Straßenverkehr

  • 2. Strafsenat des OLG Nürnberg, Az.: 2 St OLG Ss 147/10

    Das AG Schwandorf hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt und hat ein Fahrverbot von einem Monat ausgesprochen. Die Angeklagte legte dagegen, beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein. Das LG Amberg hat die Berufung als unbegründet verworfen. Dagegen wandte sich die Angeklagte mit dem Rechtmittel der Revision.

    Der 2. Strafsenat erachtet die Revision der Angeklagten als begründet, da die vom AG Schwandorf getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage für eine Strafzumessung bildeten und das LG Amberg darüber hinausgehende Feststellungen getroffen hat, die ihm verwehrt gewesen sind.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Die Feststellungen des AG tragen zwar den Schuldspruch des unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Sie ermöglichen aber keine Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbots. Nach § 44 StGB kann ein solches verhängt werden, wenn jemand „im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ eine Straftat begeht. Derartige Feststellungen wurden nicht getroffen.
    Das LG hat vorliegend über die vom AG zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen hinaus zusätzliche Feststellungen getroffen. Zudem ist es bei seiner Entscheidung zum Fahrverbot ersichtlich von seinen ergänzenden Feststellungen ausgegangen. Folglich hat das LG Feststellungen über die Rechtsfolgen in unzulässiger Weise in seiner Entscheidung zugrunde gelegt, aus denen sich im Vergleich zu den rechtskräftig gewordenen Feststellungen des AG erst die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbots ergeben. Die zusätzlichen Feststellungen des LG wirken sich damit „strafschärfend“ aus. Solche Feststellungen zu treffen, war dem LG verwehrt.“

    Der Strafsenat hob das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Amberg zurück. Die Revision der Verteidigung hatte damit Erfolg.


  • 2. Strafsenat des OLG Naumburg, Az.: 2 Ss 85/10

    Der Angeklagten wurde vom AG Halle vom Vorwurf der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Daraufhin hob das LG Halle das Urteil auf und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen á 8 €. Zudem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen. Der Angeklagte rügte dies mit dem Rechtsmittel der Revision.

    Der 2. Strafsenat ist der Ansicht, dass die bisherigen Feststellungen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nicht tragen würden, da nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte schuldunfähig gewesen sei.

    Aus dem Wortlaut des Beschlusses:

    „Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung war der Angeklagte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert. Die ihm um 09.10 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,83 ‰ auf. Es errechnet sich zur Tatzeit eine mögliche Blutalkoholkonzentration von 3,23 ‰. Bei Blutalkoholkonzentrationen von 3 g ‰ und mehr sind die Voraussetzungen des § 20 StGB stets zu prüfen und in der Regel auch gegeben (BGH StV 1991, 297).

    Ob die Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen ist, muss der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen. Dabei muss er neben der errechneten Blutalkoholkonzentration alle wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände berücksichtigen. Dies Umstände beziehen sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat (BGH NStZ 1995, 539).

    Das heißt für die Schuldfähigkeit konkret:

    „Wird eine Schuldfähigkeit bei hohen BAK-Werten bejaht, bedarf dies näherer Begründung und setzt meist die Anhörung eines Sachverständigen voraus. Der Verzicht auf einen Sachverständigen ist nur dann möglich, wenn es an den tatsächlichen Grundlagen für das zu erstattende Gutachten fehlt oder das Gericht ausnahmsweise, etwa in einfacheren Fällen der Feststellung und Bewertung der Blutalkoholkonzentration oder sonst bei Vorliegen von besonderem richterlichen Erfahrungswissen auf bestimmten Teilbereichen über die erforderliche besondere Sachkunde verfügt, was dann in der Regel näher darzulegen ist (OLG Koblenz VRS 104, 300; OLG Rostock Beschluss vom 22.03.2001 1 Ss 244/00).“

    Auf die Revision des Angeklagten wurde das Urteil des LG Halle mit den Feststellungen, soweit diese nicht das äußere Tatgeschehen betreffen, aufgehoben.


  • 4. Strafsenat des BGH, Az.: 4 StR 556/09

    Der Angeklagte ist wegen „vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, Nötigung und Bedrohung, im anderen Fall  in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt“ worden. Deren Vollstreckung hat das Gericht zur Bewährung ausgesetzt. Mit der hiergegen eingewandten Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) kann der Angeklagte einen Teilerfolg erzielen.

    Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

    Bezüglich des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr stellte das Landgericht fest, dass der Angeklagte emotional bewegt durch die Trennung seiner Ehefrau, die Angeklagte mit seinem Pkw verfolgte zum Haus ihrer Eltern. Als er sie dort erblickte, beschleunigte er das Fahrzeug binnen zwei Sekunden auf „einer Strecke von 20 m auf 45 bis 48 km/h“, um ihr so den Weg abzuschneiden und sie schlussendlich zur Rede zu stellen. Nach der kurzen Beschleunigung leitete der Angeklagte jedoch eine Vollbremsung ein „um – was zu seinen Gunsten unterstellt werden muss – seine Ehefrau nicht weiter zu gefährden“. Auch wollte er, wie es in der Urteilsbegründung heißt,  sie durch dieses Fahrmanöver nicht verletzen und vertraute darauf, dass sie rechtzeitig die Gefahr erkennen und auf das Grundstück fliehen würde. Sodann kam das Auto wenige Zentimeter vor dem Zaun des Grundstücks zum stehen.

