Zur Unterrichtung des zuvor entfernten Angeklagten über den Inhalt einer unterbrochenen Zeugenaussage

4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 612/09

Der Angeklagte ist wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten vom Landgericht Halle verurteilt worden. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision und kann vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einen Teilerfolg erzielen.

Dem Beschluss liegt folgender Vorgang zugrunde: Am zweiten Verhandlungstag und für die Dauer der Vernehmung der Geschädigten E hatte das Landgericht die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal gemäß § 247 StPO angeordnet. Am folgenden Verhandlungstag wurden neun andere Zeugen in Anwesendheit des Angeklagten vorgenommen. Am vierten Verhandlungstag wurde dann die Vernehmung der Geschädigten unter Entfernung des Angeklagten fortgesetzt und schließlich beendet. Erst in Anschluss daran wurde der Angeklagte vom Vorsitzenden über den Inhalt der Bekundungen der beiden Vernehmungen der Geschädigten unterrichtet.

Gestützt auf diesen Sachverhalt rügt der Angeklagte einen Verfahrensfehler. Der Strafsenat schließt sich den Ausführungen der Revision sowie des Generalbundesanwalts an und führt hierzu ergänzend aus:

„Dieses Verfahren verstößt – wie die Revision zu Recht rügt – gegen die Vorschrift des § 247 Satz 4 StPO. Der Vorsitzende hat den Angeklagten, sobald dieser wiederum anwesend ist, vom wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. Die durch § 247 StPO ermöglichte Verhandlung ohne den Angeklagten und seine dadurch behinderte Verteidigung sind, soweit unvermeidbar, hinzunehmen in Verbindung mit seiner Unterrichtung über das in seiner Abwesenheit Geschehene bevor weitere Verfahrenshandlungen erfolgen. Damit soll er weitgehend so gestellt werden, wie er ohne Zwangsentfernung gestanden hätte (vgl. BGHSt 3, 384, 385; BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 2). Auch wenn die während der Entfernung des Angeklagten durchgeführte Zeugenvernehmung noch nicht abgeschlossen, sondern nur unterbrochen war, muss der Angeklagte von dem in seiner Abwesenheit Ausgesagten unterrichtet werden, bevor in seiner Anwesenheit die Beweisaufnahme fortgesetzt wird. Nur so ist sichergestellt, dass der Informationsstand des Angeklagten im Wesentlichen dem der anderen Prozessbeteiligten entspricht und er seine Verteidigung, etwa durch Fragen an weitere Zeugen, sachgerecht auszuüben vermag (st. Rspr.; vgl. BGHSt 38, 260; Senat NStZ-RR 2005, 259; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 247 Rdn. 15).“

Angesichts dieses Verlaufs hätte der am 3. Verhandlungstat die Beweisaufnahme erst dann fortgesetzt werden dürfen, wenn der Angeklagte nach seiner Entfernung über den wesentlichen Inhalt der Aussage der Geschädigten unterrichtet worden wäre. Dies ist jedoch nach Auswertung des Sitzungsprotokolls nicht erfolgt. Die „Unterrichtung nach § 247 S. 4 StPO gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten, die nach § 273 Abs. 1 StPO im Hauptverhandlungsprotokoll zu beurkunden sind (vgl. BGHSt 1, 346, 350; Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 17).”

Dadurch entstand für den Angeklagten ein Nachteil bzgl. seiner Verteidigung. So heißt es im Wortlaut des Beschlusses:

„Jedoch wurde dem Angeklagten im vorliegenden Fall die Möglichkeit genommen, den nach der Vernehmung der Geschädigten und vor seiner Unterrichtung über deren (Teil-)Aussage vernommenen weiteren Zeugen Fragen zu stellen oder Vorhalte zu machen, wenn Widersprüche zu den Angaben der Geschädigten aufgetreten waren. Dies betrifft die Angaben der Zeugen W. , H. und L. , die das Landgericht für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten herangezogen hat, ebenso wie die der Zeugen Ha. , Sch. , S. und B. , auf die es sich zur Widerlegung der bestreitenden Einlassung des Angeklagten gestützt hat.“

Aus diesem Grund führt dieser aufgezeigte Verfahrensfehler zur Aufhebung des Urteils im Fall II und somit zur Aufhebung des Strafausspruchs über die Gesamtstrafe.

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