Straßenverkehr

  • Aufgrund der steigenden Rohstoffpreisen ist es in letzter Zeit immer häufiger zu Diebstählen rund um das Streckennetz der Deutschen Bahn gekommen. So werden Kupferkabel gestohlen, um das Kupfer anschließend zu verarbeiten und für viel Geld zu verkaufen.

    Dadurch begeben sich die Diebe jedoch einerseits in Lebensgefahr durch die Starkstromleitungen an den Strecken und halten anderseits stundenlang den Bahnverkehr auf.

  • Nach den Feststellungen des Landgerichts verursachten die Angeklagten in mehreren Fällen als Fahrer eines Pkw Auffahrunfälle, indem sie ihr jeweiliges Fahrzeug ohne verkehrsbedingten Anlass plötzlich stark abbremsten, so dass das nachfolgende Fahrzeug – wie beabsichtigt – auffuhr. Dadurch wollten die Angeklagten die Haftpflichtversicherung der Unfallgegner für die an den eigenen Fahrzeugen verursachten Schäden unberechtigt in Anspruch zu nehmen, was im Folgenden entweder durch den jeweiligen Fahrer selbst oder durch einen unbekannt gebliebenen Dritten geschah.
    Gegen ihre Verurteilungen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen
    Das Landgericht hat in allen Fällen der Unfallverursachung die Verwirklichung eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB angenommen. Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung nach Auffassung des BGH nicht uneingeschränkt stand:

    „Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die absichtliche Herbeiführung eines Auffahrunfalls das Bereiten eines Hindernisses im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt (Senatsurteile vom 18. März 1976 – 4 StR 701/75, VRS 53, 355, und vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 488/91, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 1). Ebenso hat es im Ausgangspunkt zutreffend eine konkrete Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur in den Fällen angenommen, in denen auch ein bedeutender Schaden gedroht hat (Senatsbeschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289); dass das Landgericht mit 1.300 Euro von einer höheren Wertgrenze als der nach der Rechtsprechung des Senats maßgeblichen von 750 Euro (Senatsbeschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215) ausgegangen ist, beschwert die Angeklagten nicht.“

    Allerdings hat das Landgericht zudem auch in den Fällen, in denen es zu keinerlei Verletzungen bei den Unfallgegner kam, eine konkrete Gefahr bejaht. Dabei hat das Landgericht sich auf die regelmäßig gegebene Gefahr bei einem plötzlichen Aufprall im Straßenverkehr bezogen. Dazu der BGH:

    „Mit solchen allgemeinen Erwägungen lässt sich regelmäßig eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen nicht hinreichend belegen (Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216); vielmehr sind grundsätzlich konkrete Feststellungen insbesondere zu den Geschwindigkeiten der Pkw im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen erforderlich (Senat, aaO; vgl. auch Senatsbeschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, aaO). Solche Feststellungen sind im Urteil, das lediglich in einzelnen Fällen Angaben zur Geschwindigkeit eines der unfallbeteiligten Fahrzeuge vor Einleitung des Bremsvorgangs enthält, nicht getroffen. Auch das jeweils festgestellte Schadensbild erlaubt keinen sicheren Schluss auf eine konkrete Leibesgefahr in den Fällen, in denen es zu einer Verletzung nicht gekommen ist; wo kein messbarer Schaden (Fall II.4.1) oder ein solcher in Höhe von 10 Euro (Fall II.4.4) entstanden ist, liegt sie eher fern.“

    Damit stellt der BGH klar, dass die Annahme einer konkreten Gefahr im Sinne von § 315b StGB ausreichend belegt werden muss. Da es sich gerade um ein konkretes Gefährdungsdelikt handelt, reichen allgemeine Erwägungen nicht aus. Zumindest muss das Tatgericht Angaben zur Geschwindigkeit des Pkw und der Intensität des Aufpralls treffen.

    BGH, Beschluss vom 25.01.2012, Az.: 4 StR 507/11

  • Vor dem Landgericht Potsdam musste sich eine 38-jährige Frau wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
    Nach den Feststellungen des Gerichts war die Frau Verursacherin eines Unfalls mit einem polnischen Reisebus im letzten Jahr,  bei dem 14 Menschen verstarben. Weitere Menschen wurden verletzt. Das Gericht sah die Schuld bei der Angeklagten, den Busfahrer treffe kein Mitverschulden.

  • Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der Angeklagte nach dem Konsum von Kokain mit seinem Pkw in einen Verkehrsunfall. Zwei Stunden nach dem Unfall wurde dem Angeklagten eine Blutprobe entnommen.

    Das Landgericht hat eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit schon deshalb als erbracht angesehen, weil der von der Grenzwertekommission empfohlene Grenzwert für Benzoylecgonin (enthalten in Kokain) von 75 ng/ml um das Fünffache überschritten war.

  • Das Landgericht Saarbrücken hat den Angeklagten unter anderem wegen (unter Alkoholeinfluss) fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt.

    Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Revisionen.

  • Das Amtsgericht  Bergisch Gladbach verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis zu einer Geldbuße und ordnete an, dass der Betroffene für die Dauer von einem Monat keine Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr führen darf. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

  • Das Amtsgericht Schwelm (NRW) hat einen 45-jährigen Berufskraftfahrer wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätze a 30 Euro verurteilt.

    Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Mann mit seinem LkW einen 87-jährigen Senioren angefahren. Dieser stürzte, geriet unter einen Reifen des LkW und verstarb. Der Unfall geschah, als der Fahrer mit seinem Lkw in Schrittgeschwindigkeit rückwärts fuhr.

    Im Prozess stellte sich heraus, dass sich das Opfer im toten Winkel befand, der Angeklagte ihn also im Spiegel nicht sehen konnte.

    Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten aber vor, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn sich der Fahrer eines sogenannten „Einweisers“ bedient hätte und dieser die Rückwärtsfahrt überwacht hätte. Die Einweisung ist sogar gesetzlich vorgeschrieben. Damit sei eine Sorgfaltspflichtverletzung zu bejahen, so die Staatsanwaltschaft.

    Das Gericht bestätigte zwar, dass der Vorfall ein Horror für alle Beteiligten, auch für den Angeklagten selbst sei, schloss sich aber dem Antrag der Staatsanwaltschaft an und verhängte eine Geldstrafe von insgesamt 2700 Euro.

    ( Quelle: Der Westen online vom 09.03.2012 )

  • KG Berlin, Beschluss vom 10.11.2010, Az.: 3 Ws 459/10, 3 Ws 459/10 – 1 AR 1247/10

    Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte den Mann wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung vor dem Amtsgericht Tiergarten angeklagt.
    Laut Anklage sei er mit seinem zuvor ordnungswidrig abgestellten Auto auf einen Mitarbeiten des Bezirksamts zugefahren, um fliehen zu können. Dabei sei der Mann verletzt worden.
    Das Amtsgericht hat die Anklage am 12. April 2010 zur Hauptverhandlung zugelassen und gleichzeitig Termin für den 26. Mai 2010 anberaumt. Die Ladung erfolgte über den Strafverteidiger, welche zuvor die Vollmacht vorgelegt hatte.
    Kurz darauf übergab der Strafverteidiger dem Gericht die Kopie einer zuvor erstellten Vollmacht, wobei er nicht mehr zur Entgegennahme von Ladungen ermächtigt ist.
    Der Angeklagte wurde sodann zur neuen, auf den 9. Juni 2010 angesetzten Hauptverhandlung über seinen Verteidiger geladen. Die an den Angeklagten nach Paris geschickte Ladung kam zurück.  Der Verteidiger wieß ausdrücklich darauf hin, „keinerlei Empfangsvollmacht für Ladungen“ zu haben.
    Der Angeklagte blieb sodann der Hauptverhandlung fern. Das Amtsgericht erließ daher gemäß § 230 Abs. 2 StPO einen Haftbefehl. Die gegen diesen eingelegte Beschwerde des Angeklagten hat das Landgericht durch Beschluss vom 22. Juli 2010 verworfen.
    Dagegen legte der Angeklagte gemäß § 310 Abs. 1 StPO Beschwerde ein.

