BGH, Beschluss vom 13.09.2011, Az.: 5 StR 189/11
Das Landgericht Dresden hat den Angeklagten wegen schweren sexueller Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat das sachverständig beratene Landgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen diese
Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Revision.
Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte in der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor. Die Kinder waren ihm anvertraut und lebten in seinem Haushalt.
Der Angeklagte rügte, dass die Kammer falsch besetzt war, da die Hauptverhandlung nur mit zwei Berufsrichtern durchgeführt wurde.
Dazu der BGH:
„Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8).“
„Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.“
Der BGH stellt klar, dass die Besetzungsentscheidung grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, sofern sie rechtmäßig war. Dieser Grundsatz könne nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung bedürfe es aber gerade grundsätzlich wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in die Grundrechte einer zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern. Allerdings sei die Rüge hier präkludiert.
In der Sache hatte die Revision dennoch Erfolg, da die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Ansicht des BGH nicht ausreichend begründet war.
Daher wurde das Urteil des Landgerichts Dresden im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Der BGH betonte zudem noch, dass das neue Tatgericht nun nahe liegend in der Besetzung mit drei Berufsrichtern entscheiden müsse.