein Problem entstanden, welches nun mit längeren Haftstrafen und insbesondere teuren Haftplätzen in Jugendstrafanstalten „gelöst“ werden soll. Wenn man die Kosten eines Platzes in einer Jugendhaftanstalt vergleicht mit den im Verhältnis dazu verschwindend geringen Kosten effektiver Jugendarbeit in der Prävention wird deutlich, dass hier ein völlig falscher Weg beschritten wird und Umkehr dringend geboten ist.

  • Az. 32 Ss 94/09 (OLG Celle)

    Der Beschluss des OLG Celle befasst sich mit der Problematik des Beweisverwertungsverbotes für Erkenntnisse einer Blutentnahme bei Verletzung des Richtervorbehaltes und ist aufgrund der umfangreichen Ausführung des Gerichts trotz der bekannten Thematik sehr lesenswert.

    Der Angeklagte war vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen bzw. der Führerschein eingezogen. Hiergegen wendete sich der Angeklagte mit seiner Revision. In deren Zentrum stand die Beanstandung der Rechtswidrigkeit einer Beweiswürdigung der Blutentnahme zur Überprüfung der Blutalkoholkonzentration.

    Das OLG Celle schloss sich der bisherigen Rechtsprechung an. So weist das OLG Celle zu Recht darauf hin, dass eine Anordnung der Blutentnahme nach §81a II StPO grundsätzlich nur durch den Richter möglich. Eine Ausnahme hiervon stellt lediglich die „Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung eingehenden Verzögerung“ dar, bei der die Anordnungskompetenz bei der Staatsanwaltschaft und nachrangig der Ermittlungspersonen in Gestalt des ermittelnden Polizeibeamtens liegt.

    Ein solcher Fall lag jedoch im vorliegenden Sachverhalt nicht vor. Der zuständige Polizeibeamte hatte nicht einmal den Versuch unternommen, einen zuständigen Richter oder notfalls die Staatsanwaltschaft zu erreichen und richterliche oder zumindest staatsanwaltschaftliche Anordnung der Blutentnahme einzuholen. Und das angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte gegen 16:46 Uhr von der Polizei nach auffälligem Fahren in Schlangenlinien angehalten wurde. Ferner vergingen rund 20 Minuten bis zum Alkoholtest auf der Dienststelle und weitere 20 Minuten bis zur fraglichen Blutentnahme durch einen Arzt. In dieser Zeit hätte der Polizeibeamte einen Richter telefonisch erreichen können.

    Zwar ist ein Richter nicht an Dienstzeiten gebunden, jedoch ist davon auszugehen, dass ein Richter am Freitag zur Zeit der Blutentnahme erreichbar gewesen wäre. Zudem besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, zur Tageszeit einen Eildienst zur Verfügung zu stellen. Die fernmündliche richterliche Anordnung war auch hier möglich, da es sich um einen einfachgelagerten Sachverhalt handelte und die Blutentnahme aufgrund der deutlich überhöhten Alkoholwerte im ersten Alkoholtest gerechtfertig gewesen sein könnte.

    Des Weiteren wäre eine solche Zeitverzögerungen durch den Richtervorbehalt hinzunehmen gewesen:

    “Gerade bei hohen Alkoholwerten kann der mögliche Abbau in der Regel unproblematisch durch Rückrechnung ausgeglichen werden. Zwar ist der tatsächliche Abbauwert von situativen und individuellen Faktoren (z.B. den Trinkgewohnheiten und der Konstitution des Betroffenen) abhängig. Die von der Rspr. entwickelten Rückrechnungsformeln arbeiten demgegenüber mit allg. Sicherheitszuschlägen und -abschlägen, was zu Ungenauigkeiten führt. Je weiter sich Atemalkoholwerte aber von den Grenzwerten zur Abgrenzung einer Ordnungswidrigkeit von einer Straftat bzw. zur absoluten Fahrtüchtigkeit entfernen, desto weniger ist eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch zeitliche Verzögerung anzunehmen (vgl. hierzu: OLG Hamm, NJW 2009, 242ff.; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff., Bandenburgisches OLG, 1 Ss 15/09 v. 25.03.2009 – zitiert nach juris -).“

    Der Angeklagte hatte im vorliegenden Fall einen Atemalkoholwert von 3,08 Promille gehabt. Angesichts dieses Wertes und der regelmäßig angewandten Rückrechnungsmethode war die richterliche Anordnung problemlos einzuholen gewesen, da der Untersuchungserfolg nicht gefährdet schien.

    Folglich verstößt die Anordnung der Blutentnahme durch den Polizeibeamten gegen den Richtervorbehalt aus §81a II StPO und führt zu einem Beweisverwertungsverbot der Erkenntnisse aus der Blutalkoholuntersuchung, da es sich bei einer Blutentnahme um eine einzelfallbezogene Interessensabwägung mit einem tiefgehenden Eingriff handelt:

    “Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass durch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbotes unerträglich wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor bei bewusster und zielgerichteter Umgehung des Richtervorbehalts sowie bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug [..]“

    In diesem Fall war der zuständige Polizeibeamte davon ausgegangen, „dass bei Trunkenheit im Verkehr wegen Gefahr im Verzug stets eine Anordnung durch Polizeibeamte ausreiche und deshalb eine richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung von vornherein nicht nötig sei“. Hierin ist ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß §181a II StPO zu sehen. Zudem sind keine Anzeichen ersichtlich, die für einen Irrtum oder eine Fehleinschätzung der Situation sprechen.

    Insgesamt führen dies im Ergebnis zu dem Beweisverwertungsverbot der Erkenntnisse aus der Blutalkoholuntersuchung im Strafverfahren.

