Unzulässige Ablehnung eines Beweisantrags

4. Strafsenat des BGH, Az.: 4 StR 359/10

Das LG Bielefeld hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen besonders schwerer Vergewaltigung  ( Sexualdelikte ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Dagegen legte der Angeklagte Revision ein.

Die LG Bielefeld traf die Feststellungen, dass der Angeklagte den Nebenkläger vergewaltigt habe und dieser nach der Tat von einer Zeugin nach Hause gefahren worden sei. Der Nebenkläger habe sich sodann mit seinem Lebengefährten getroffen und ihm zunächst nichts von der Tat erzählt.
Der Verteidiger des Angeklagten beantragte in der Hauptverhandlung, die Ehefrau des Angeklagten zu vernehmen, da sich dieser nicht äußern wollte. Die Ehefrau sollte dazu vernommen werden, dass der Nebenkläger und sein Lebensgefährte am Tatabend in die Wohnung des Angeklagten gekommen sei und man stundenlang zusammengesessen habe. Dieser Antrag wurde vom LG Bielefeld abgelehnt, da sie Vernehmung der Ehefrau gegebenenfalls die nochmalige Vernehmung anderer Zeugen erfordern würde. Die Beweisaufnahme habe keine Zusammenkunft am Tatabend ergeben. Die Beweisbehauptung sei erst jetzt in die Hautverhandlung eingeführt worden, da die Vernehmung der Ehefrau eine auf Entlastung des Angeklagten ausgerichtete konstruierte Behauptung darstelle. Denn für den Fall, dass die Behauptung wahr wäre, sei es nicht nachvollziehbar, dass diese Tatsache in der mehrtägigen Beweisaufnahme nicht schon früher eingeführt worden sei.
Der 4. Strafsenat erachtet die Revision des Angeklagten für begründet, da das LG Bielefeld den Beweisantrag zu unrecht wegen Prozessverschlappung abgelehnt habe.

Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

„Die Strafprozessordnung gestaltet das Strafverfahren als einen vom Prinzip der materiellen Wahrheitserforschung beherrschten Amtsprozess aus, in dem das Gericht von Amts wegen zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet ist. Dem Gebot der Sachaufklärung kommt dabei auch gegenüber dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung und der Verhinderung bzw. Abwehr eines missbräuchlichen Verhaltens, wie der Stellung eines Beweisantrags zum Zwecke der Prozessverschleppung, grundsätzlich der Vorrang zu. Gebietet daher die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit, einem Beweisantrag in der Sache nachzugehen, darf er nicht wegen Prozessverschleppung abgelehnt werden (BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08, NJW 2010, 592, 593 [Rn. 18], 594 [Rn. 26]; BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 162/09, NStZ 2010, 161 f.).
Die Frage, ob eine Beweiserhebung der Sachaufklärung dient, muss der Tatrichter in dem Beschluss, mit dem er den Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht ablehnt, beantworten.“

Der Senat hob das Urteil des LG Bielefeld mit den getroffenen Feststellungen zum Vorwurf der schweren Vergewaltigung und der Gesamtstrafe auf  und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Bielefeld zurück.


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