OLG Rostock: Adhäsionsverfahren ist von der Beiordnung im Strafrecht umfasst

Die Beschwerdeführerin wurde dem inhaftierten Beschuldigten im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Auf Antrag des Nebenklagevertreters, kam es zum Adhäsionsverfahren. Die Beschwerdeführerin beantragte gemäß § 404 Abs. 5 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für den Angeklagten unter ihrer Beiordnung. Bevor hierüber entschieden worden war, nahm die Verteidigerin (nur) den auf die Gewährung von PKH gerichteten Antrag zurück, hielt jedoch ihren Beiordnungsantrag für das Adhäsionsverfahren aufrecht. Diesen wies die Kammer mit Beschluss vom 08.02.2011 mit der Begründung zurück, nachdem der PKH-Antrag zurückgenommen worden sei, sei für eine Beiordnung im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren kein Raum mehr. Die Beiordnung für das Adhäsionsverfahren sei notwendigerweise an die Bewilligung von PKH geknüpft.

Es kam zum Abschluss eines protokollierten Vergleichs. Zudem wurde der Angeklagte wegen versuchter sexuelle Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung vom Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Die Beschwerdeführerin beantragte für ihre Tätigkeit im Adhäsionsverfahren nach einem Gegenstandswert von 2.000,00 € die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4143 VV RVG (266,00 €), sowie die Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV RVG (133,00 €) zzgl. der darauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 75,81 €. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lehnte dies ab. Es sei keine Beiordnung der Rechtsanwältin für das Adhäsionsverfahren erfolgt; ihre diesbezügliche Tätigkeit sei auch nicht von der Beiordnung als Pflichtverteidigerin umfasst gewesen.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Verteidigerin vom 23.03.2011, der von der Rechtspflegerin unter dem 20.04.2011 nicht abgeholfen wurde, wies die Strafkammer in Einzelrichterbesetzung mit Beschluss vom 02.05.2011 als unbegründet zurück. Gegen diese ihr am 09.05.2011 förmlich zugestellte Entscheidung wendet sich die Rechtsanwältin mit ihrer am 11.05.2011 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde.

Dazu das OLG:

„Zwar ist die Beschwerdeführerin dem ehemals Angeklagten nicht gem. § 404 Abs. 5 StPO unter Gewährung von PKH für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden. Ihre diesbezügliche Tätigkeit war jedoch entgegen der vom Landgericht und von der Vertreterin der Staatskasse vertretenen Auffassung von ihrer Beiordnung als Pflichtverteidigerin mitumfasst.

Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, ob die Verteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO ohne weiteres das Adhäsionsverfahren umfasst (bejahend OLG Dresden, Beschluss vom 13. Juni 2007, 1 Ws 155/06 [zitiert nach juris]; OLG Hamm in Rpfleger 2001, 513; OLG Köln in StraFo 2005, 394; OLG Schleswig in NStZ 1998, 101; Laufhütte in KK-StPO, 6. Aufl., § 140 Rdn. 4; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 140 Rdn. 5; Wohlers in SK-StPO, § 141 Rdn. 20; Julius in HK-StPO, 4. Aufl., § 141 Rdn. 15; Lüderssen/Jahn in LR-StPO, 26. Aufl., § 141 Rdz. 28; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Nr. 4143 VV Rdn. 12; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 4143, 4144 Rdn. 5; vgl. auch HansOLG Hamburg, 1. Strafsenat, in NStZ-RR 2006, 347, 349 für den Fall, dass ein Antrag nach § 404 Abs. 5 StPO auf gesonderte Beiordnung nicht gestellt wird oder wegen Fehlens der besonderen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gestellt werden kann; demgegenüber verneinend OLG Bamberg in NStZ-RR 2009, 114 -Leitsatz-; OLG Brandenburg in OLGSt StPO § 140 Nr. 24; OLG Celle in NStZ-RR 2008, 190; HansOLG Hamburg, 3. Strafsenat in NStZ 2010, 652; HansOLG Hamburg, 2. Strafsenat in OLGSt StPO § 141 Nr. 8; OLG München in StV 2004, 38; OLG Jena in Rpfleger 2008, 529; OLG Oldenburg, Beschluss vom 22. April 2010, 1 Ws 178/10 [zitiert nach juris]; OLG Saarbrücken in StV 2000, 433; OLG Stuttgart in NStZ-RR 2009, 264 -Leitsatz-; OLG Zweibrücken in JurBüro 2006, 643; KG RVGreport 2011, 142 unter Aufgabe der früheren abweichenden Rspr.; Hartmann, a.a.O., 4143, 4144 VV Rdn. 1, 7; Schmidt/Baldus, Gebühren und Kostenerstattung in Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Rdn. 258). Der Bundesgerichtshof hat die Frage der Erstreckung der Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren ausdrücklich offen gelassen, dabei jedoch zum Ausdruck gebracht, dass die z.T. auf einem Vergleich mit § 397a StPO beruhende verneinende Auffassung jedenfalls mit dieser Begründung nicht greift (NJW 2001, 2486, 2487).“

„Die Gegenmeinung übersieht nach Ansicht des Senats, dass in § 404 Abs. 5 StPO nur geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen einem Angeklagten für seine „Verteidigung“ gegen einen Adhäsionsantrag PKH zu gewähren ist und dass dies bejahendenfalls regelmäßig unter Beiordnung eines ggfls. schon vorhandenen Verteidigers erfolgen soll (so auch Deutscher, jurisPR-StrafR 15/2010 Anm. 1). Damit wird jedoch allein die in § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO in Bezug genommenen Regelung des § 121 Abs. 2 ZPO dergestalt modifiziert, dass im Falle der Gewährung von PKH für einen bereits verteidigten Angeklagten die zusätzliche Beiordnung eines gesonderten Rechtsanwalts (nur) für das Adhäsionsverfahren nach Möglichkeit vermieden werden soll. Indes ist damit nichts darüber gesagt, wie es sich mit der Erstreckung der Pflichtverteidigerbeiordnung auf das Adhäsionsverfahren in solchen Fällen verhält, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH nicht vorliegen, weil der Angeklagte über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. So war es aber offenbar hier, denn die Verteidigerin hat den diesbezüglichen PKH-Antrag zurückgenommen.“

Danach umfasst die Bestellung zur Pflichtverteidigung auch das Adhäsionsverfahren. Eine erneute Beiordnung ist dafür nicht erforderlich. Der Beschwerdeführerin steht folglich neben den Pflichtverteidigergebühren für ihre Tätigkeit im Adhäsionsverfahren, wie von ihr beantragt, die Verfahrensgebühr zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer zu.

OLG Rostock, Beschluss vom 15.06.2011, Az.: I Ws 166/11

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