    Der vom Landgericht angenommene gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 v StGB setzt der subjektiven Tatbestand nach neuerer Rechtsprechung des Senats auch einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz voraus.

    Hierzu führt der Senat in dem Beschluss aus:

    „Davon abgesehen, scheitert eine Verurteilung des Angeklagten nach § 315 b StGB unter den hier gegebenen Umständen bereits am subjektiven Tatbestand. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nur mit Gefährdungsvorsatz gehandelt, der hier nicht genügt. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGHSt 48, 233) setzt die Strafbarkeit bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, wie ihn das Landgericht hier festgestellt hat, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht; erst dann liege eine – über den Tatbestand des § 315 c hinausgehende und davon abzugrenzende – verkehrsatypische „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor (ebenso Senat, Beschlüsse vom 16. Oktober 2003 – 4 StR 275/03 -, DAR 2004, 230, und vom 1. September 2005 – 4 StR 292/05 -, DAR 2006, 30).  [..] Soweit in BGHSt 48, 233, 238 ausgeführt wird, das Nötigungselement allein mache ein Verkehrsverhalten noch nicht zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, wenn das eigene Fortkommen primäres Ziel einer gewollten Behinderung sei, ist diese Formulierung nicht im Sinne einer Einschränkung des oben ausgeführten Grundsatzes zu verstehen. Der Senat stellt vielmehr klar, dass ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten bei sog. Inneneingriffen im fließenden Verkehr grundsätzlich nur dann von § 315 b Abs. 1 StGB, erfasst wird, wenn der Fahrzeugführer nicht nur mit Gefährdungsvorsatz, sondern mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt. Eine Differenzierung der Fälle danach, ob der Täter seine Fahrt nach dem gefährlichen Eingriff fortsetzen will oder nicht, würde nicht nur zu Abgrenzungsschwierigkeiten, sondern auch zu schwer nachvollziehbaren unterschiedlichen Ergebnissen bei gleichem Unrechtsgehalt der Tat führen.“

    Dieses liegt nach Auffassung des Senats in diesem Fall nicht vor. Vielmehr kam es dem Angeklagten gerade nicht darauf an, mit dem Fahrzeug als Waffe jemanden zu schädigen, sondern vertraute dieser darauf, dass nichts passieren würde.

    Aus diesem Grund ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend ab und hebt die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr auf. Da das Landgericht in der Strafzumessung einen milderen Strafrahmen des §223 Abs. 1 StGB angenommen hat, bleibt letztlich der Strafausspruch davon unberührt bestehen.

  • Das Kammergericht Berlin hat eine Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten über einen Bußgeldbescheid aufgehoben. Das Amtsgericht hatte einen Autofahrer wegen zu schnellen Fahrens zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt. Dies entspricht dem Doppelten eines üblichen Bußgeldes. Das Amtsgericht erklärte dazu, dass die Aufklärung des Sachverhalts nicht durch die Aussageverweigerung des Fahrers gescheitert sei. Insofern vermutete das Kammergericht, das der Grund für das erhöhte Bußgeld in der Aussageverweigerung des Fahrers zu sehen sei. Das Aussageverweigerungsrecht sei jedoch ein elementares Recht. Die Beschuldigten dürften nicht befürchten, dass die Ausnutzung dieses ihnen zustehenden Rechtes sich zu ihren Lasten auswirkt.
    (Quelle: FAZ vom 01.09.2010 Nr. 202, S. 21)

  • Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 1. Senat, Urteil vom 2. März 2010
    Az. 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08

    In einem der spektakulärsten Urteile der vergangenen Jahre hatte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut mit der so genannten „Vorratsdatenspeicherung“ zu befassen. Diese beruht auf die EU Richtlinie 2006/24/EG und trägt das Ziel der Speicherung von Verkehrsdaten von Telefondiensten und Internetdiensten wie auch E-Mails vorsorglich für mindestens 6 Monate, um so der Verfolgung von (schweren) Straftaten und der Gefahrenabwehr zu dienen.

    Den drei (von fast 35.000 Beschwerdeführern) ausgewählten Musterfällen nahm sich das Bundesverfassungsgericht an. Die Beschwerdeführer sehen nach ihrer Ansicht durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) sowie ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. So sei es unverhältnismäßig, sämtliche Daten dergestalt zu speichern, dass sich dadurch auch Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen lassen.

    Der Erste Senat des BVerfG hatte sodann am 2. März 2010 sein Urteil bekannt gegeben und entschieden, dass die derzeitigen Regelungen des TKG und der StPO im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar seien.

    So ist die Vorratsdatenspeicherung zwar grundsätzlich möglich und nicht schlechthin verfassungswidrig, jedoch in der derzeitigen Konstellation und insbesondere in der dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung nicht verfassungsmäßig. Auch wird durch die angegriffenen Regelungen keine hinreichende Datensicherheit und Datenbegrenzung gewährleistet. Laut Bundesverfassungsgericht „genügen sie nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Transparenz und Rechtschutzforderungen“.

