BGH: Erinnerungslücken bei Zeugen begründen den Verdacht der Themenvermeidung

Beruft sich ein Zeuge auf Erinnerungslücken, muss das Landgericht erforschen, ob der Zeuge Fragen bezüglich dieses Themas gezielt vermeiden möchte.

Der Angeklagte wurde vom Landgericht Hagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach Überzeugung des Landgerichts habe der Angeklagte mit der Lebensgefährtin seines Bruders in ihrem Bett eine DVD geschaut. Als die junge Frau einschlief, vermutlich auch aufgrund einer überdosierten Einnahme von Antidepressiva, soll der Angeklagte sie entkleidet und mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzogen haben. Als die Frau aufwachte, ließ er sofort von ihr ab. Die Frau vertraute sich ihrem Lebensgefährten erst an, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger sei.

Dagegen wehrte sich die Strafverteidigung mit der Revision.

Der Angeklagte behauptet, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich geschah. So hätte es auch zuvor schon sexuellen Kontakt zwischen der Frau und dem Angeklagten gegeben. Die Zeugin wollte sich daran nicht mehr erinnern können. Ein Gutachten bestätigt insgesamt die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Trotzdem sieht der Bundesgerichtshof (BGH) hier eine besondere Nachforschungspflicht des Gerichts:

Macht ein Zeuge in Bezug auf ein wenig vergessensanfälliges Erleben eine unter normalen Bedingungen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend, besteht Grund zu der Annahme, dass er dieses Thema meiden will und sein Aussageverhalten auch im Übrigen einer entsprechenden Steuerung unterliegt.

Daher hätte das Landgericht näher erforschen müssen, ob die Zeugin die Fragen bezüglich eines früheren sexuellen Kontakts meiden wollte. Ebenfalls kritisiert der BGH die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Falschaussagemotiv ausgeschlossen hat. So hätte die Frau, nach Überzeugung des Landgerichts, die Vaterschaft auch weiterhin geheim halten können, sie hätte sich ihrem Lebensgefährten jedoch anvertraut, um inneren Druck abzubauen. Das Landgericht schloss daraus, dass dies nicht nötig gewesen wäre, wenn der Geschlechtsverkehr einvernehmlich geschah.

Diese Einschätzung möchte der BGH so nicht teilen. Die Zeugin sagte aus, dass sie sich allein deswegen ihrem Lebensgefährten anvertraute, da sie den genauen Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs nicht mehr wisse. Daher führt der BGH weiter aus:

Anlass für die Offenbarung war danach allein die konkrete Angst, infolge des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten schwanger geworden zu sein und nicht ein sich stetig steigernder innerer Druck. Die Erwägung, dass für die Nebenklägerin bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kein Grund bestanden hätte, sich ihrem Lebenspartner anzuvertrauen, geht vor diesem Hintergrund ebenso ins Leere, wie die Annahme, dass sie sich nicht in einer Rechtfertigungssituation befunden habe, weil bisher noch keine Zweifel in Bezug auf die Vaterschaft angemeldet worden seien.

Daher hat die Revision der Strafverteidigung Erfolg.
Die Sache bedarf insgesamt einer neuen Verhandlung und Entscheidung. Deshalb wird sie an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

BGH, Beschluss vom 21. August 2012, Az.: 4 StR 305/12

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