    Dazu das KG:

    „Der Haftbefehl des Amtsgerichts kann nicht bestehen bleiben. Zwar ist nach § 230 Abs. 2 StPO die Verhaftung des der Hauptverhandlung ferngebliebenen Angeklagten anzuordnen, wenn dieser nicht genügend entschuldigt ist. Voraussetzung ist jedoch, dass er zum Termin ordnungsgemäß geladen wurde. Daran fehlt es hier. Dies beruht jedoch nicht darauf, dass der Verteidiger zur Entgegennahme der Ladung für den in Frankreich lebenden Angeklagten nicht bevollmächtigt gewesen ist. Der Angeklagte hat ihn vielmehr ausdrücklich hierzu bevollmächtigt und der Verteidiger hat dies durch die mit Schriftsatz vom 13. Januar 2010 überreichte Vollmacht vom 11. Dezember 2009 im Original nachgewiesen. Dass diese entgegen der Ansicht des Verteidigers durch eine auf den 15. Oktober 2009 datierte Vollmacht, die zudem nur in Ablichtung vorliegt, nicht eingeschränkt werden kann, ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Begründung. Hinzu kommt, dass der Senat die Zweifel des Landgerichts an der Echtheit der Vollmacht vom 15. Oktober 2009 teilt, sodass fraglich ist, ob diese Vollmacht im Rechtsverkehr überhaupt Wirkung entfaltet. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil der in der an den Verteidiger bewirkten Ladung enthaltene Hinweis nach § 216 Abs. 1 StPO in dieser Form nicht hätte erteilt werden dürfen. Unverzichtbarer Bestandteil jeder schriftlichen Ladung eines auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten ist die Warnung, dass im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung erfolgen wird. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise als nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts unzulässig [vgl. OLG Brandenburg StRR 2007, 276; OLG Köln NStZ-RR 2006, 22; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 18, 19], teilweise aber auch als zulässig angesehen, sofern sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt [vgl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; LG Saarbrücken, Beschluss vom 17. Juli 2010 2 Qs 22/10 – bei juris; OLG Rostock StRR 2008, 310]. Letzterer Ansicht schließt sich der Senat an. Sie entspricht der in Nr. 116 Abs. 1 RiVASt geregelten Vorgehensweise. In der zuzustellenden Ladung zur Hauptverhandlung muss daher der Hinweis enthalten sein, dass sich die Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des staatlichen Anspruchs auf Erscheinen in der Hauptverhandlung auf das Staatsgebiet Deutschlands beschränkt. Nur dann stellt die entsprechende Warnung keinen Akt der Ausübung hoheitlicher Gewalt dar, der die Souveränität des ausländischen Staates tangiert. Dies gilt auch, wenn die Ladung an den nach § 145a Abs. 2 StPO ausdrücklich bevollmächtigten Verteidiger in Deutschland erfolgt. Zum einen ist Adressat auch dann ausschließlich der im Ausland lebende Vollmachtgeber und § 145a Abs. 2 StPO soll lediglich das Zustellungsverfahren vereinfachen und die ordnungsgemäße Zustellung der Ladung sicherstellen [vgl. Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 145a Rdn. 1]. Vorliegend enthielt die der Ladung beigefügte „Übersicht der Rechtsfolgen bei Ausbleiben im Termin“ unter dem Stichwort „Angeklagter im Strafverfahren“ keine territoriale Beschränkung der Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen, sondern nur den Hinweis „Verhaftung oder polizeiliche Vorführung zum nächsten Termin“. Damit ist der Angeklagte nicht ordnungsgemäß geladen worden und der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 9. Juni 2010 sowie der Beschluss des Landgerichts vom 22. Juli 2010 waren aufzuheben.“

    Damit stellt das KG klar, dass ein Haftbefehl nur erlassen werden kann, wenn der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde. Dies hat das KG hier abgelehnt.


  • Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in acht Fällen, Betruges in drei Fällen und versuchten Betruges in sieben Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate dieser Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Der Angeklagte hatte in mehreren Fällen Verkehrsunfälle provoziert, um sich danach an die Haftpflichtversicherung zu wenden.

    Gegen diese Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein.

  • BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.03.2011, Az.: 1 BvR 388/05

    Der Beschwerdeführer ließ sich 2004 zusammen mit circa 40 anderen Personen aus Protest gegen die sich abzeichnende militärische Intervention der USA im Irak auf der zu der Rhein Main Military Air Base, dem Luftwaffenstützpunkt der US-amerikanischen Streitkräfte bei Frankfurt am Main, führenden Ellis Road nieder. So hinderten sie die Fahrzeugführer für eine nicht unerhebliche Zeit an der Weiterfahrt. Auf die nach Auflösungsverfügung hin ergangene Aufforderung der Polizei, sich zu entfernen, hätten die Demonstranten nicht reagiert, so dass sie von Polizeikräften zwangsweise hätten weggetragen werden mussten.