    Weiter hat das BVerfG angedeutet, dass es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um einen besonders schweren Eingriff handelt mit einer „Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Aus den Daten lassen sich „bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen“, die für sich genommen das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzten. Schließlich hat jeder Bürger grundsätzlich das Recht, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.

    Allerdings ist eine Speicherung der Verkehrsdaten unter bestimmten Maßgaben mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar, wie das BVerfG im Weiteren ausführt. Hierzu müssen allerdings erst bestimmte Grundlagen und Vorgaben geschaffen werden. Angedeutet wird diesbezüglich unter anderem die Speicherung der Verkehrsdaten durch Dritte (wie private Diensteanbieter), um auch der Staatsferne Rechnung zu tragen. Auch dürfen die vielen Informationen nicht zusammengeführt und bei der Speicherung als „Ganzes“ gesammelt werden. Letztlich müsse so eine bessere Sicherheit für die Aufbewahrung der Daten gewährleistet werden.

    Im Rahmen der Strafprozessordnung ist es notwendig, den Abruf der Daten unter einen grundsätzlichen Richtervorbehalt zu stellen, um so auch nachträglich im gerichtlichen Verfahren die Anordnung überprüfen zu lassen. Wichtig sei auch hier nach Auffassung des BVerfG das Gebot der Transparenz: Der Betroffene müsse darüber informiert werden, wenn und wann seine Daten verwendet und abgerufen werden. Zur Not auch im Rahmen einer nachträglichen Kenntnisnahme. Bezüglich der Anwendung der Vorratsdatenspeicherung zur Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr darf auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht außer Acht gelassen werden.

    Nach der derzeitigen Ausgestaltung ist das Abrufen der gespeicherten Daten zur Strafverfolgung „praktisch im Bezug auf alle Straftatbestände nutzbar“ und wodruch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegt.

    Auszug aus der Pressemitteilung des BVerfG vom 2. März 2010:

    „Mit den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelten Maßstäben unvereinbar sind auch die Regelungen zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung. § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO stellt nicht sicher, dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern lässt unabhängig von einem abschließenden Katalog generell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen. Erst recht bleibt § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StPO hinter den verfassungsrechtlichen Maßgaben zurück, indem er unabhängig von deren Schwere jede mittels Telekommunikation begangene Straftat nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als möglichen Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lässt. Mit dieser Regelung werden die nach § 113a TKG gespeicherten Daten praktisch in Bezug auf alle Straftatbestände nutzbar. Ihre Verwendung verliert damit angesichts der fortschreitenden Bedeutung der Telekommunikation im Lebensalltag ihren Ausnahmecharakter. Der Gesetzgeber beschränkt sich hier nicht mehr auf die Verwendung der Daten für die Verfolgung schwerer Straftaten, sondern geht hierüber und damit auch über die europarechtlich vorgegebene Zielsetzung der Datenspeicherung weit hinaus“.

    Für die Strafverfolgung bedeutet es, dass die Verwendung der Daten der Vorratsdatenspeicherung nur dann zulässig ist, wenn im Einzelfall der Verdacht einer schwerwiegenden Straftat besteht. Hierfür sind enge Grenzen zu ziehen und hat der Gesetzgeber einen Strafkatalog zu schaffen. Im Hinblick auf die Gefahrenabwehr bedeutet dieses, dass eine hinreichend belegte, konkrete Gefahr für ein hohes Rechtsgut wie „Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Abwehr einer gemeinen Gefahr“ vorliegen muss.

    Auszug aus der Pressemitteilung:

    „Für die Strafverfolgung folgt hieraus, dass ein Abruf der Daten zumindest den durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Straftat voraussetzt. Welche Straftatbestände hiervon umfasst sein sollen, hat der Gesetzgeber abschließend mit der Verpflichtung zur Datenspeicherung festzulegen.

    Für die Gefahrenabwehr ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass ein Abruf der vorsorglich gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten nur bei Vorliegen einer durch bestimmte Tatsachen hinreichend belegten, konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr zugelassen werden darf. Diese Anforderungen gelten, da es auch insoweit um eine Form der Gefahrenprävention geht, gleichermaßen für die Verwendung der Daten durch die Nachrichtendienste. Eine Verwendung der Daten von Seiten der Nachrichtendienste dürfte damit freilich in vielen Fällen ausscheiden. Dies liegt jedoch in der Art ihrer Aufgaben als Vorfeldaufklärung und begründet keinen verfassungsrechtlich hinnehmbaren Anlass, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Voraussetzungen für einen Eingriff der hier vorliegenden Art abzumildern.“

    Letztlich resultiert aus dem Urteil und der zukünftigen Neugestaltung der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bezüglich der strafprozessualen Regelungen:

