Zur besonderen Belastungssituation einer Mutter bei der Tötung des eigenen Säuglings.
Das Landgericht Erfurt verurteilte die Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Sie soll ihren gerade geborenen Sohn unversorgt im Bett liegen gelassen haben. Der Säugling soll daraufhin nach mehreren Stunden verstorben sein, vermutlich aufgrund von Unterkühlung.
Ein Erbe, der einer Rentenversicherung den Sterbefall des Leistungsempfängers nicht anzeigt, begeht keinen Betrug durch Unterlassen.
Die Angeschuldigte soll es unterlassen haben, der Deutschen Rentenversicherung den Tod ihrer Mutter anzuzeigen. Dazu war sie jedoch nach § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I in Verbindung mit § 118 Abs. 4 SGB VI verpflichtet. Innerhalb von 10 Jahren überwies die Rentenversicherung Bund und Rentenversicherung Berlin-Brandenburg so rund 152.000 Euro. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin wegen Betrugs durch Unterlassen wurde vom Landgericht Berlin nicht angenommen. Es fehle an der Garantenstellung der Angeschuldigten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB.
Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde ein. Damit scheitert sie nun aber auch vor dem Kammergericht Berlin. Der § 60 Absatz 1 SGB I verpflichtet nämlich nur denjenigen zur Auskunft, der Sozialleistung beantragt oder erhält. Damit hängt die Auskunftspflicht mit einem auf den Leistungsbezug gerichtetes Verwaltungsverfahren zusammen. Daher sei auch zu fordern, dass der Träger der Rentenversicherung einen Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend machen müsste, bevor die Auskunftspflicht für den Erben besteht:
„Die Auskunftspflicht des Leistungsempfängers knüpft damit an ein auf den Leistungsbezug gerichtetes Verwaltungsverfahren an. Sie beginnt mit Eröffnung des Verwaltungsverfahrens und dauert während aller Phasen des Sozialleistungsverhältnisses bis zum Ablauf des Leistungsbezuges an (Joussen, a.a.O.). Auch in den Fällen, in denen Rentenzahlungen nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, hat der Träger der Rentenversicherung gemäß § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI die Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Im vorliegenden Fall sind aber in dem Zeitraum der verfahrensgegenständlichen Überzahlungen von den Rentenversicherungsträgern noch keine Rückforderungsbescheide gegenüber der Angeschuldigten erlassen oder wenigstens Anfragen an die Angeschuldigte zur Vorbereitung der Rückforderung gerichtet worden.“
Auch sonst sieht das Kammergericht keine Grundlage für eine Garantenpflicht. Vor allem, da es feststellte, dass nach § 119 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI die Deutsche Post AG die Zahlungsvoraussetzung durch Auswertung von Sterbefallmitteilungen zu überwachen habe. Daher ist gar keine Notwendigkeit zu sehen, dass die Erben den Rentenversicherungsträgern den Sterbefall anzeigen müssen. Auch eine Garantenpflicht aus Treu und Glaube im Sinne des § 242 BGB mag das Gericht nicht erkennen.
Da keine Garantenpflicht besteht, scheidet eine Strafbarkeit wegen Betrugs durch Unterlassen aus. Somit hat das Landgericht zu Recht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.
KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2012, Az.: 3 Ws 381/12
Die Unmöglichkeit der Beitragsentrichtung wirkt bei § 266a Abs. 2 StGB regelmäßig nicht tatbestandsausschließend.
Der Angeklagte beschäftigte mehrere Personen in einer „Drückerkolonne“. Das Landgericht Coburg verurteilte ihn wegen Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelten.
Dagegen wehrte sich der Angeklagte mittels Revision und führt an, dass ihm die Beitragsentrichtung unmöglich gewesen wäre. Dies sieht der BGH anders:
Ist die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei, ist es erst recht die fahrlässige Tötung eines Suizidwilligen durch Unterlassen.
