Freispruch: Ärztin nicht für Suizid verantwortlich

Ist die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei, ist es erst recht die fahrlässige Tötung eines Suizidwilligen durch Unterlassen.

Der Geschädigte ließ sich selbst in der Klinik für forensische Psychiatrie einweisen. Im Aufnahmegespräch teilte er der beschuldigten Ärztin mit, dass er sich nicht umbringen wolle, jedoch befürchte, dies zu jedoch zu tun. Daraufhin wurde der Patient stationär aufgenommen, jedoch nicht als suizidgefährdet eingestuft. Aus diesem Grund wurde sowohl auf sedierende Medikamente als auch auf die Wegnahme von Gegenständen verzichtet. Am nächsten Morgen wurde der Patient tot in seinem Zimmer aufgefunden. Er hatte sich mit seinem Gürtel erhängt.
Das Amtsgericht Gießen hat die Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nicht zugelassen. Dagegen richtete sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde. Die Beschwerde hat vor dem Landgericht Gießen jedoch keinen Erfolg.
Das Landgericht stellt fest, dass die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Daher muss erst recht die fahrlässige Tötung durch Unterlassen straffrei sein.

„So kann derjenige, der mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mit verursacht, nicht bestraft werden. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewusster Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewusst, nimmt sie aber anders als jener nicht billigend in Kauf.“

Prägnant stellt das Landgericht am Ende fest:

„Aus der Straflosigkeit von Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung folgt zwingend, dass der Garant, der nichts zur Verhinderung des freiverantwortlichen Suizids unternimmt, ebenfalls straffrei bleiben muss (Leipziger Kommentar/Jähnke, a. a. O., Rn. 24).“

Denn hätte die Ärztin dem Patienten den Gürtel aktiv für die Selbsttötung gereicht, wäre dies eine Beihilfe zu einer straffreien Selbsttötung gewesen. Dies hätte dann auch nicht bestraft werden können.
Daran ändert auch eine mögliche Unfreiwilligkeit der Selbsttötung nichts. So bestehen zwar Zweifel daran, wie frei eine eigenverantwortliche Willensbildung noch möglich war, jedoch zählt auch hier „im Zweifel für den Angeklagten“:

„Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit können jedoch keine Strafbarkeit begründen, sondern wirken, wie stets, zugunsten des Angeklagten (Leipziger Kommentar/Jähnke, a. a. O., Rn. 27, m. w. N., Rn. 31).“

Damit hatte die Beschwerde der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg.

LG Gießen, Beschluss vom 28.06.2012, Az.: 7 Qs 63/12


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