Vergewaltigungsparagraph wird durch die Reform neugefasst. Zusätzlich werden zwei weitere Straftatbestände im Sexualstrafrecht geschaffen.
Der Bundestag hat die gravierendste Verschärfung des Sexualstrafrechts seit langem verabschiedet. Die Straftatbestände der sexuellen Nötigung, Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger werden neu gefasst. Zusätzlich kommen zwei komplett neue Straftatbestände hinzu. Neben der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB), sollen auch Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) zukünftig unter Strafe stehen. Das Gesetz muss nun noch durch den Bundesrat und wird voraussichtlich im Herbst 2016 in Kraft treten.
Sexuelle Nötigung und sexueller Missbrauch werden zusammengefasst
Der neue § 177 StGB wird sowohl den alten Straftatbestand der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung als auch den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen ablösen. Beide bisherigen Straftatbestände gehen in veränderter Form im neuen Straftatbestand “Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ auf.
Zukünftig reicht es aus, dass sexuelle Handlungen gegen den „erkennbaren Willen“ einer Person ausgeübt werden. Bisher musste der Täter die Tat entweder mittels Gewalt, Drohung oder unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage ausführen.
Ebenso bestraft wird derjenige, der eine Situation ausnutzt, in der die andere Person keinen entgegenstehenden Willen bilden oder kundtun kann. Zum Beispiel aufgrund eines Überraschungsmoments. In all diesen Fällen droht Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.
Die alten Straftatbestände der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung bleiben unverändert bestehen. Die neu eingefügten Begehungsformen stehen daher neben den bisherigen Tatvarianten. Wer also die Tat mittels Gewalt, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage begeht, wird weiterhin mit Freiheitsstrafe zwischen einem und fünfzehn Jahren bestraft.
Neue Straftatbestände der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB)
Als neuer Straftatbestand soll die sexuelle Belästigung als § 184i StGB eingefügt werden. Bisher sind flüchtige sexuell motivierte Berührungen in der Regel nicht strafbar. Eine kurze Berührung an der Brust oder am Hintern konnten heutzutage nur in Einzelfällen als Beleidigung bestraft werden. Der neue Straftatbestand sieht dagegen Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe für die Fälle vor, in denen eine Person in sexuell bestimmter Weise berührt und belästigt wird.
Auch Straftaten aus Gruppen werden nun gesondert bestraft (§ 184j StGB)
Ebenfalls neu ist der § 184j StGB. Dieser ist eine gezielte Reaktion auf die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln. Zukünftig können all diejenigen bestraft werden, die sich an einer Gruppe beteiligen, die andere Personen zum Begehen von Straftaten bedrängt, wenn aus dieser Gruppe sexuelle Handlungen verübt werden.
Als Beispiel seien hier die sogenannte „Antänzer“ genannt, die gezielt Personen bedrängen, um anschließend Taschendiebstähle oder Raubhandlungen zu begehen. Werden aus solchen Gruppen zukünftig sexuelle Handlungen begangen, können alle Beteiligte der Gruppe nach dem neuen Straftatbestand belangt werden. Selbst dann, wenn ihnen die sexuelle Handlung nicht persönlich nachgewiesen werden kann. Vor allem dieser neue Straftatbestand ist umstritten. Von manchen Seiten wird hier ein Verstoß gegen das Schuldprinzip und damit gegen die Verfassung erkannt.
Neue Straftatbestände werden zu vielen neuen Strafverfahren führen
Die Reform soll angebliche Strafbarkeitslücken im Sexualstrafrecht schließen. Erst einmal werden die neuen Straftatbestände jedoch vor allem zu einer rechtlichen Unsicherheit in der Praxis führen. Viele Tatvarianten sind so unpräzise Formuliert, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis sich dahingehend eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt hat.
Bereits jetzt ist jedoch zu erkennen, dass die Reform zu vielen neuen Strafverfahren im Sexualstrafrecht führen wird. Es kann dabei jedoch daran gezweifelt werden, dass dadurch tatsächlich die Zahl der Verurteilungen steigen wird. Bereits heute ist die Beweisführung im Sexualstrafrecht sehr schwierig. Zumeist handelt es sich um Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen. Eine Verurteilung kann meist nur Aufgrund der objektiven Spurenlage, zum Beispiel der Folgen der Gewalt, erfolgen.
Da die neuen Straftatbestände jedoch Handlungen unter Strafe stellen, die regelmäßig keine sichtbaren Spuren hinterlassen, wird die Beweisführung dadurch noch schwieriger. Aus diesem Grund kann damit gerechnet werden, dass die Staatsanwaltschaft vermehrt Verfahren einstellen wird und die Gerichte häufiger freisprechen müssen. Ob den Opfern von Sexualstraftaten durch diese Reform tatsächlich geholfen wird, ist daher fraglich.
Falschbeschuldigungen werden erleichtert
Auch ist zu befürchten, dass die Zahl an Falschbeschuldigungen steigen wird. Bereits heute liegt die Quote der Falschbeschuldigungen bei Sexualstraftaten besonders hoch. Schätzungen gehen zum Teil von einer Quote in Höhe von 30 bis 50 Prozent aller Strafanzeigen im Sexualstrafrecht aus. Motiv ist häufig das Ende einer Beziehung und/oder der Versuch, sich im Sorgerechtsverfahren einen Vorteil zu verschaffen.
Die Falschbeschuldigung wird nach aktueller Rechtslage jedoch heutzutage dadurch erschwert, dass in der Regel noch falsche Spuren gelegt werden müssen. In vielen Fällen fügen sich die Anzeigeerstatter daher selbst Verletzungen zu. Mittels rechtsmedizinischer Gutachten kann in vielen dieser Fälle jedoch unterschieden werden, ob die Verletzungen eigen- oder fremdverschuldet sind.
Zukünftig soll bereits die Behauptung, dass ein entgegenstehender Wille zu erkennen war, für die Strafbarkeit genügen. Für Personen die eine Sexualstraftat vortäuschen wollen, wird es daher grundsätzlich deutlich einfacher.
Reform kann auch Nachteile für Opfer von Sexualstraftaten haben
Im Gegenzug wird es für die Ermittlungsbehörden und Gerichte deutlich schwieriger, diese falschen Verdächtigungen zu erkennen. Dies wird möglicherweise sogar zu dem Effekt führen, dass tatsächliche Opfer von Sexualstraftaten noch kritischere Nachfragen über sich ergehen lassen müssen.
Im schlimmsten Fall wird die Reform daher dazu führen, dass die Situation für vorgetäuschte Opfer deutlich erleichtert und für tatsächliche Opfer die gesamte Verfahrenssituation verschlimmert wird.