Die Heimtücke als Mordmerkmal bei einem schutzbereiten Dritten

Für die Heimtücke reicht bereits die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten aus.

Das Landgericht Limburg an der Lahn stellte fest, dass die Angeklagte ihr zwei Wochen altes Kind im Jahre 2006 aufgrund einer Überforderung getötet hatte. Bei der Obduktion wurden jedoch keine Hinweise auf einen unnatürlichen Tod gefunden. Auch beim zweiten Kind, das mit eineinhalb Monaten ebenso 2006 von der Angeklagten getötet wurde, wurde plötzlicher Kindstod angenommen. Trotz Überwachung durch einen Herzschlagmonitor und besonderer Wachsamkeit des Ehemannes tötete die Angeklagte unter ähnlichen Umständen auch ihr drittes Kind im Jahr 2009. Diese Feststellung führte zu einer Verurteilung wegen Totschlags in drei Fällen.

Einen Mord hat das Landgericht dagegen nicht angenommen, da die Angeklagte nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Denn als die Angeklagte die Bewachung ihres Kindes übernahm und der Ehemann sich schlafen legte, hatte die Angeklagte noch keinen Tatentschluss gehabt. Sie lockte den Ehemann, als schutzbereiten Dritten, also nicht gezielt weg.

In der Revisionsinstanz sieht der Bundesgerichtshof (BGH) dies anders.

Zwar hat das Landgericht richtig erkannt, dass nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Kleinkindes abgestellt werden durfte, da so kleine Kinder nach ständiger Rechtsprechung noch nicht zu Argwohn oder Gegenwehr fähig sind. Jedoch verkannte es die Arg- und Wehrlosigkeit im Hinblick auf den schutzbereiten Dritten.

Der Ehemann der Angeklagten war der Vater des Kindes. Die bisherigen Feststellungen lassen auf seine Schutzbereitschaft schließen. Er lebte mit dem Kind in einem Haushalt und wachte regelmäßig über dessen Schlaf. Offen geführte Angriffe auf dessen Leben hätte er bemerkt und wäre diesen entgegengetreten. Aufgrund der räumlichen Nähe im Nebenzimmer und der Konzentration auf das Kind wäre er zum wirksamen Schutz des Kindes auch in der Lage gewesen. Tatsächlich konnte er aber den tödlichen Angriff auf das Leben seines Kindes nicht abwehren, da er sich im Vertrauen auf die Angeklagte schlafen gelegt hatte, ohne mit einem Angriff auf das Leben des Kindes zu rechnen.

Auch ist es unschädlich, dass die Angeklagte den Ehemann nicht weglockte oder sonst durch List die Schutzfunktion des Ehemannes umging:

Für das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten ist es – wie bei der Heimtücke gegenüber dem Tatopfer selbst, bei der es nicht darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführte oder bestärkte (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2006 – 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 339) – vielmehr ausreichend, dass der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit des Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, und zwar unabhängig davon, worauf diese beruht.

Aus diesem Grund hebt der BGH das Urteil auf. Eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts muss nun erneut über die mögliche Heimtücke entscheiden.

BGH, Beschluss vom 21. November 2012, Az.: 2 StR 309/12

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