1. Strafsenat des BGH, Az. 1 StR 3/10
Der Angeklagte war vom Landgericht München I wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in insgesamt 61 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt.
In seiner Revision rügt der Angeklagte, dass ihm nicht das letzte Wort in der Hauptverhandlung gewährt wurde und somit ein Verstoß gegen § 259 Abs. 2 StPO vorliegt.
Im vorliegenden Fall verlief das Ende der Hauptverhandlung wie folgt: Nach Abschluss der Beweisaufnahme wurde der Schlussvortrag des Verteidigers bzw. anschließend das letzte Wort des Angeklagten vorgetragen. Danach wurde jedoch die Beweisaufnahme erneut eröffnet und die Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert. Hierzu erklärten sich sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden. Als die Beweisaufnahme abermals geschlossen wurde wiederholten die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Angeklagten ihre zuvor gestellten Anträge. Allerdings wurde dem Angeklagten hierauf keine erneute Gelegenheit zum letzten Wort gegeben, was einen Verfahrensverstoß darstellt.
Der Strafsenat des BGH führt hierzu aus:
„Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998, 15). [..]
Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen wird im Protokoll selbst das prozessuale Geschehen dahingehend bewertet, dass „nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten“ und diese „erneut geschlossen“ wurde. Zum anderen kam der Erklärung des Angeklagten, er sei mit der formlosen Einziehung sichergestellter Gegenstände einverstanden, potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu.“
Ferner ist auch der Beweis über diesen Verfahrensverstoß anhand der Sitzungsniederschrift des Gerichts zu erbringen. Aus diesem geht jedoch hervor, dass der Angeklagte erneut das letzte Wort hatte. Auf die dienstliche Stellungnahme der Berufsrichter, staatsanwaltschaftlichen Sitzungsvertreter und der Protokollführerin, die sich an den konkreten Verfahrensgang bzw. den Abschluss der Hauptverhandlung nicht mehr erinnern können, kommt es daher nicht an.
Es ist zwar nach Ansicht des Senats ausgeschlossen, dass der Angeklagte in seinem erneuten letzten Wort etwas erhebliches und vom ersten letzten Wort abweichendes bekundet hätte, da er vorher bereits sehr geständig war, jedoch kann der Ausspruch über die Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe auf diesem Verfahrensfehler beruhen. Denn es wäre möglich gewesen, dass der Angeklagte durch sein (neues) letztes Wort weitere Ausführungen gemacht hätte, die letztlich die Strafzumessung zu seinen Gunsten veränderten.
Insbesondere hätte ihm sein Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Gegenstände, welches er kurz zuvor in der erneuten Beweisaufnahme erklärte, zugute kommen können bzw. als gezeigte Reue gewertet werden und im Zusammenhang mit dem ihm verwehrten letzten Wort die Strafzumessung positiv beeinflussen können.
Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass sich die Verfahrensbeteiligten bereits am ersten Tag der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Gesamtstrafe verständigt hatten.