    Das Amtsgericht dazu:

    „Das Verhalten der Demonstranten sei auch rechtswidrig gewesen. Zwar seien die Motive für die Sitzblockade von Friedenswillen geprägt und in der Sache nachvollziehbar gewesen, doch könnten politische Fernziele bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB nicht berücksichtigt werden. Niemand habe das Recht auf gezielte Verkehrsbehinderung durch Sitzblockaden. Ferner sei die Verkehrsbehinderung keineswegs notwendig gewesen, um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten hätten ihre Versammlungsfreiheit auch neben der Fahrbahn ausüben können. Die gezielte Provokation zur Schaffung von Stimmungslagen oder zur Erregung von Aufmerksamkeit werde von der Rechtsordnung nicht geschützt, so dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten sozial inadäquat und verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB gehandelt hätten. Dass der Beschwerdeführer und die Mitangeklagten aus achtenswerten Motiven gehandelt hätten, sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.“

    Daher verurteile das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlicher Nötigung gemäß § 240, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 €.

    Das Landgericht Frankfurt am Main verwarf die Berufung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom November 2004 nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig.

    Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Nötigung gemäß § 240 StGB aufgrund der Teilnahme an einer Sitzblockade. Er rügt – unter anderem – eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbots sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG.

    Ein Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG lehnte das Verfassungsgericht ab, da auch eine Sitzblockade unten der Gewaltbegriff des § 240 StGB falle.

    Dazu:

    „Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Vergangenheit mehrfach Gelegenheit, die Auslegung des in § 240 Abs. 1 StGB geregelten Gewaltbegriffs durch die Strafgerichte anhand von Art. 103 Abs. 2 GG zu überprüfen.

    Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. November 1986 infolge Stimmengleichheit den sogenannten „vergeistigten Gewaltbegriff“ im Ergebnis noch unbeanstandet ließ (vgl. BVerfGE 73, 206 <206, 239 f.>), gelangte es nach erneuter Überprüfung in seinem Beschluss vom 10. Januar 1995 zu der Auffassung, dass eine auf jegliche physische Zwangswirkung verzichtende Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <14 ff.>). Für die Konstellation einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße mit Demonstranten auf der einen und einem einzigen Fahrzeugführer auf der anderen Seite stellte es fest, dass eine das Tatbestandsmerkmal der Gewalt bejahende Auslegung die Wortlautgrenze des § 240 Abs. 1 StGB überschreitet, wenn das inkriminierte Verhalten des Demonstranten lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (vgl. BVerfGE 92, 1 <17>).

    In der Folge entwickelte der Bundesgerichtshof anlässlich von Sitzblockaden auf öffentlichen Straßen mit Demonstranten auf der einen und einem ersten Fahrzeugführer sowie einer Mehrzahl von sukzessive hinzukommenden Fahrzeugführern auf der anderen Seite die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 182 <187>; 41, 231 <241>; nachfolgend bestätigt durch: BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1995 – 1 StR 327/95 -, NJW 1995, S. 2862; vom 23. April 2002 – 1 StR 100/02 -, NStZ-RR 2002, S. 236). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer (vgl. BGHSt 41, 182 <187>).

    Diese vom zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar (vgl. BGHSt 41, 182 <185>).“

    Ferner hatte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG zu prüfen. Dazu:

    „Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>).“

    „Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfGE 104, 92 <112>). Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Abwägungsvorgang der Fachgerichte Fehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts beruhen und auch im konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 104, 92 <113>).“

    Nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht lag entgegen der Auffassung des Landgerichts zunächst eine Versammlung vor, sodass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist. Sodann hatte das Gericht zu klären, ob der Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist. Der vorliegende Eingriff könne danach nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit seine Rechtfertigung finden. Dies sei hier nicht das Fall. Eine Abwägung ergebe, dass der Eingriff in der Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht gerechtfertigt ist. In dem Beschluss des Landgerichts liegt damit zwar kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, allerdings ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG.


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht -
Strafverteidiger Dr. jur. Sascha Böttner

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