Häufig ist nicht nur die vollendete Tat mit Strafe bedroht, sondern bereits der Versuch einer Straftat. Ein strafbarer Versuch ist stets gegeben, wenn es sich bei der Tat um ein Verbrechen handelt, also um eine Straftat, die im Mindestmaß mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist, wie zum Beispiel die Vergewaltigung (§ 177 StGB), der Mord (§ 211 StGB) oder der Raub (§ 249), oder wenn die Strafbarkeit des Versuchs ausdrücklich angeordnet ist, wie beispielsweise beim Diebstahl (§ 242 StGB) oder der Körperverletzung (§ 223 StGB). Der Versuch wird regelmäßig milder bestraft als die Tatvollendung.
Der strafbefreiende Rücktritt
Solange sich die Tat noch im Versuchsstadium befindet, kann durch den Handelnden eine komplette Straffreiheit erreicht werden. In § 24 StGB hat der Gesetzgeber nämlich eine „Goldene Brücke“ gebaut, nach welcher der Täter straffrei unter bestimmten Voraussetzungen vom Versuch zurücktreten kann.
Glaubt der Täter, dass er bereits alles getan hat, um den Erfolg herbeizuführen, zum Beispiel wenn ein Schütze sein potentielles Tatopfer bereits nach seiner Ansicht lebensgefährlich verletzt hat, muss er aktiv die Vollendung verhindern. In diesem Beispiel bieten sich die Erste Hilfe und die Verständigung eines Rettungswagens an. Es bleibt zwar eine vollendete Körperverletzung bestehen, jedoch wird der Schütz, sofern das Tatopfer überlebt, nicht wegen versuchten Totschlags oder Mordes bestraft.
Glaubt der Täter hingegen, dass er das Ziel noch nicht erreicht hat, es aber noch erreichen könnte, reicht sogar das einfache Unterlassen von weiteren Tathandlungen. Dies ist beispielsweise bei einem Schützen der Fall, der glaubt, das Opfer sei noch nicht tödliche verletzt und er weiter schießen könnte. Der Rücktritt muss allerdings stets freiwillig, aus sog. „autonomen Motiven“ geschehen. Bei einem fehlgeschlagenen Versuch oder einem Abbruch aufgrund erhöhten Entdeckungsrisikos wird diese liegt dies in der Regel nicht vor. Bei einem sog. „Motivbündel“ ist im Einzelfall zu bestimmen, ob ein freiwilliger Rücktritt im Sinne des § 24 StGB gegeben ist.
Strafbefreiender Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten
Etwas schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, in welchen mehrere Personen an der Tat beteiligt sind. Denn dann muss der Zurücktretende immer versuchen die Vollendung zu verhindern. Es reicht somit nicht aus, wenn einer von mehreren Tatbeteiligten lediglich aufhört, eine andere Person jedoch weitermacht, ohne dass der Rücktrittswillige zumindest versucht, die anderen Täter von der Vollendung der Tat abzuhalten.
Schwierig wird die Frage ob ein strafbefreiender Rücktritt vorliegt besonders dann, wenn alle Beteiligten gemeinsam sich entschließen nicht mehr weiter zu handeln. In einer vor dem BGH kürzlich erfolgreichen Revision hatte der Bundesgerichtshof einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem zwei Personen versucht hatten von einem Dritten Geld zu erpressen, indem sie ihn körperlich misshandelten. Dies stellt eine versuchte räuberischer Erpressung gemäß § 255 StGB dar. Nach rund einer dreiviertel Stunde ließen die beiden Männer jedoch freiwillig von ihrem Opfer ab und ermöglichten ihm das Verlassen der Wohnung.
Ein strafbefreiender Rücktritt liegt nahe
Der Bundesgerichtshof (BGH) kritisiert in seiner Entscheidung, dass vom Landgericht bei dieser Konstellation kein strafbefreiender Rücktritt geprüft worden ist (BGH, Beschluss vom 5. November 2013, Az. 2 StR 388/13). Denn bei der räuberischen Erpressung ist es für einen strafbefreienden Rücktritt grundsätzlich ausreichend, wenn die Täter freiwillig davon absehen, ihr Erpressungsziel weiter mit zur Verfügung stehenden Nötigungsmitteln zu verfolgen. Sie müssen daher nicht darauf verzichten, den Erpressungserfolg generell – ggf. mit anderen, nicht tatbestandlichen Mitteln – herbeiführen zu wollen.
Damit hatte die Revision des Angeklagten Erfolg. Erneut zeigt sich, wie eine genaue Prüfung des Sachverhalts erhebliche Auswirkungen auf das Strafmaß haben kann. Vor allem ein Rücktritt vom Versuch kann erhebliche Auswirkungen auf das Strafverfahren haben, da es zur kompletten Straffreiheit führen kann. Ein erfahrener Strafverteidiger prüft daher beim Vorliegen eines Versuchs stets die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritss, dessen Voraussetzungen im Einzelfall oft schwierig zu beurteilen sind und selbst von Landgerichten übersehen werden, wenn nicht aktiv durch die Verteidigung darauf hingewiesen wird.