Die Angeklagte stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung. Dies lehnte das Landgerichts Potsdam ab. Die Angeklagte legte sofortige Beschwerde ein. Mit der Revision wendet sie sich gegen die Verwerfung der Berufung.
Die gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist formgerecht eingelegt worden und innerhalb der vorgeschriebenen Frist eingegangen. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft berechnet sich die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO vom Zeitpunkt der Zustellung des Verwerfungsurteils und nicht vom Zeitpunkt der Kenntnis der Terminversäumung.
Das OLG zur Beschwerde:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung ist unbegründet, da die Gründe, die die Angeklagte vorbringt, dem Berufungsgericht bereits bekannt waren, als es die Berufung verwarf (BVerfG, Beschluss vom 29. März 2007 – 2 BVR 2366/06; KG Berlin, NStZ-RR 2006, 183). Die Angeklagte kann daher ihr Wiedereinsetzungsgesuch nicht erfolgreich auf den Vortrag stützen, sie habe die Hauptverhandlung aufgrund der Annahme, dass sie in stattfände, versäumt. Dies war dem Berufungsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und ist in dem Verwerfungsurteil als „nicht zur Entschuldigung geeignet“ angesehen worden. Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus vorträgt, ihre Ladung sei nicht ihr persönlich zugestellt worden, ergibt sich aus der Zustellungsurkunde zum Termin vom 28. Oktober 2010, dass ihr die Ladung am 8. Oktober 2010 persönlich übergeben worden ist. Ihre eigene Erklärung und eidesstattliche Versicherung, die kein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung war, ist bereits dadurch widerlegt.
Grund für das Nichterscheinen vor dem Berufungsgericht war zudem in dem Irrtum über den Terminsort zu sehen und beruhte nicht auf einer fehlenden oder verspäteten Zustellung der Ladung.
Das OLG zur Revision:
Die Revision ist erfolgreich, weil die Auslegung der Vorschrift es gebietet, dass das Gericht auch in einem Fall, in dem – wie hier – der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung nicht pünktlich zur Hauptverhandlung erscheint, die Grundsätze eines fairen Verfahrens und insbesondere die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht beachtet (BayObLG bei Bär, DAR 1987, 315). Aus dieser ergibt sich nicht nur die Pflicht, mit einer gewissen Verzögerung des Angeklagten zu rechnen und eine Wartezeit von 15 Minuten bis zu einer Verwerfungsentscheidung einzuhalten, sondern zusätzlich, wenn der Angeklagte innerhalb dieser Wartezeit mitteilt, dass er sich verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde, einen weiteren Zeitraum zuzuwarten (BayObLG a. a. O.; VRS 76, 137, 138; VRS 60, 304; OLG Stuttgart MDR 1985, 871; OLG Hamm VRS 54, 450, 451). Dies gilt unabhängig davon, ob den Angeklagten an dem verspäteten Eintreffen eine Schuld trifft oder nicht, soweit ihm nicht grobe Nachlässigkeit oder gar Mutwilligkeit zu Last fällt [KG, Beschluss vom 05.05.1997 – (4) 1 Ss 94/97 (41/97) – m.w.N.]. Für ein mutwilliges Säumnis ist vorliegend nichts ersichtlich. Aber auch grobe Nachlässigkeit lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
Nach Ansicht des OLG war es offensichtlich, dass die Angeklagte zur Hauptverhandlung erscheinen wollte. Dies teile sie dem Gericht auch in der Wartezeit telefonisch mit. Es war daher für das Gericht zumutbar abzuwarten, bis die Angeklagte erschien. Dies fällt unter die Fürsorgepflicht des Gerichts, welche sich aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens ergibt.
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 07.03.2011, Az.: (1) 53 Ss 19/11 (5/11), 1 Ws 19/11