Der Geschädigte ließ sich selbst in der Klinik für forensische Psychiatrie einweisen. Im Aufnahmegespräch teilte er der beschuldigten Ärztin mit, dass er sich nicht umbringen wolle, jedoch befürchte, dies zu jedoch zu tun. Daraufhin wurde der Patient stationär aufgenommen, jedoch nicht als suizidgefährdet eingestuft. Aus diesem Grund wurde sowohl auf sedierende Medikamente als auch auf die Wegnahme von Gegenständen verzichtet. Am nächsten Morgen wurde der Patient tot in seinem Zimmer aufgefunden. Er hatte sich mit seinem Gürtel erhängt.
Das Amtsgericht Gießen hat die Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nicht zugelassen. Dagegen richtete sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde. Die Beschwerde hat vor dem Landgericht Gießen jedoch keinen Erfolg.
Das Landgericht stellt fest, dass die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Daher muss erst recht die fahrlässige Tötung durch Unterlassen straffrei sein.
„So kann derjenige, der mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mit verursacht, nicht bestraft werden. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewusster Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewusst, nimmt sie aber anders als jener nicht billigend in Kauf.“
Prägnant stellt das Landgericht am Ende fest:
„Aus der Straflosigkeit von Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung folgt zwingend, dass der Garant, der nichts zur Verhinderung des freiverantwortlichen Suizids unternimmt, ebenfalls straffrei bleiben muss (Leipziger Kommentar/Jähnke, a. a. O., Rn. 24).“
Denn hätte die Ärztin dem Patienten den Gürtel aktiv für die Selbsttötung gereicht, wäre dies eine Beihilfe zu einer straffreien Selbsttötung gewesen. Dies hätte dann auch nicht bestraft werden können.
Daran ändert auch eine mögliche Unfreiwilligkeit der Selbsttötung nichts. So bestehen zwar Zweifel daran, wie frei eine eigenverantwortliche Willensbildung noch möglich war, jedoch zählt auch hier „im Zweifel für den Angeklagten“:
„Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit können jedoch keine Strafbarkeit begründen, sondern wirken, wie stets, zugunsten des Angeklagten (Leipziger Kommentar/Jähnke, a. a. O., Rn. 27, m. w. N., Rn. 31).“
Damit hatte die Beschwerde der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg.
LG Gießen, Beschluss vom 28.06.2012, Az.: 7 Qs 63/12
Am vergangenen Sonntag fanden Polizisten die Leiche einer 26-jährigen Mutter sowie die des 2-jährigen Sohnes in Leipzig. Offenbar starben beide Personen eines natürlichen Todes. Während die drogenabhängige Mutter gestorben war, verdurstete der Sohn qualvoll in der Wohnung. Erst der Verwesungsgeruch ließ die Nachbarn stutzig werden.
Offenbar wäre der Tod des Kindes jedoch vermeidbar gewesen, da die Nachbarn das Kind haben schreien hören. Und auch das Jugendamt bzw. weitere Behörden hätten aufgrund der langjährigen Drogenabhängigkeit der Mutter möglicherweise die Familie strenger kontrollieren können oder müssen. Experten fordern jetzt ein schärferes Kontrollsystem bei jungen Mütter und drogenabhängigen Eltern.
Die Diskussion über den Einsatz solcher Behörden in „schwierigen“ Familienkonstellationen ist neu entbrannt.
( Quelle: n-tv, 23.06.2012 )
Ein Baby muss generell bekanntlich von der Mutter oder den Eltern mit Nahrung versorgt werden. Überforderte Eltern vergessen dies mitunter immer wieder oder „sorgen“ aufgrund von Depressionen oder finanzieller, familiärer Probleme für eine schlechte Erziehung und Ernährung ihres Kindes.
Im Folgenden beschäftigten sich die Gerichte mit der Strafbarkeit einer Mutter, nachdem ihr unterernährtes Baby verstorben ist.
1. Strafsenat des BGH, Az.: 1 StR 111/10
Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen „Betruges in 102 Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt jeweils in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in zehn Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren“ verurteilt worden. Mit der hiergegen gerichteten Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) kann er einen Teilerfolg erziehen.