    „Innerhalb des ihm dabei zustehenden Gestaltungsspielraums darf der Gesetzgeber solche Auskünfte auch unabhängig von begrenzenden Straftaten oder Rechtsgüterkatalogen für die Verfolgung von Straftaten, für die Gefahrenabwehr und die Aufgabenwahrnehmung der Nachrichtendienste auf der Grundlage der allgemeinen fachrechtlichen Eingriffsermächtigungen zulassen. Hinsichtlich der Eingriffsschwellen ist allerdings sicherzustellen, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein eingeholt wird, sondern nur aufgrund eines hinreichenden Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr auf einzelfallbezogener Tatsachenbasis erfolgen darf. Ein Richtervorbehalt muss für solche Auskünfte nicht vorgesehen werden; die Betreffenden müssen von der Einholung einer solchen Auskunft aber benachrichtigt werden. Auch können solche Auskünfte nicht allgemein und uneingeschränkt zur Verfolgung oder Verhinderung jedweder Ordnungswidrigkeiten zugelassen werden. Die Aufhebung der Anonymität im Internet bedarf zumindest einer Rechtsgutbeeinträchtigung, der von der Rechtsordnung auch sonst ein hervorgehobenes Gewicht beigemessen wird. Dies schließt entsprechende Auskünfte zur Verfolgung oder Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten nicht vollständig aus. Es muss sich insoweit aber um auch im Einzelfall besonders gewichtige Ordnungswidrigkeiten handeln, die der Gesetzgeber ausdrücklich benennen muss.“

    Insgesamt und trotz der scharfen Kritik an der konkreten Ausgestaltung der Regelung der Vorratsdatenspeicherung scheint diese aber in Zukunft durch eine Überarbeitung der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Erwägungen des BVerfG denkbar und wohl auch realistisch. Doch bis es so weit ist, wird der Gesetzgeber das Urteil und zusätzliche Erläuterungen abzuwarten und in den Prozess der gesetzlichen Neugestaltung einzubringen haben. Außerdem hat die EU bereits angekündigt, die entscheidende Richtlinie als Vorgabe der nationalen Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung erneut zu überprüfen und gegebenenfalls und unabhängig von nationalen Umsetzungsspielräumen nachzubessern.

    Somit sind viele weitere Szenarien denkbar. Eines steht jedoch bereits jetzt fest: Die Vorratsdatenspeicherung wird es wohl auch in naher Zukunft geben und den Zielen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr dienen.

  • Az. 1 Ss 310/09 (OLG Frankfurt)

    Im folgenden Fall hatte sich das OLG Frankfurt a.M. erneut mit der Verwertbarkeit einer entnommenen Blutprobe unter Missachtung des Richtervorbehalts zu befassen. Jedoch gelangte der Senat hier im besonderen Fall zu einem abweichenden Ergebnis. Dennoch hatte die Revision mit der allgemeinen Sachrüge des Angeklagten teilweise Erfolg.

    Der Angeklagte war wegen eines fahrlässig begangenen Vergehens der Trunkenheit im Straßenverkehr vom Amtsgericht Hünfeld zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt. Darüber hinaus wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen.

    Der Angeklagte rügte zum einen in seiner Revision, dass ein Beweisverwertungsverbot vorliege, da der zuständige Polizist zur Tatzeit gegen 21:20 Uhr die Blutentnahme zur Überprüfung der Blutalkoholkonzentration ohne richterliche Anordnung vorgenommen hat. Dabei stehe die Blutentnahme grundsätzlich unter dem Richtervorbehalt gemäß §81a Abs. 2 StPO und könne nur durch Anordnung des zuständigen Richters vorgenommen werden.

    Hierzu führt die Staatsanwaltschaft aus:

    „Die Anordnung der Blutentnahme darf gemäß § 81 a Abs. 2 StPO nur durch den zuständigen Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung auch durch die Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen erfolgen. Der Richtervorbehalt hat seinen Grund darin, dass es sich bei der Entnahme einer Blutprobe um einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz geschützte Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit handelt, auch wenn der Eingriff nach § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO nur durch einen Arzt im Rahmen der Regeln ärztlicher Kunst erfolgen darf. Der Richtervorbehalt – auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher grds. versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolges muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfG NJW 2007, 1345, 1346 m.w.N.; OLG Hamburg, Beschluss vom 04.02.2008, NJW 2008, 2597, 2598).“

    Der konkrete Tatverdacht der Trunkenheit bestand für den handelnden Polizeibeamten. Allerdings lag keine Gefahr im Verzug im Sinne des § 81a Abs. 2 StPO vor. Aufgrund der Werte des Alkoholtestes (2,0 Promille) hätte das Warten auf eine richterliche Anordnung zu keinem Beweisverlust geführt. Auch die Tatsache, dass es zum Zeitpunkt der Blutentnahme nach 21:20 Uhr war und somit ein eingerichteter richterlicher Eil- oder Notdienst fernmündlich zu erreichen gewesen wäre, ändert daran nichts.

