Untreue bei Verletzung nicht vermögensschützender Normen

1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Az.: 1 StR 220/09

Das Landgericht hat den Angeklagten S. der Beihilfe zur Untreue mit Betrug in vier hierzu tateinheitlichen Fällen, schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen legte der Angeklagte S. Revision ein.
Den nicht revidierenden Mitangeklagten Fe. hat das Landgericht wegen Untreue, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt.

Das LG hat die Zahlungen der Siemens AG an den Angeklagten S. zur Verwendung für die Tätigkeit der AUB seitens des Mitangeklagten Fe. als Untreue und als Beihilfe hierzu durch den Angeklagten S. angesehen. Durch die Zahlungen habe der Mitangeklagte Fe. gegen die Vorschrift des § 119 BetrVG verstoßen und dadurch die ihm gegenüber der Siemens AG obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt. Der Siemens AG sei hierdurch ein Vermögensnachteil in Höhe der gezahlten 30,3 Millionen Euro entstanden, weil den Zahlungen kein unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil der Siemens AG gegenüber gestanden habe.

Der 1. Strafsenat beschränkt die Strafverfolgung auf den Straftatbestand des Betrugs. Für den Vorwurf der Untreu reichten die Feststellungen des Landgerichts nicht aus.

Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

„Selbst wenn noch weitere Feststellungen sollten getroffen werden können, erscheint es fraglich, ob diese einen Schuldspruch wegen Beihilfe zur Untreue rechfertigen könnten. Die Verfahrensbeschränkung ist daher aus ökonomischen Gründen angebracht.

Der Senat hat nämlich Bedenken, ob der Mitangeklagte Fe. dem Vermögen der Siemens AG einen Vermögensnachteil zugefügt hat, indem er die verfahrensgegenständlichen Zahlungen in der konkreten An und Weise veranlasste. Entsprechendes gilt für die Verurteilung des Angeklagten S. wegen Beihilfe zur Untreue.
Es erscheint fraglich, ob der Mitangeklagte Fe. dadurch pflichtwidrig i.S.v. § 266 SIGB gehandelt hat, dass er unter Verstoß gegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die AUB finanziell förderte. [..]

Im Hinblick auf die tatbestandliche Weite des § 266 Abs. 1 StGB kann daher nicht in jedem Verstoß gegen die Rechtsordnung auch eine i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich relevante Pflichtverletzung erblickt werden.
Bei einer Aktiengesellschaft bestimmen sich Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflichten der Organe grundsätzlich nach Maßgabe der §§ 76, 93, 1l6 AktG (vgl. BGH, Urteil. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04; BGHST 50, 331, 335 f. für den Aufsichtsrat [= StV 2006, 301]; BGH, Urteil v. 17.09.2009 -5 StR 521/08, BGHSt 54, 148 Rn. 36 für den Vorstand [= StV 2010,77]).
[..]
Die den Organen einer Aktiengesellschaft angehörenden Personen haben deshalb – auch gegenüber der Aktiengesellschaft selbst – die rechtlichen Pflichten und Vorgaben der Rechtsordnung einzuhalten (vgl. BGH, Urteil v. 15.11.1993 – II ZR 23/92, BGHZ 124, 111, 127; Spindler in Münch- Komm-AktG., 3. Aufl., S. 93 Rn. 63 ff). Die somit für die Organe einer Aktiengesellschaft bestehende Legalitätspflicht bedingt dass kein aktienrechtlich geschützter Handlungsspielraum für profitable Pflichtverletzungen besteht (vgl. Fleischer, ZIP 2005, 141, 145).
Liegt der Verstoß gegen die §§ 93, 116 AktG allein darin, dass eine nicht vermögensschützende Norm außerhalb des Aktiengesetzes verletzt wird, führt dies nicht dazu, dass die Verletzung einer vermögensschützenden Norm im Sinne einer Pflichtverletzung gem. § 266 Abs. 1 StGB vorläge, nur weil die primär verletzte Pflicht durch die §§ 93, 116 AktG zu einer aktienrechtlichen Pflicht der Organe der Aktiengesellschaft wird. Denn auch die §§ 93, 116 AktG sind Vorschriften von erheblicher Unbestimmtheit und generalklauselartigem Charakter (BVerfG, Beschluss v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 97). [..]

Eine allein auf die Verletzung dieser Vorschriften abstellende Auslegung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals des § 266 Abs. 1 StGB wäre daher nicht geeignet, die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung der Anwendung des Untreuetatbestands auf evidente Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken und damit den Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren. [..]“

Der 1. Strafsenat beschränkte die Strafverfolgung hinsichtlich des Angeklagten S. auf den Straftatbestand des Betrugs und fasste den Schuldspruch neu. Hinsichtlich des Untreuevorwurfs wurde das Urteil aufgehoben.


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