Unter der Überschrift „Die Übergriffigen“ findet sich in der Ausgabe des Spiegel vom 24.02.2014 ab Seite 58 ein sehr lesenswerter Artikel, in dem insbesondere anhand der Verfahren gegen Wulff, Edathy, Kachelmann, Mollath u.A. aufgezeigt wird, dass eine nicht objektive Staatsanwaltschaft bereits früh im Verfahren die Weichen für eine Anklage und – sofern keine Intervention durch Verteidigung und/oder Gericht erfolgt – auch für eine Verurteilung stellt.
Gerade das wegen Korruptionsverdacht geführte und jetzt mit einem Freispruch geendete Verfahren gegen unseren ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff bietet aber ebenso Anlass zu hinterfragen, was für eine Rolle die Kammer unter Vorsitz des Richters Rosenow gespielt hat. Die Verteidigung von Wulff ist nicht nur im Ermittlungsverfahren frühzeitig aktiv tätig geworden, sondern auch im Zwischenverfahren und hat die Nichteröffnung beantragt.
Was ist die Aufgabe der Kammer des Landgerichts Hannover im Zwischenverfahren gewesen?
Gem. § 202 ff StPO hat das Gericht im Zwischenverfahren selbstständig und von Amts wegen zu prüfen, ob zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anzuordnen sind (§ 202 StPO). Ist dies nicht der Fall, prüft das Gericht, ob nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat verdächtig erscheint. Nur dann und soweit, wie das Gericht einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, darf es die Anklage zulassen.
Während aufgrund der Arbeitsbelastung an Amtsgerichten die Prüfung häufig im Tagesgeschäft eine Formalität darstellt, zumindest wenn die Strafverteidigung oder der Angeklagte keine Einwände gegen die Eröffnung erheben, so hat die Kammer des LG Hannover im Fall Wulff zumindest den Anschein erweckt, sehr genau geprüft zu haben, ob und inwieweit ein hinreichender Tatverdacht gegen Wulff zum Zeitpunkt der Anklageerhebung bestand. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Eröffnungsbeschluss mit 14 Seiten sehr ausführlich ausgefallen ist und schließlich insbesondere auch daraus, dass das Landgericht im Eröffnungsbeschluss die Anklage nicht einfach „abgeknickt“ hat, sondern sehr differenziert zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ein hinreichender Tatverdacht zwar nicht hinsichtlich des Tatbestandes der Bestechlichkeit besteht wohl aber hinsichtlich einer Vorteilsannahme.
Wenn also die Kammer nach Aktenlage ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, dass ein hinreichender Tatverdacht bestand und die Anklage der Staatsanwaltschaft jedenfalls insoweit gerechtfertigt ist, dann ist die Kammer ebenso dafür verantwortlich, dass das Hautverfahren durchgeführt worden ist.
Die Eröffnung einer Hauptverhandlung
Gegen den Willen des Gerichts kann keine Staatsanwaltschaft in der Bundesrepublik eine Hauptverhandlung durchführen, selbst die Staatsanwaltschaft Hannover nicht. Die Staatsanwaltschaft kann zwar Beschwerde gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens einlegen, aber auch über diese entscheiden Richter und keine Staatsanwälte. Es stellt sich also die Frage, warum – wenn doch die Hauptverhandlung keine Überraschungen bereit gehalten und der Freispruch zu erwarten war – hat das Landgericht nach gründlicher Prüfung den hinreichenden Tatverdacht bejaht und die Anklage bezüglich der Vorteilsannahme zugelassen? Weil Sie dem Angeklagten die Möglichkeit der Reputation in der Hauptverhandlung durch einen Freispruch ermöglichen wollte? Wohl eher nicht.
Die Gewaltenteilung gilt auch im Strafrecht
Staatsanwaltschaft und Gerichte gehören (aus guten Gründen) unterschiedlichen Gewalten an (Exekutive und Judikative). Es wäre wünschenswert, wenn sich die Gerichte daran nicht nur erinnern, wenn sie bei einem Antrag auf Freispruch durch die Staatsanwaltschaft trotzdem verurteilen, sondern auch bei der Entscheidung, ob das Hauptverfahren überhaupt zu eröffnen ist. Auch wenn mit einer Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft zu rechnen ist, hat das Gericht eine dadurch unbeeinflusste Entscheidung zu treffen. Was wir brauchen sind eigenständige Richter mit Augenmaß; auch und insbesondere im Zwischenverfahren, dem letzten Stadium vor einer für die Angeklagten belastenden und teuren Hauptverhandlung im Strafverfahren.
Glaubt man der Berichterstattung in diversen Medien, nach denen sich die Beweislage in der Hauptverhandlung nicht geändert hat, erscheint fraglich, warum die Kammer das Verfahren eröffnet hat. So ist der Dank des Volkes einem gewiss, wenn man in der Hauptverhandlung auf eine Beendigung der verwertbar zu einer Farce verkommenen und teuren Verhandlung drängt, die man allerdings wahrscheinlich selbst mitinitiiert hat.
Die Rechnung zahlen die Steuerzahler und die Angeklagten.