    Doch trotz Vorlage des Verstoßes gegen den Richtervorbehalt blieb die Frage offen, ob solche zu einem Beweisverwertungsverbot führe. Denn nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften führt zu einem strafprozessualen Verwertungsverbot. Vielmehr sind der Einzellfall und die betroffenen Interessen im Wege einer Interessenabwägung zu berücksichtigen:

    “Der Gesetzgeber hat die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des Richtervorbehaltes ein Verwertungsverbot hinsichtlich der rechtswidrig erlangten Beweismittel anzunehmen ist, nicht entschieden (vgl. BGH StV a.a.O.). Die Frage ist nach inzwischen gefestigter, verfassungsgerichtlich gebilligter (vgl. zuletzt BVerfG NJW 2008, 3053) obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. BGHSt a.a.O.; BGH StV a.a.O.). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die StPO nicht auf Wahrheitsfindung “ um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt a.a.O.; BGH StV a.a.O.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes, welches wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (vgl. BGHSt a.a.O.; BGH StV a.a.O.; BGH NJW 2007, 2269; OLG Stuttgart -1 Ss 532/07-; Meyer-Goßner, a.a.O., § 81 a Rn. 32).“

    Entscheidend ist also die Schwere des Verstoßes unter Berücksichtigung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens. Ein Beweisverwertungsverbot ist insbesondere dann anzunehmen, „wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht“. Liegt hingegen nur ein Irrtum über die Zuständigkeit vor, ist ein Beweisverwertungsverbot regelmäßig nicht einschlägig.

    Im konkreten Sachverhalt ist die Eilmaßnahme in Gestalt der Blutentnahme der Polizei nicht grundsätzlich verboten, sondern in Eilfällen gestattet. Eine solche hätte der Polizeibeamte angenommen, zumal auch ein Nachtrunk im Raume stand. Des Weiteren lagen auch die materiellen Voraussetzungen der Blutentnahme vor, da der Angeklagte unter starken Alkoholeinfluss stand und eine Gefährdung des Strafenverkehrs durch Trunkenheit in Betracht kam.

    Ferner ergibt auch die Interessenabwägung keinen schwerwiegenden Verstoß, wie die Staatsanwaltschaft ausführt:

    „Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass sich als betroffene Rechtsgüter das hochrangige Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nach § 316 StGB und das – unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende – Grundrecht des Angeklagten auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber standen. Während der Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit (wegen des dahinter stehenden Schutzes insbesondere von Leben und Gesundheit anderer Verkehrteilnehmer) dem Schutz hoher Rechtsgüter dient, stellt der Eingriff, dem sich der Angeklagte unterziehen musste, lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit dar (vgl. Thüringer OLG, a.a.O.).“

    Auch ist nicht ersichtlich, dass der Polizeibeamte willkürlich gegen den Richtervorbehalt verstoßen hätte, sich keine Gedanken darüber gemacht bzw. willkürlich eine Gefahr im Verzug angenommen hat. Zudem ist es auch nicht aus den Urteilsfeststellungen ersichtlich, ob der „Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert“ wäre.

    Die Revision ist hinsichtlich des Beweisverwertungverbots unbegründet.

    Allerdings hält das Urteil im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen bezüglich der Blutalkoholkonzentration einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte hatte nach der Fahrt im Straßenverkehr bereits weiteren Alkohol zu sich genommen, der jedoch herauszurechnen war.

    So ging das Gericht zu Gunsten des Angeklagten im vorliegenden Fall von einem geringen Nachtrunk aus und einer Blutalkoholkonzentration zur Zeit der Fahrt von mindestens 1,3 bis 1,4 Promille aus, was einer absoluten Fahruntüchtigkeit entsprechen würde. Problematisch ist hierbei jedoch die Ermittlung des Nachtrunks und somit die Berechnung der tatsächlichen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Tat (Fahren mit dem PKW):

    “Von diesem Wert ist sodann die durch den Nachtrunk maximal verursachte Blutalkoholkonzentration abzuziehen. Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Genuss einer bestimmten Alkoholmenge ergibt, kann in der Weise errechnet werden, dass die wirksame Alkoholmenge (in Gramm) durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in Kg) geteilt wird. Es bedarf daher der Feststellung des Körpergewichts im Tatzeitpunkt, der Bestimmung des Reduktionsfaktors und der Mitteilung der aufgenommenen Alkoholmenge in Gramm. Hinsichtlich des Körpergewichts ist dabei zugunsten des Angeklagten vom Mindestgewicht auszugehen, da die durch Nachtrunk verursachte Blutalkoholkonzentration um so höher ist, je geringer das Körpergewicht ist. Wenn der individuelle Reduktionsfaktor nicht festgestellt ist, muss der Sachverständige darlegen, welcher Reduktionsfaktor bei dem Angeklagten als niedrigster Wert in Betracht kommt und zugunsten des Angeklagten davon ausgehen (vgl. OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 20.05.1996 – 3 Ss 132/96 – und vom 13.11.2001 – 3 Ss 306/01 -; OLG Köln VRS 66, 352, 353).“

    Die hierzu erforderlichen Feststellungen über die Berechnung der Blutalkoholmenge fehlen jedoch. Vielmehr ging das Gericht von „mindestens 1,3 bis 1,4 Promille“ beim Angeklagten aus, ohne die Herleitung hierfür zu begründen. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei den anzuwendenden Grundsätzen der Berechnungsformel bei der richtigen Anwendung dieser zum Zeitpunkt der Fahrt eine geringerer Blutalkoholkonzentration besaß.