  • BVerfG, 1 BvR 2272/04 vom 12.5.2009

    Ähnlich wie schon im so genannten „Dummschwätzer-Fall“ hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob die Äußerung bzw. Bezeichnung als „Durchgeknallter Staatsanwalt“, die der Beschwerdeführer in der Sendung „Talk in Berlin“ auf n-tv im Juni 2003 in einem Diskussionsbeitrag traf, eine Beleidigung nach §185ff StGB darstellt.

    Der BVerfG entschied, dass eine solche Bezeichnung von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG umfasst wird und im Einzelfall unter Berücksichtigung weiterer Umstände wie der Kontext der Äußerung zu prüfen ist. Sind mehrere Deutungsmöglichkeiten der Meinungsäußerung vorliegend, müssen auch die dem Äußernden entgegenkommenden Deutungen berücksichtigt werden. Hinzu bedarf es weiterer Begleitumstände und Interpretationsmöglichkeiten, damit die Meinungskundgabe als Beleidigung angesehen werden kann.

    „Zwar ist der Begriff „durchgeknallt“ von einer gewissen Schärfe und auch von einer Personalisierung gekennzeichnet und hat unabhängig von seiner Deutung ehrverletzenden Charakter. Eine Meinungsäußerung wird aber nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Hinzukommen muss vielmehr, dass die persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt. Die Beurteilung dieser Frage erfordert regelmäßig, den Anlass und den Kontext der Äußerung zu beachten (vgl.BVerfGE 93, 266 <303> ; BVerfG, NJW 2005, S. 3274 f.). Eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kann allenfalls ausnahmsweise dann die Annahme einer der Abwägung entzogenen Schmähung tragen, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise bei Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein kann (vgl. BVerfG, NJW 2009, S. 749 <750>).“

    Das Urteil verdeutlicht, von welch großer Bedeutung die exakte und fallbezogene Auslegung der Meinungsäußerung auch im Hinblick auf strafrechtliche Konsequenzen ist. Vor allem bei kritischen Äußerungen, die auch als Beleidigungen verstanden werden können, kann diese nicht zwangsläufig zu Gunsten des Opfers ausgelegt werden, sondern müssen sämtliche Erwägungen im Einzelfall des Kontextes (z.B. in einer politischen Debatte) im Sinne der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt werden.

    Das gesamte Urteil lässt sich auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts abrufen.

  • Ein Softwareunternehmen, das eine Vielzahl an Computerspielen herstellt, produziert und vertreibt, erstatte einen Tag vor Veröffentlichung eines neuen Computerspiels Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung ihrer ausschließlichen Urheberrechte. Als Beweis führte das Unternehmen einige Screenshots an, die Raubkopien des Spiels in einem so genannten Perr-to-Peer-Netzwerk zeigten und von Nutzern bereitgestellt wurden.

    Der Generalstaatsanwalt wies die Beschwerde in zwei ähnlich gelagerten Fällen ab und begründete dies damit, dass der genaue Zusammenhang zwischen dem Werk, an dem das Softwareunternehmen das Urheberrecht genießt, und den Dateien im Netzwerk fehle. Zudem sei der Tatverdacht mittels IP-Adresse, der Internetverbindung und Screenshots aus dem Filesharing-Netzwerk als „nur gering“ einzustufen.

    Entscheidend sei aber, dass es sich beim einmaligen „Download“ einer Datei, insbesondere vor dem Hintergrund der kindlichen Internetnutzung, um ein Massenphänomen handele, das zudem keinen verhältnismäßig großen Schaden darstellt:

    Abgesehen davon, dass die unerlaubte Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken gemäß § 106 UrhG kein Vermögensdelikt und der Eintritt eines Schadens für den Tatbestand irrelevant ist, erleidet der Rechteinhaber keine Einbuße seines vorhandenen Vermögens, sondern allenfalls den Verlust eines zusätzlichen Vermögenszuwachses, der nur dann schadensrelevant sein könnte, wenn ohne die Tat tatsächlich eine Vermögensmehrung zu erwarten gewesen wäre. Dies wäre indes in Anbetracht der überwiegenden Tätergruppe kindlicher und jugendlicher Nutzer – das Spiel ist mit der Altersfreigabe 12 Jahre versehen – und deren niedrigen Wirtschaftskraft nicht einmal in der Höhe des empfohlenen Verkaufspreises anzunehmen. [..]. Der Umstand, dass es sich bei den in Rede stehenden Urheberrechtsverletzungen um ein Massenphänomen handelt, veranlasst im Hinblick auf den geringen persönlichen Schuldvorwurf des einmaligen Downloads ebenso wenig wie etwa bei dem Massendelikt Ladendiebstahl zwingend die Aufnahme von Ermittlungen, erst Recht nicht, wenn – wie in den Fällen der Tauschbörsenteilnahme allgemein und bei dem hier relevanten Werk – in erster Linie eine jugendliche Klientel betroffen ist, deren Strafverfolgung die Berücksichtigung generalpräventiver Aspekte nicht zulässt.

    Das Urteil verdeutlicht die Problematik der Strafverfolgung der „Internet-Piraterie“. Auf der einen Seite handelt es sich hierbei in der Tat um ein Massenphänomen mit zumeist Jugendlichen, die die Werke für sich selbst und dem privaten Gebrauch herunterladen, auf der anderen bereitet die genaue Nachverfolgung der Daten und Verbindung bis hin zum Internetanschluss-Besitzer erhebliche Schwierigkeiten. Höchstrichterliche Entscheidungen stehen noch aus, ein erster Fingerzeig könnte jedoch dieser Bescheid vom 11.3.2009 sein.

    Aktenzeichen der Beschlüsse:
    2 Zs 734/09
    2 Zs 735/09
    Az: 2 Zs 734/09 und 2 Zs 735/09 (Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Bescheid vom 11.3.2009)

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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