Fehlendes Protokoll verhindert Urteilsvollzug
In einem aktuellen Beschluss hat das Oberlandesgericht Düsseldorf entschieden, dass ein Angeklagter aus der Untersuchungshaft zu entlassen ist, wenn das schriftliche Protokoll der Hauptverhandlung nicht rechtzeitig vorliegt. Hintergrund war ein Fall vor dem Landgericht Wuppertal, bei dem ein Mann wegen bandenmäßigen Drogenhandels zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Urteil konnte ihm jedoch nicht zugestellt werden, weil auch sechs Monate nach der Urteilsverkündung kein Protokoll der Hauptverhandlung vorlag. Dieses Protokoll ist für eine wirksame Zustellung gemäß § 273 Abs. 1 StPO zwingend notwendig. Ohne das Protokoll beginnt keine Rechtsmittelfrist nach § 341 Abs. 1 StPO zu laufen – eine Überprüfung des Urteils, etwa im Wege der Revision nach § 333 StPO, ist somit nicht möglich.
Das Beschleunigungsgebot und seine rechtlichen Grenzen
Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf Untersuchungshaft in der Regel nicht länger als sechs Monate andauern. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, darf die Haft über diesen Zeitraum hinaus verlängert werden. Solche Umstände müssen aber besonders gewichtig sein. Arbeitsüberlastung oder Zeitprobleme der Justiz reichen ausdrücklich nicht aus, um die Fortdauer der Haft zu rechtfertigen. Das OLG Düsseldorf stellte klar, dass die Justiz in Haftsachen besonders schnell und effizient handeln muss. Wird die Verfahrensdauer durch interne Versäumnisse oder mangelhafte Organisation überschritten, darf dies nicht zulasten des Beschuldigten gehen. Das Grundrecht auf Freiheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darf nicht relativiert werden – auch nicht bei schweren Vorwürfen.
Entlassung trotz Verurteilung
Obwohl der Angeklagte bereits verurteilt war, durfte er nicht weiter in U-Haft bleiben. Das OLG hob den Haftbefehl auf und ordnete seine Freilassung an. Grund hierfür ist, dass ein Beschuldigter nicht nur Anspruch auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK hat, sondern auch darauf, dass dieses Verfahren zügig durchgeführt wird. Das sogenannte Beschleunigungsgebot dient dem Schutz des Freiheitsrechts – und zwar in jeder Phase des Strafverfahrens. Die Entscheidung macht deutlich, dass das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren auch nach einem Schuldspruch gilt. Ohne vollständige Verfahrensunterlagen – insbesondere das Protokoll gemäß § 271 StPO – kann ein Urteil nicht zugestellt werden. Und ohne Zustellung beginnt keine Rechtsmittelfrist. Es liegt damit ein schwerwiegender Verfahrensverstoß vor, der die weitere Haft unzulässig macht.
Was bedeutet das für Betroffene oder Angehörige?
Diese Entscheidung zeigt, dass Untersuchungshaft nicht unbegrenzt verlängert werden darf, nur weil im Hintergrund organisatorische Probleme bestehen. Jeder Beschuldigte hat Anspruch auf ein zügiges und korrekt durchgeführtes Verfahren – und das Recht, sich effektiv verteidigen zu können. Wird dieser Anspruch verletzt, kann selbst nach einer Verurteilung eine Entlassung aus der Haft rechtlich geboten sein.