    Der Senat schließt sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Diese Darlegungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils. Der neue Tatrichter wird über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Trunkenheit im Straßenverkehr neu zu entscheiden haben.

  • Az. 4 St RR 183/09 (OLG München)

    Der Angeklagte wurde am 17.11.2008 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und unerlaubtem Entfernens vom Unfallort zur Gesamtstrafe von 11 Monaten verurteilt. Zudem wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen. Nach der Berufung richtete der Angeklagte seine Revision gegen diese und rügte darin die Verletzung des materiellen Rechts.

    Nach Auffassung des OLG München hat die Revision des Angeklagten aus folgenden Gesichtspunkten Erfolg:

    Die Vorahndungen des Angeklagten, zwei bereits abgeurteilte Verkehrsdelikte, unterlagen einem Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8, Satz 1, 2 StVG und durften somit dem Angeklagten nicht zur Last gelegt und berücksichtigt werden. Fraglich war jedoch der Zeitpunkt der Tatbegehung im Hinblick auf die Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuregelung.

    Das OLG München führt dazu aus:

    „Nach der genannten Bestimmung – in der hier noch maßgeblichen Fassung – dürfen Vorstrafen eines Angeklagten für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG, das heißt hier nach § 28 Abs. 2 Nr. 3 StVG für die Ahndung der Verstöße einer Person, die wiederholt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen hat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif ist; unterliegen diese Eintragungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist, dürfen sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den Vorschriften des § 29 StVG entspricht, nicht mehr zum Nachteil eines Angeklagten verwertet werden, selbst wenn die früheren Verurteilungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Sind Entscheidungen im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif, aber noch im Bundeszentralregister aufgeführt, gilt das mit umfassender Wirkung ausgestattete Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 StVG gleichwohl, denn den Tilgungsfristen des § 29 StVG – in der hier maßgeblichen Fassung – liegt der Gedanke der Bewährung im Sinne der Verkehrssicherheit zugrunde, während es bei den Tilgungsfristen und dem Verwertungsverbot nach dem Bundeszentralregistergesetz um eine Umsetzung des Resozialisierungsgedankens geht (ständige Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 16.10.2009 – 4St RR 142/09; OLG München NStZ-RR 2008, 89 = NZV 2008, 216; ferner KG NJW 2009, 1015 und VRS 106,130/131 jeweils m.w.N. sowie BayObLG DAR 1996, 243).“

    Die vorangegangenen Ahndungen (Vorstrafen) vom 16.03.2000 und die vom 30.09.1994 durften angesichts dessen nicht mehr zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden. Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8, Satz 1, 2 StVG war folglich anzuwenden.

    Ferner führt das OLG München aus:

    “Bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des sachlichen Rechts (vgl. für das Verwertungsverbot nach dem BZRG BGH St 24, 378/ 382; vgl. ferner Fischer StGB 56. Aufl. § 2 Rn. 6; Dannecker in LK StGB 12. Aufl. § 2 Rn. 27; Schmitz in MünchKomm StGB § 2 Rn. 10).“

    Auch ist die Neuregelung des § 29 Abs. 8  S. 4 StVG am 12.01.2009 in Kraft getreten und vorher bereits verkündet worden. Die hier zu entscheidenden Straftaten sind zwar am 11.02.2008 begangenen worden und unterlagen daher dem zum Tatzeitpunkt geltenden Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 S. 2 StVG, jedoch ist im Sinne des in § 2 Abs. 3 StGB verankerten Rückwirkungsverbots aus dem Schutzzweck des Art. 103 Abs. 2 GG das „Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG als mildestes Gesetz anzuwenden“. Das mildeste Gesetz, das zwischen Tat und Verurteilung aufgrund einer Gesetzesänderung in Betracht kommt, genießt daher zugunsten des Angeklagten den Vorrang.

    Somit hat die Revision vor dem OLG München Erfolg. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben und mit den zugrunde liegenden Feststellungen zurückzuverweisen.


  • Az. 1 Ss Owi 2/09 (SchlH OLG)

    Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagte um 15:40 Uhr in einer Polizeikontrolle angehalten auf Verdacht auf eine Fahrt im Straßenverkehr unter dem Einfluss berauschender Mittel. Die Blutentnahme folgte 45 Minuten später. Der zuständige Polizeibeamte hatte jedoch die Blutentnahme durchführen lassen, ohne vorher einen Richter zu kontaktieren und dessen Anordnung einzuholen.

    Das SchlH OLG schließt sich der ständigen Rechtsprechung an und sieht darin einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach §81a I StPO hinsichtlich der Blutabnahme. Hierzu führt es weiter ausführlich aus:

    “Nur bei Gefährdungen des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerungen besteht auch eine Anordnungskompetenz bei der Staatsanwaltschaft und  – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen“

    Generell haben die Polizeibeamten die Anordnung der Blutentnahme des zuständigen Richters einzuholen. Hierzu reicht es bereits aus, diesen fernmündlich (Telefon) über den regelmäßig einfachgelagerten Sachverhalt aufzuklären und dessen Anordnung zu erhalten. Eine Gefährdung der Untersuchungsergebnisse, die zu der genannten Ausnahme berechtigten, muss mit Tatsachen begründet werden, die sich jeweils nur auf den Einzelfall beziehen lassen und auch in den Ermittlungsakten dokumentiert werden müssen.

