Dem Beschwerdeführer wurde unter anderem vorgeworfen, sich des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in elf Fällen, davon in drei Fällen zum Nachteil des dann 16-jährigen und in drei Fällen zum Nachteil des sodann 14-jährigen Mohamed H., schuldig gemacht zu haben.
Die damals 16- und 14-jährigen Geschädigten wollten sich als Nebenkläger im Nebenklageverfahren gemäß § 396 StPO dem Verfahren anschließen. Allerdings wussten ihre Eltern davon nichts und dürften auch laut Aussagen der Jungen aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes nicht davon erfahren. Ansonsten hätten sie familiäre Probleme und Repressalien zu befürchten.
Das Landgericht hat die Nebenklage durch Kammerbeschluss bestätigt. Den Verletzten wurde ein Beistand bestellt.
Dagegen legte der Angeklagte Beschwerde ein. Zur Begründung führte er an, dass die minderjährigen Verletzten nicht prozessfähig seien und daher der Nebenklageanschluss nicht wirksam erklärt werden konnte. Das Landgericht half der Beschwerde nicht ab.
Der Fall kam zum Kammergericht Berlin.
Bei der Klärung der Frage hat das Gericht verschiedene Ansatzpunkte beleuchtet. Zunächst wurden andere Regelungen zur „Altersgrenze“ gesucht und die Grenzen der Strafmündigkeit, der Geschäftsfähigkeit, der Einsichtsfähigkeit, der allgemeinen Reife und der allgemeinen Volljährigkeit herangezogen.
Dabei kam das Gericht zu folgendem Ergebnis:
Vorliegend hatten beide Verletzte zum Zeitpunkt der Anschlusserklärung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet und waren damit nicht prozessfähig. Ihre ohne Zustimmung ihrer Personensorgeberechtigten abgegebenen Anschlusserklärungen waren nicht wirksam.
Der Senat hält im Ergebnis daran fest, dass die Anschlusserklärung des Nebenklageberechtigten als Prozesserklärung nur wirksam ist, wenn dieser entweder prozessfähig ist oder der Personensorgeberechtigte ihn bei der Anschlusserklärung vertritt bzw. seine Erklärung genehmigt (vgl. BGHR StPO § 401 Abs. 1 Satz 1 Zulässigkeit 3; RGSt 37, 63; OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. März 1999 – 4 Ws 57/99, 4 Ws 58/99 – [bei juris]; BayObLG JR 1957, 149; BayObLG NJW 1956, 681; OLG Hamm VRS 13, 213; KG, Beschluss vom 13. Mai 2009 – 1 Ws 37/09 – [bei juris]; Senat, Beschluss vom 23. März 2009 – 4 Ws 26/09 -; LG Kassel NJW 1960, 62; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., vor § 395 Rdn. 7; Hilger in LR, StPO 26. Aufl., § 395 Rdn. 28; Senge in KK, StPO 6. Aufl., vor § 395 Rdn. 2; Velten in SK, StPO 28. Aufbaulieferung, § 395 Rdn. 6).
Das Gericht stellte bei der Begründung insbesondere auf den ansonsten entstehenden Wertungswiderspruch zum materiellen Recht ab.
Bezüglich des älteren Geschädigten führte das Kammergericht aus:
Dieser Verletzte hat am 29. Dezember 2009 das 18. Lebensjahr vollendet. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der von einem nicht Antragsberechtigten gestellte und daher unwirksame Strafantrag wirksam werden kann, wenn der Antragsberechtigte innerhalb der Antragsfrist diesen Antrag billigt, mag auch die Billigungserklärung für sich genommen nicht den Formerfordernissen des § 158 Abs. 2 StPO genügen (vgl. BGH NJW 1994, 1165 m.w.N.).
Die Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass der Verletzte Ö. nach Eintritt seiner Volljährigkeit seine zuvor abgegebene Anschlusserklärung billigen und damit wirksam machen konnte, ohne an die Schriftform des § 396 Abs. 1 Satz 1 StPO gebunden zu sein. Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass in der Stellungnahme der Nebenklägervertreterin vom 30. Dezember 2009, die (auch) für Oktay Ö. abgegeben worden ist, eine solche Billigung der zunächst unwirksamen Anschlusserklärung des Verletzten zu sehen ist.
Der Beschluss des Landgerichts wurde daher nur insoweit aufgehoben, als dass der 14-jährige Verletzte sich wirksam der Klage angeschlossen hat. Der Beschluss, ihm einen Beistand zu bestellen wurde gegenstandslos.
KG Berlin, Beschluss vom 22.03.2010, Az.: 4 Ws 6/10, 4 Ws 6/10 – 1 AR 48