Wie das Landgericht festgestellt hat, war der Angeklagte alleiniger Geschäftsführer der Firma B. GmbH und beschäftigte mehrere Angestellte mit der Firma. Jedoch wurden den Sozialversicherungsträgern sowie dem zuständigen Finanzamt keine Meldung der Arbeitsverhältnisse gemacht. Es wurden vielmehr mit den Arbeitnehmern Werkverträge zum Schein geschlossen und diese als selbstständige Subunternehmer dargestellt.„Durch die pflichtwidrig unterlassenen Meldungen an die Sozialversicherungsträger wurden nach den Feststellungen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 1.918.546,25 Euro vorenthalten“ heißt es weiter in den Urteilsfeststellungen. Betroffen sind davon nur die Rentenversicherungsbeiträge sowie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Ferner bestand aufgrund der Gehälter der Arbeitnehmer keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse.
Die unterlassene Meldung an die Sozialversicherungsträger für die Beitragszeiträume zwischen Januar 1996 und Juni 2004 wertet das Landgericht als Betrug i.S.v. § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB. Für den anschließenden Zeitraum bis zum April 2005 wertete das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB in insgesamt zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit demselben gemäß § 266a Abs. 2.
Während die Feststellungen bezüglich der zehn letzteren Fälle ist die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsgeld nach Ansicht des Strafsenats keiner Bedenken gegenüberstehen tragen die Feststellungen in den Fällen 1 bis 102 keine Verurteilung wegen Betruges. Denn wie der Senat ausführt, erscheint die Täuschung im Sinne des Betruges nach § 263 StGB im konkreten Fall fraglich. Zwar kann das Unterlassen der Meldepflicht durch das Machen von unwahren oder unvollständigen Angaben eine solche darstellen, allerdings nur wenn dies zumindest konkludent gegenüber einem Mitarbeiter einer entsprechenden Einzugsstelle erfolgt.
So heißt es im Wortlaut des Beschlusses:
„Eine Täuschung kann in solchen Fällen jedoch nur angenommen werden, wenn durch das Unterlassen der Meldung der Arbeitnehmer gegenüber einem Mitarbeiter einer Einzugsstelle zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wird, dass keine oder lediglich die gemeldeten Arbeitnehmer tatsächlich bei dem fraglichen Arbeitgeber beschäftigt sind. Der Generalbundesanwalt hat insoweit zutreffend ausgeführt: „Täuschungen und korrespondierende Irrtümer von Mitarbeitern einer Einzugsstelle durch unrichtige Meldungen über die sozial-versicherungspflichtige Beschäftigung von Arbeitnehmern kommen nur in Betracht, wenn und soweit hinsichtlich der beschäftigten Arbeitnehmer Meldungen an diese Einzugsstelle hätten erfolgen müssen (vgl. § 28f, 28i SGB IV). Darauf beschränkt sich der Erklärungswert der Meldungen und die Mitarbeiter der Einzugsstelle machen sich nur insoweit Gedanken über die Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen. Falls gegenüber den für beschäftigte Arbeitnehmer zuständigen Einzugsstellen keine Erklärungen über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Arbeitnehmern erfolgen, kann bei den Mitarbeitern der zuständigen Einzugsstellen ein Irrtum nur vorliegen, wenn der Arbeitgeber dort erfasst ist (vgl. BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 1; BGHR StGB § 263 Abs 1 Irrtum 5 und 8; BayObLG Beschluss vom 19.03.2002 – 5 St R R 33/02 -; Boxleitner in Wabnitz/Janovsky Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. Kap. 17 Rn. 52; Fischer StGB 57. Aufl. § 263 StGB Rn. 57; LK/Gribbohm 11. Aufl. § 266a StGB Rn. 115 f.; LK/Tiedemann 11. Aufl. § 263 StGB Rn. 78; Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rn. 67).
Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass im Tatzeitraum einzelne Arbeitnehmer angemeldet waren, weitere vierzig Arbeitnehmer dagegen nicht (UA S. 16). Es bleibt danach offen, an welche Einzugsstelle Meldungen erfolgten (UA S. 16: ‚bei den Sozial-versicherungsträgern gemeldeten Arbeitnehmern’).“
So hätte es hier im vorliegenden Fall weiterer Feststellungen durch das Landgericht bedurft bezüglich welcher Krankenkassen der Angeklagte die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Meldungen abgegeben hatte. Weiter ist es entscheidend, ob unter den Krankenkassen, an denen der Angeklagte die Meldung abgegeben hatte, welche von den nicht gemeldeten Arbeitnehmern dabei sind.
„Sollten sich die für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zu-ständigen Krankenkassen nicht unter den Krankenkassen befinden, gegenüber denen der Angeklagte Meldungen abgab und war die B. GmbH als Arbeitgeber auch nicht aus anderen Gründen bei den für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Krankenkassen erfasst, kommt in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe lediglich eine Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt i.S.v. § 266a Abs. 1 StGB in Betracht.“
Der Generalbundesanwalt führte diesbezüglich aus, dem sich der Senat anschließt:
„Hinsichtlich der nicht gemeldeten vierzig Arbeitnehmer beschränken sich die Urteilsgründe darauf, die BKK als zuständige Einzugsstelle zu bezeichnen. Diese rechtliche Bewertung ist nicht durch Tatsachen belegt. Zudem dürfte es angesichts der aus den Urteilsgründen ersichtlichen früheren Beschäftigungsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer ausgeschlossen sein, dass für alle die bezeichnete Krankenkasse zuständig war oder gewesen wäre (vgl. UA S. 16 ff., 73 ff.). Es liegt nahe, dass das Landgericht sich an der Auffangzuständigkeit nach § 28i S. 2 SGB IV i.V.m. §§ 28f Abs. 2 SGB IV, 175 Abs. 3 S. 3 SGB V orientiert hat (vgl. UA S. 15).“
Insgesamt führen die Rechtsfehler in den Fällen 1 bis 201 der Urteilsgründe dazu, dass die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges aufzuheben sei, was zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs führt.
Außerdem fügt der Strafsenat noch unter anderem hinzu, dass in der neuen Entscheidung durch das Landgericht auch näher zu prüfen sei, wann das Unternehmen im Handelsregister gelöscht wurde und somit die Beitragspflichten erlöscht sind. Daran schließt sich auch die Beendigung der Tat an, was einen Einfluss auf die Verurteilung im konkreten Fall haben kann:
„Denn Taten nach § 266a Abs. 1 StGB sind erst beendet, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (BGHSt 53, 24; wistra 1992, 23). Gleiches gilt bei § 266a Abs. 2 StGB und § 263 StGB in den Fällen des Sozialversicherungsbetruges, bei denen es sich um Erfolgsdelikte handelt. Beendigung ist insoweit erst mit dem vollständigen Eintritt des angestrebten Erfolges gegeben. Die Frage, wann für die einzelnen Taten des vorliegenden Verfahrens Tatbeendigung gegeben ist, ist aber entscheidend dafür, ob und ggfs. in welchem Umfang nach § 55 Abs. 1 StGB zu verfahren ist. Der Generalbundesanwalt hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt: „‚Begangen’ i.S.v. § 55 Abs. 1 S. 1 StGB ist eine Tat erst mit deren Beendigung (Fischer StGB 57. Aufl. § 55 StGB Rn. 7; LK/Rissing-van-Saan 12. Aufl. § 55 StGB Rn. 9 jew. m.w.N. auch zu abweichenden Ansichten). Dies gilt auch für echte Unterlassungsdelikte (Senat BGHR StGB § 55 Abs 1 Begehung 1; zu Dauerdelikten Senat Urteil vom 02.12.2003 – 1 StR 102/03; BGH NJW 1999, 1344).“
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner