Das Landgericht Oldenburg hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Gegen die Verurteilung legte der Angeklagte Revision ein.
Laut Anklage sei der Angeklagte im Sommer 2007 mit der Nebenklägerin, seiner Tochter C, sowie deren Halbschwester J in das Haus eines Bekannten gefahren. Dort habe er sich abends zu der Nebenklägerin ins Bett gelegt und sie an der Scheide gestreichelt sowie geleckt. Als er seine Tochter J herankommen hörte, habe er sofort aufgehört. Damit habe er sich gemäß § 176 I StGB („Sexueller Missbrauch von Kindern“) strafbar gemacht.
Nach den Feststellungen des Landgerichts sei die Tat im Sommer 2007 im Haus eines Bekannten begangen worden, allerdings habe sich das Geschehen anders zugetragen. Danach habe sich der Angeklagte abends vor das Bett gestellt und der Nebenklägerin C zunächst die Decke weggezogen und später die Schlafanzughose ausgezogen. Sodann habe er sie an der Scheide geleckt und veranlasste C, seinen Penis in den Mund zu nehmen, so lange, bis er J die Treppe heraufkommen hörte.
Dies entspricht auch der Aussage der Nebenklägerin. Danach habe er sich gemäß § 176a II Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
Der Angeklagte rügte mit der Revision, dass es keine erneute Anklage gab, obwohl sich die Feststellungen des Landgerichts nicht mit denen der Anklage decken. Insbesondere wurde nur ein Vergehen angeklagt. Außerdem sei der Angeklagte nicht auf die straferhöhenden Umstände hingewiesen worden.
Dazu der BGH:
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers konnte das Landgericht den Sachverhalt ohne eine Nachtragsanklage aburteilen. Es handelt sich wegen der Individualisierung durch Tatort, Tatzeit und die das Geschehen begleitenden Umstände um die nämliche Tat, die auch Gegenstand der Anklage war.
Zutreffend rügt die Revision hingegen, dass das Landgericht den Angeklagten nicht ausreichend auf straferhöhende Umstände (§ 265 Abs. 2 StPO) hingewiesen hat. Die Strafkammer hat insoweit folgenden Hinweis erteilt: „Es ergeht noch der Hinweis, dass im Fall Ziffer 2. der Anklage auch der schwere sexuelle Missbrauch gem. § 176a Abs. II Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Der Oralverkehr der Nebenklägerin beim Autofahren, Ziffer 4 + 5 der Anklage, evtl. Vorfälle des Oralverkehrs sind nicht Gegenstand der Anklage.
Die hiergegen vom Beschwerdeführer erhobene – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässige – verfahrensrechtliche Beanstandung hat Erfolg. Der erteilte Hinweis ermöglichte es dem Angeklagten nicht, seine Verteidigung hinreichend auf den verschärften Tatvorwurf einzustellen; denn er stellte nicht dar, aufgrund welcher Tatsachen das Landgericht den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB als möglicherweise verwirklicht ansah (siehe dazu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 265 Rn. 31 mwN).
Aus diesen Gründen hat der BGH das Urteil des Landgerichts bezüglich der Urteilsgründe und der Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Zwar sei eine Nachtragsanklage im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen, allerdings reiche der vom Landgericht erteilte Hinweis auf die straferhöhenden Umstände nicht aus, da dem Angeklagten so eine umfassende Verteidigung eventuell unmöglich wurde. Das Landgericht hatte nämlich zunächst eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern abgelehnt, da Oralverkehr nicht angeklagt sei. Aus diesem Grund mussten der Angeklagte und sein Strafverteidiger nicht damit rechnen, dass das Gericht im Gegensatz hierzu den Oralverkehr zur Grundlage einer Verurteilung nach § 176a II Nr. 1 StGB machen werde. Dieser Widerspruch erschwerte nach Ansicht des BGH die Verteidigungsmöglichkeit bzw. machte diese unmöglich.
BGH, Beschluss vom 04.08.2011, Az.: 3 StR 99/11