    “Dabei verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise dahingehend, dass – ohne Berücksichtigung des Schutzzwecks des Richtervorbehalts im konkreten Einzelfall – von einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs i.S.d. §81a Abs. 2 StPO bei Taten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss von vornherein ausgegangen werden kann.“

    Hierfür reicht es nicht aus, eine Gefährdung des Untersuchungserfolges allein damit zu begründen, dass eine richterliche Entscheidung gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen möglich sei. Ferner besteht eine abstrakte Gefahr auch nicht im Kontext von Alkohol oder Drogen. Zwar gehe von diesen typischerweise eine abstrakte Gefahr aus, da der Nachweis der Tatbegehung durch den körperlichen Abbau der Stoffe „erschwert oder gar verhindert wird“, jedoch begründet dies noch nicht die Gefährdung der Untersuchungsergebnisse. Zudem haben sich die Rückrechnungsformel und dessen Beweisbarkeit längst etabliert.

    So auch hier im Sachverhalt: Die Blutentnahme erfolgte um 16:25 Uhr an einem Werktag. Es ist davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt der zuständige Richter zu den üblichen Geschäftszeiten noch zu erreichen gewesen wäre. Die fernmündliche richterliche Anordnung war somit nicht ausgeschlossen. Jedoch nahm der ermittelnde Polizeibeamte an, er sei anordnungsbefugt gewesen, und hatte daher nicht einmal den Versuch unternommen, einen Richter oder zumindest einen Staatsanwalt zu erreichen.

    „In der Anordnung der Polizeibeamten liegt ein grober Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß §81a Abs. 2 StPO. Er hielt sich generell für anordnungsbefugt und stellte keine Überlegungen dazu an, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die vom ihm pauschal unterstellte Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Vielmehr berief er sich auf die ständige polizeiliche Übung zur Tatzeit. Dies reicht hier – im Jahr 2008 – nicht aus. Die Entwicklung der Resp. zum Richtervorbehalt ist nicht neu. Vielmehr ist die Bedeutung, die das BVerfG dem Richtervorbehalt beimisst, mindestens mit der Entscheidung vom 20.2.2001 (NJW 2001, 1121) und seitdem in einer Fülle weiterer höchst- und obergerichtlicher Entscheidungen immer weiter vertieft worden“

    Aufgrund des hier vorliegenden Gewichts des Verstoßes und der Abwägung der widerstreitenden Interessen führt dieser Verstoß bei der Beweisgewinnung zu einem strafprozessualen Verwertungsverbot. „Wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird“, wie bei der bewussten und zielgerichteten Umgehung des Richtervorbehalts, dann führt dies zur Annahme des Beweisverwertungsverbots.

    Das Urteil beruht daher auf dem Beweisverwertungsverbot aufgrund des Verstoßes gegen den Richtervorbehalt aus §81a Abs. 2 StPO und ist daher aufzuheben.

  • 4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 411/08

    Die Angeklagten wurden wegen vollendeten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b StGB verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es, dass sich Beide auf der Flucht nach einem Banküberfall, der nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist, mit einem Zeugen eine Verfolgungsjagd leisteten und einer der beiden Angeklagten auf das Auto des Zeugen mehrmals mit einer Pistole während der Fahrt bei einer Geschwindigkeit von rund 80 bis 90km/h schoss. Zwei der drei abgeschossenen Kugeln trafen sodann das Auto, das dadurch jedoch nicht in der Fahrtüchtigkeit eingeschränkt wurde. Zudem gab der Fahrer als Zeuge später an, dass er sich nicht in seiner „Fahrsicherheit beeinträchtigt“ fühlte und auch nach den getroffenen Schüssen die Verfolgung weiter fortsetzte.

    Aufgrund der drei Schüsse bei einer überhöhten Geschwindigkeit nahmen die Richter des Landgerichts Halle einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach §315b Abs. 1 Nr. 3 StGB als vollendet an.

    Die eingelegt Revision zum BGH hatte Erfolg: Schließlich liegt nach Ansicht des BGH keine Vollendung des §315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vor. Denn nach §315b StGB muss die Sicherheit des Straßenverkehrs durch die Tathandlung beeinträchtigt und hierdurch eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert eingetreten sein. Maßgeblich ist hierbei eine abstrakte Gefahr, die sich zu einer konkreten Gefahr für die genannten Schutzobjekte verdichtet haben muss:

    „Regelmäßig werden hierbei der Eingriff und die Begründung der abstrakten Gefahr zeitlich dem Eintritt der konkreten Gefahr vorausgehen, etwa, wenn der Eingriff zu einer kritischen Verkehrssituation führt, durch die sodann eines der Schutzgüter konkret gefährdet wird (sog. „Beinahe-Unfall“). Nach der Senatsrechtsprechung ist dies jedoch nicht zwingend (grundlegend BGHSt 48, 119, 122 ff.). Danach kann der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann erfüllt sein, wenn – wie hier – die Tathandlung (Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Beschädigung des Kraftfahrzeugs) führt.“

    Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt, da nicht jede Sachbeschädigung oder auch Körperverletzung im Straßenverkehr den Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr erfüllt. Insofern sei der Schutzzweck des § 315b StGB restriktiv, also eng auszulegen:

    „Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die Verurteilung wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht bestehen bleiben. Eine konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ (vgl. hierzu BGH NJW 1995, 3131 f.) hat das Landgericht zu Recht nicht angenommen, da weder das Fahrverhalten noch die Fahrsicherheit des Zeugen W. durch die Schüsse in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden sind. Aber auch die Beschädigung des Kraftfahrzeuges durch die einschlagenden Projektile rechtfertigt hier entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Denn dieser Sachschaden steht in keinem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt, sondern ist ausschließlich auf die durch die Pistolenschüsse freigesetzte Dynamik der auftreffenden Projektile zurückzuführen. Er ist somit keine spezifische Folge des Eingriffs in die Sicherheit des Straßenverkehrs und muss daher bei der Bestimmung eines „bedeutenden“ Sachschadens bzw. einer entsprechenden Gefährdung außer Betracht bleiben (vgl. BGHSt aaO S. 125).“

    Die beiden Angeklagten nahmen jedoch billigend in Kauf, „dass es durch die Schüsse zu einer kritischen Verkehrssituation und damit zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben“ des Zeugen und/oder dessen PKW kommen könnte. Aus diesem Grund haben sich nach Feststellung des BGH die Angeklagten lediglich eines versuchten anstatt eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gemacht. Die Schuldsprüche werden daher vom Senat abgeändert.


  • BVerfG, 2 BvR 941/08 vom 11.8.2009

    Das Bundesverfassungsgericht hatte im vorliegenden Fall über die Rechtmäßigkeit einer Video-Überwachung durch das Verkehrskontrollsystems Typ VKS zu entscheiden. Der Beschwerdeführer wurde im Januar 2006 auf der BAB 19 durch das VKS System im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung  aufgenommen und rügt infolge dessen diese Aufzeichnung, die ein Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellt.

    Zudem war die Rechtsgrundlage des Eingriffes zu prüfen, auf die sich die zuständige Stelle in dem Bußgeldverfahren gegen den Beschwerdeführer berief. So hatte das Amtsgericht „im angefochtenen Urteil die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung auf den Erlass zur Überwachung des Sicherheitsabstandes nach § 4 StVO des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 1. Juli 1999 (Az.: V 652.621.5-2-4) gestützt und damit diesen als Rechtsgrundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung herangezogen“.

    Hierzu stellten die Richter des BVerfG fest:

    „In der vom Beschwerdeführer angefertigten Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 <42 f.>). Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrzeuges sowie des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich. Auf den gefertigten Bildern sind das Kennzeichen des Fahrzeuges sowie der Fahrzeugführer deutlich zu erkennen. Das Amtsgericht hat im angegriffenen Urteil ebenfalls festgestellt, dass ausreichende Konturen auf den Bildern vorhanden sind, und den Beschwerdeführer als die abgebildete Person identifiziert. Dass die Erhebung derartiger Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 1 BvR 2492/08 -, Umdruck, S. 26; BVerfGE 120, 378 <397 ff.>; BVerfGK 10, 330 <336 f.>).“

    So sei zwar eine solche Video-Überwachung im Verkehrsrecht nicht generell unzulässig, jedoch stellt die Rechtsgrundlage des herangezogenen Erlasses des Wirtschaftministeriums Mecklenburg-Vorpommern keine geeignete Rechtsgrundlage für einen derartigen Eingriff dar:

    „Eine solche Rechtsauffassung ist verfehlt und unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar. Es handelt sich bei dem Erlass – ausweislich der einleitenden Bemerkung – um eine Verwaltungsvorschrift und damit um eine verwaltungsinterne Anweisung. Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behörde etwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitliche Gesetzesanwendung hinwirkt, stellen kein Gesetz im Sinn des Art. 20 Abs. 3 sowie des Art. 97 Abs. 1 GG dar und sind grundsätzlich Gegenstand, nicht Maßstab der richterlichen Kontrolle (vgl. BVerfGE 78, 214 <227> [BVerfG 31.05.1988 – 1 BvR 520/83]). Eine Verwaltungsvorschrift kann für sich auch keinen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung rechtfertigen, da es einer formell-gesetzlichen Grundlage bedarf. Der parlamentarische Gesetzgeber hat über einen derartigen Eingriff zu bestimmen und Voraussetzungen sowie Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar festzulegen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44>)“

    Aus diesem Grund verwiesen die Richter die Klage zurück an das zuständige Amtsgericht zur erneuten Entscheidung. Die Verfassungsbeschwerde war im Übrigen unzulässig.

    Es bleibt jedoch abzuwarten, ob eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine solche Video-Überwachung im Straßenverkehr in Zukunft geschaffen wird und wie die Gerichte dann zu entscheiden haben.

    Das vollständige Urteil findet sich auf der Seite des Bundesverfassungsgerichts.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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